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Ostschweiz
Die Lage in den Bergen erinnert an den Katastrophenwinter 1999. Er bescherte der Ostschweiz ein Jahrhunderthochwasser. Eine Hydrologin erklärt, ob es auch diesen Frühling kritisch wird.
Michael Genova
michael.genova@ostschweiz-am-sonntag.ch
Dies ist ein Artikel der «Ostschweiz am Sonntag». Die ganze Ausgabe lesen Sie hier:<strong><em>www.tagblatt.ch/epaper</em></strong>
Die Schweizer Bergdörfer versinken im Schnee. Messstationen im Wallis und Kanton Graubünden meldeten diese Woche neue Schneehöhenrekorde. Und das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) rief wegen der Lawinengefahr zeitweise die höchste Gefahrenstufe 5 aus. Dies weckt Erinnerungen an den Lawinenwinter 1999.
Damals gingen in der Schweiz rund 1200 Lawinen nieder, die Schäden beliefen sich auf über 600 Millionen Franken. Das schwerste Lawinenunglück ereignete sich im Walliser Dorf Evolène und forderte zwölf Menschenleben. Im Frühjahr 1999 folgte dann die zweite Katastrophe: Schmelzwasser und schwere Regenfälle bescherten der Ostschweiz über Auffahrt und Pfingsten ein Jahrhunderthochwasser.
Der Bodensee trat über die Ufer und flutete Plätze, Strassen und Keller. Weite Teile des Schweizer Seeufers standen unter Wasser, die Schifffahrt wurde zeitweise eingestellt. Unvergessen sind etwa die Bilder aus Rorschach, das sich in eine Lagunenstadt verwandelte. Einwohner und Schaulustige erkundeten auf Notstegen die Strassen, im Hafenbahnhof pflügten sich die Züge einen Weg durch die Wassermassen.
Droht nach dem grossen Schnee auch in diesem Jahr wieder eine Flut? Dafür müssten mehrere Faktoren zusammenkommen. "Die Schneeschmelze alleine verursacht noch kein grosses Hochwasser", sagt Hydrologin Edith Oosenbrug vom Bundesamt für Umwelt. Setze jedoch zusätzlich zu einem Wärmeeinbruch im Frühling intensiver Regen ein, könne es zu Problemen kommen. Man werde die Situation deshalb weiter beobachten.
Die aktuelle Schneesituation unterscheidet sich von derjenigen im Jahr 1999. Damals lag auch in tieferen Lagen viel Schnee. Dazu kommt: Die grossen Schneemengen fielen damals erst im Februar. Viel hängt deshalb davon ab, wie sich das Wetter in den kommenden Wochen entwickeln wird. Während eines warmen Frühlings mit wenig Regen werde der Schnee allmählich abschmelzen, ohne ein Hochwasser zu verursachen, sagt Edith Oosenbrug.
Die Fernsehbilder aus dem überschwemmten Rorschach lockten 1999 auch Hochwassertouristen an. Am Hafenkiosk waren die Filme für Fotoapparate innert kürzester Zeit ausverkauft. Für die Ausflügler bot das Schifffahrtsamt zwischen Hafen und Kornhaus für 15 Franken Hochwasser-Rundfahrten an. Besonders betroffen vom Hochwasser waren die Thurgauer Untersee-Gemeinden. Alleine im Kanton Thurgau beliefen sich die Schäden auf 15 Millionen Franken. Der Regierungsrat lancierte sogar eine Spendenaktion, um nicht versicherte Schäden zu decken. Prekär war die Lage nicht nur am Bodensee. Im Rheintal wurde das Rheinvorland überschwemmt, und im Vorarlberg mussten wegen Hangrutschen zahlreiche Menschen in Sicherheit gebracht werden. Am Linthkanal kämpften die Einsatzkräfte während Tagen gegen einen drohenden Dammbruch. Von der Hochwasserfront betroffen war auch das Thurgebiet. Bedrohlich war die Lage in Weesen am Walensee. Über 400 Menschen mussten evakuiert werden, nachdem oberhalb des Dorfes rund eine Million Kubikmeter Geröll und Schlamm in Bewegung geraten waren.