HEERBRUGG: Schulweg dauert doppelt so lang

Zwei Sonderschüler aus St.Margrethen haben einen langen Schulweg. Sie müssen bis Rorschach gefahren werden, weil der Kanton jeden gleich behandelt und nicht auf Einzelfälle eingeht.

Monika von der Linden
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Mit dem Schulbus wären die beiden Kinder aus St. Margrethen in etwa in der Hälfte der Zeit in der HPS Heerbrugg. Um zum Wiggenhof in Rorschach zu gelangen, sitzen sie nun 45 Minuten lang im Schulbus. (Bild: Monika von der Linden)

Mit dem Schulbus wären die beiden Kinder aus St. Margrethen in etwa in der Hälfte der Zeit in der HPS Heerbrugg. Um zum Wiggenhof in Rorschach zu gelangen, sitzen sie nun 45 Minuten lang im Schulbus. (Bild: Monika von der Linden)

Monika von der Linden

Mit dem Beginn des Schuljahres müssen sich viele Kinder an einen neuen Schulweg gewöhnen und möglichst schnell lernen, ihn sicher zu bewältigen. Zwei Kindern aus St.Margrethen wird diese Aufgabe erschwert, denn ihr Schulweg ist länger als nötig. Besuchten beide Kinder die Heilpädagogische Schule in Heerbrugg, hätten sie eine Strecke von fünf Kilometern zurückzulegen. Mit dem Schulbus erreichten sie ihr Ziel in elf Minuten, falls er die direkte Route fahren kann. Ein Sammeltransport wäre 20 bis 30 Minuten lang unterwegs.

Regierungsrat Stefan Kölliker aber hat bestimmt, dass die beiden beeinträchtigten Kinder in die Sonderschule Wiggenhof der Heilpädagogischen Vereinigung Rorschach gehen müssen. Vielmehr müssen sie mit dem Schulbus gefahren werden, weil sie die Distanz von 17 Kilometern nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln überwinden können. Der Schulbus ist für eine Strecke 45 Minuten lang unterwegs.

Längerer Schulweg ist zumutbar

Der Entscheid Stefan Köllikers löst bei Urs Bösch (Institutionsleiter der HPS Heerbrugg) Unverständnis aus: Der Bildungsdirektor widerspreche seinen eigenen, pädagogisch sinnvollen Kriterien.

Mit dem sogenannten Vollzugskonzept setzt der Kanton das neue Sonderpädagogik-Konzept um. In ihm beschreibt er, auf welcher Grundlage ein Sonderschüler einer Schule zugeteilt wird. Darin heisst es, dass ein Sonderschüler das Schulhaus innert einer Stunde erreichen muss («je nach Alter und Behinderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Schulbus»). Neben der Grösse der Schule und ihrer Auslastung spielt ihre regionale Zugehörigkeit eine Rolle. Sowohl St.Margrethen als auch die HPS Heerbrugg sind im Rheintal.

Mit Inkrafttreten des neuen Konzeptes wechselte St.Margrethen das Einzugsgebiet von der HPV Heerbrugg zur HPV Rorschach. Einzelfälle wie die in St.Margrethen haben sich danach zu richten. Diese Auskunft gibt Jürg Raschle, Generalsekretär im Bildungsdepartement. Seines Erachtens ist der längere Schulweg mit Blick auf den ganzen Kanton zumutbar.

Zumutung und Belastung für Eltern und Kinder

Es ist nicht nur so, dass die beiden Kinder aus St. Margrethen jetzt morgens und abends eine dreiviertel Stunde Zeit im Schulbus verbringen müssen. Ihnen wird auch die Chance genommen, den Schulweg später einmal eigenständig zurücklegen zu können. Das sei pädagogisch nicht sinnvoll, meint Urs Bösch. Die Kinder sollen im Laufe ihrer Schulzeit möglichst auf den öffentlichen Verkehr wechseln. Das ist von St. Margrethen nach Heerbrugg realistisch, nach Rorschach kaum.

Die HPV Heerbrugg und die HPV Rorschach pflegen einen freundschaftlichen Umgang und haben wie die Schule St.Margrethen gemeinsam im Sinne der Kinder beim Kanton interveniert. Ohne Erfolg. Der Institutionsleiter der HPS Heerbrugg versteht nicht, warum der Regierungsrat die Zuteilung im konkreten Fall nicht verhandeln will. Das bedeute für Eltern und Kinder eine Zumutung und Belastung.

Pädagogische Kriterien gewichtet das Bildungsdepartement bei der Zuteilung nicht stärker als die übrigen. Ebenso sehr berücksichtigt es die geografische und ökonomische Betrachtungsweise.

Als Präsident der HPV Heerbrugg fordert Carsten Zeiske einen erneuten Dialog mit dem Bildungsdepartement. Die Nähe zur Schule sei bei der Zuteilung beeinträchtigter Kinder ein gewichtiger Punkt, sagt er. «Bei einem Grenzfall wie dem vorliegenden bevorzuge ich die beste Lösung für die Kinder.» Auch er habe als Primarschüler die Schule besuchen können, die seinem Wohnort am nächsten gelegen war.

Der Generalsekretär ist bereit, erneut in den Dialog zu treten. Er lässt aber keinen Zweifel daran, dass der gesetzte Rahmen angewendet wird und das Einzugsgebiet einer Schule im Einzelfall nicht justiert wird. Man müsste also generell zu einem neuen Ergebnis kommen.

Gleichbehandlung und Planungssicherheit

Urs Bösch, Institutionsleiter der HPS Heerbrugg, drängen sich im Zusammenhang mit dem Sonderschulkonzept im Kanton St.Gallen vom Juni 2015 weitere Fragen auf. Es sieht vor, dass Sonderschulen mittels Pauschalen finanziert werden. Der Sinn besteht darin, alle Sonderschulen gleich zu behandeln und ihnen Planungssicherheit zu bieten. Das Gegenteil sei der Fall, meint Urs Bösch, weil eine ungünstige Klassenzusammensetzung die Planung über den Haufen werfen könne und die Pauschale jährlich angepasst werde. «Eine Schule ist nicht über Pauschalen finanzierbar. Das System suggeriert, dass wir Einfluss hätten und sparen könnten. Das ginge aber nur über einen Qualitätsabbau», sagt Urs Bösch.

Die HPS muss sehr wohl sparsam sein. Zum Beispiel, um den im Januar bezogenen Pavillon möblieren zu können, musste sie 250000 Franken aus Spenden finanzieren. Denn die Schulmöbel durfte sie nicht aus dem Fonds für Infrastruktur bezahlen. Der ist für Immobilien, Verwaltung und Hauswartung bestimmt.

Aus einem weiteren Fonds wird das Personal entlöhnt. Hier hat die Schule den Vorteil, dass jedem Kind zur Förderung, je nach Beeinträchtigung, Stellenprozente und kein fixer Betrag zugewiesen wird. Egal, welche Person die Stelle besetzt, das Geld fliesst. Aus der «förderabhängigen Leistungspauschale» bezahlt die Schule die Lehrkräfte und den Mittagstisch, aber auch Vertretungen und Bildungsurlaube.

Auch für den Schulweg gibt es einen Fonds. Pro Schüler zahlt der Kanton einen fixen Betrag pro Kilometer. Je nachdem wie selbstständig ein Kind ist, bezahlt die Schule aus der Pauschale den Transport mit dem Schulbus oder dem öffentlichen Verkehr. Weil Selbstständigkeit ein Förderziel der Schule ist, zieht sie Bus und Bahn dem Schulbus vor. (vdl)