Es gibt ihn noch, den Primarlehrer. Doch männliche Lehrpersonen in Schulteams sind inzwischen rar, vor allem in der Unter- und Mittelstufe. Mehr Männer wären wünschenswert, sagt Schulleiter Michel Bawidamann.
Andrea C. Plüss
«Zum neuen Schuljahr haben wir eine männliche Lehrperson eingestellt», sagt Michel Bawi- damann erfreut. Er ist Schullei- ter im Schulhaus Wiesenau in St. Margrethen. Der Wunsch nach einem männlichen Kollegen sei vom Team gekommen. Das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Primarlehrpersonen (ohne Fachlehrkräfte) liegt in der Schule Wiesenau aktuell bei 23:3, was einem Männeranteil von 13 Prozent entspricht.
Auf job.educa.ch, dem Stellen- portal für Lehrer, schreiben die Schulen ihre freien Stellen aus. Jeweils im Januar/Februar dreht sich das Jobkarussell besonders schnell, denn es gilt, neue Lehrpersonen für das kommende Schuljahr zu verpflichten. Natürlich sei man um eine möglichst positive Darstellung der eigenen Schule bemüht, sagt Schulleiter Bawidamann.
Auf August hin wird ein kantonsfremder Primarlehrer mit mehrjähriger Berufserfahrung zum Schulteam Wiesenau stossen und einen ausscheidenden Berufskollegen ersetzen. Kann eine männliche Lehrperson verpflichtet werden, zeigen sich Schulleitungen und Schulräte in der Regel erfreut; eben weil der Anteil der Männer, vor allem in der Unter- und Mittelstufe, gering ist.
Der Auer Gemeindepräsident Christian Sepin erinnert sich an seine Zeit als Schulpräsident in Diepoldsau und sagt, er habe die Dossiers der männlichen Bewerber meist mehrfach angesehen, in der Hoffnung, die aussagekräftigste Bewerbung stamme vielleicht doch von einem Mann.
Ausschlaggebend für eine Einstellung seien aber immer die fachlichen, persönlichen und sozialen Kompetenzen eines Bewerbers gewesen, betont nicht nur Sepin. Walter Portmann, Schulpräsident der Primarschule Au-Heerbrugg, spricht von «brillanten Absolventinnen» der Pädagogischen Hochschule St. Gallen (PHSG), die man nicht ablehnen könne, nur weil es Bewer- bungen von Männern gebe. Bei gleicher Qualifikation und wenn auch sonst alles passe, könne er sich jedoch vorstellen, dem männlichen Bewerber den Vorzug zu geben.
Michel Bawidammann sagt: «Ich bin daran interessiert, qualita- tiv gute Lehrpersonen zu verpflichten, unabhängig vom Geschlecht.» Im letzten und vorletzten Jahr hat der Schulleiter deshalb auch Männern eine Absage erteilt, weil ihm bessere Bewerbungen von Frauen vorlagen. Viele Frauen schätzen am Lehrer-Job die Möglichkeit, im Teilzeitpensum zu unterrichten. Fehlende Aufstiegschancen sind für Martin Längle, Schulleiter vom Schulhaus Schöntal in Altstätten, mit ein Grund, warum sich nur wenige junge Männer für den Beruf des Primarlehrers ent- scheiden.
Sowohl vom Gehaltsrahmen als auch von der gesellschaftlichen Anerkennung her sei für Männer im Lehrerberuf am ehesten die Oberstufe oder eine Mittelschule attraktiv.
Die Nachfolge von Martin Längle, der zum Schuljahresende in Pension geht, wird eine Frau antreten. Ab August gibt es dann nur noch einen Lehrer im Schulteam Schöntal.
Bedauert wird die geringe Zahl der Primarlehrer vielerorts – von Schulleitern, Schulräten, Lehrerinnen und Lehrern, von Eltern ebenso wie von Bildungsforschern. «Schule ist weiblich und Bildung ist weiblich», sagt Längle knapp, und beschreibt damit treffend eine seit Jahren zu beobachtende Entwicklung, im Fachjargon «Feminisierung» genannt.
Immer mehr Kinder wachsen bei alleinerziehenden Müttern auf. Oft ist der Vater wenig oder gar nicht präsent, und andere männliche Bezugspersonen fehlen. Gerade in solchen Konstel- lationen wäre es für Buben schön, gäbe es mehr männliche Lehrpersonen, um ihnen den Umgang mit Männern auf der Sozialisationsebene zu ermöglichen, halten die beiden Schulleiter fest, die sich unserer Zeitung gegenüber zu diesem Thema geäussert haben.
Äusserungen wurden etliche Male nur hinter vorgehaltener Hand gemacht, mit dem Hinweis, nicht zitiert oder gar fotografiert werden zu wollen. Die fehlende gesellschaftliche Anerkennung wird demnach von einigen Primarlehrern festgestellt und zugleich bedauert. Einer gestand ein, sich als Mann unter lauter Kolleginnen ein bisschen wie «der Hahn im Korb» zu fühlen.
Die Recherche erfolgte stichprobenhaft an verschiedenen Schulen im Rheintal und offenbarte: Wohl aus der Befürchtung heraus, missverstanden zu werden oder sich nicht gesellschafts- bzw. bildungspolitisch korrekt zu äussern, sagten überraschend viele Personen aus dem Schulbetrieb lieber gar nichts.
Wer nicht von der Absicht geleitet ist, pädagogische und fachliche Kompetenzen der Lehrkräfte geschlechtsspezifisch zuzu- weisen, könnte doch eigentlich sagen, was er oder sie denkt. Eben über die Tatsache, dass der Lehrerberuf zunehmend unattraktiv für Männer wird und was das für die Schülerschaft oder für den Kollegenkreis am Arbeitsplatz bedeuten könnte.
Im Jahr 2016 erteilte die PHSG insgesamt 210 Diplome (Diplomtyp A und B), davon 39 Männern. «Einen Trend zu mehr männlichen Studierenden können wir derzeit nicht feststellen», heisst es auf Anfrage.
Bemühungen, die Zahl der Männer durch die Rekrutierung beruflicher Quereinsteiger anzuheben, ist gemäss Martin Längle allerdings keine Lösung, denn «Berufung lässt sich nicht lernen».