Die Pädagogische Hochschule St. Gallen hat vor bald drei Jahren eine Fachstelle Demokratiebildung und Menschenrechte gegründet. Sie setzt auf die Kombination von Fachwissenschaft und Didaktik – und stösst auf grosse Resonanz.
Brigitte Schmid-Gugler
Der Zeitpunkt war gut gewählt. Als sich am 8. Mai 2015 das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal jährte, fand im St. Galler Hadwig-Schulhaus, wo sich die PHSG befindet, die Vernissage der Ausstellung «Flüchtlinge im Hadwig» statt. Just an jenem Ort also, wo im Februar 1945 eintausend aus dem Konzentrationslager Theresienstadt befreite Jüdinnen und Juden vorübergehend Unterschlupf fanden. Die Ausstellung erinnerte einerseits an die Schicksale der Überlebenden, andererseits an die damalige restriktive Schweizer Flüchtlingspolitik und wurde begleitet von einem umfassenden Rahmenprogramm.
Das Gedächtnis: ein Kerngeschäft der damals ebenfalls frisch eingeweihten neuen Fachstelle. Die Ausstellung im Hadwig war deren erste Projektarbeit, umgesetzt und konzipiert von Studierenden der PHSG. Begleitet und unterstützt von Johannes Gunzenreiner und Thomas Metzger, welche die Stelle neben ihrer Dozententätigkeit mit einem kleinen Pensum gemeinsam leiten und für die Weiterentwicklung verantwortlich sind. «Die Fachstelle bildet ein Scharnier zwischen geschichtswissenschaftlicher Forschung und dem Schulunterricht auf Sekundarstufe 1», erklären die Co-Leiter.
Wenn also die Fachstelle ein geschichtsrelevantes Thema aufnimmt, erhalten interessierte Studierende der PHSG die Gelegenheit, sich vertieft damit zu befassen. Aus den Ergebnissen von Recherchen – und den Erfahrungswerten, wie man diese überhaupt anstellt – wird herausgefiltert, was für den Schulunterricht gemäss dem Lehrplan 21 auf Sekundarschulstufe weiterverwendet beziehungsweise didaktisch aufbereitet werden könnte.
«Das ist das Besondere an dieser neuen Fachstelle, sie schlägt sich direkt im Unterricht nieder», unterstreicht Thomas Metzger. Das heisst, die Forschungsarbeit verpufft nicht, verschwindet nicht in Dateien oder Schubladen, sondern dient als Grundlage für die didaktische Vermittlung, auf welche später auch Aussenstellen Zugriff haben.
Während des Studiums der angehenden Lehrkräfte werden die Forschungsthemen interdisziplinär bearbeitet. Es gibt die Möglichkeit von Theater- oder Kurzfilmprojekten, Lesungen und Diskussionsrunden mit dem Einbezug von Fachpersonen. Themen wie der Holocaust, die damalige und heutige Flüchtlingspolitik, Rassismus und Fremdenhass sowie die unterschiedlichsten Facetten demokratischer Systeme: Junge Menschen sollen früh und nachhaltig mit den elementaren gesellschafts- und sozialpolitischen Themen konfrontiert werden. Und zwar, wie dies ihre Lehrpersonen im Studium taten, möglichst nahe am eigenen Alltag und in der Betrachtung von innen- und aussenpolitischen Entwicklungen.
«Lokale und regionale Themen haben Vorrang», sagt Johannes Gunzenreiner. Dies trifft auch auf die Umsetzung der Sozialgeschichte des Kantons St. Gallen zu, welche die Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons St. Gallen auf ihr Jubiläum im Jahr 2019 hin von einer Gruppe von Historikerinnen und Historikern verfassen lässt. Die zehn Themen umfassende Schrift werde von der Fachstelle zusammen mit Studierenden didaktisch umgesetzt und von der GGK finanziell unterstützt, schildern Metzger und Gunzenreiner.
Die Bilanz nach fast drei Jahren? «Wir schauten mal, ob die Fachstelle ins Fliegen kommt. Jetzt fliegen wir», sagt Johannes Gunzenreiner. Zwar würden nach wie vor sowohl die Zeit als auch die finanziellen Mittel für gross angelegte Recherchearbeiten und Auswertungen fehlen. «Doch wir werden als Ansprechpartner wahrgenommen», sagt Metzger. In Kooperation mit anderen Hochschulen unter Federführung der Pädagogischen Hochschule Luzern biete die Fachstelle den Masterstudiengang Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung an – auch das ein Novum in der Schweiz.