Zu den spannenden Kapiteln im kürzlich erschienenen Buch «Oberegger Geschichte» gehört dasjenige über das Gastgewerbe. 59 ehemalige und bestehende Wirtschaften werden aufgelistet.
Das Verweilen der Männer in den Lokalen veranlasste Pfarrer Johann Nikolaus Fässler im Jahre 1968 zur bissigen Bemerkung: «Gross und allwissend sind die Oberegger am Biertisch, wo sie gern und lang hocken…»
«In den letzten fünfzig Jahren fand in Oberegg ein Wirtshaussterben statt. Verantwortlich für diese Entwicklung sind mehrere Faktoren: Zum einen gibt es heute praktisch keine ‹nebenbei› geführten Beizen mehr, da die Anforderungen an die Führung einer Wirtschaft stark gestiegen sind. Mit dem Fernseher erhielt das Wirtshaus seine grösste Konkurrenz, und wegen der gestiegenen Mobilität ist es möglich, abends ins Kino, Theater oder anderswohin zu fahren. Man ist nicht mehr auf das Angebot vor Ort angewiesen.
Der Genuss von Alkohol unter der Woche ist ausserdem gesellschaftlich und rechtlich nicht mehr gleich akzeptiert wie noch vor einigen Jahrzehnten…», schreibt Historiker und Buchautor David Hänggi-Aragai, stellt aber gleichzeitig fest, dass Oberegg mit aktuell immerhin noch 17 Einkehrmöglichkeiten im Vergleich mit anderen Orten gut dastehe. Angesichts der vielen Wirtschaften formierte sich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Anti-Alkoholbewegung. Sie war vor allem von Frauen getragen, hatten doch Ehegattinnen und Mütter unter dem Wirtschaftshocken und Geldverprassen ihrer Männer zu leiden. Die Bewegung prangerte Ausschweifungen aller Art als Folge des übermässigen Alkoholkonsums an. Die Abstinenzler waren Teil der Sittlichkeitsbewegung jener Zeit, die die bürgerlichen Moralvorstellungen hochhielt. Im Jahre 1900 kam es zur Gründung eines Abstinentenvereins, dem ausschliesslich weibliche Mitglieder angehörten. Zudem bestand von 1939 bis 1945 an der Rutlenstrasse das alkoholfrei geführte Restaurant Grünau.
Spätestens mit dem Aufstieg von Heiden als bedeutendem Kurort ab 1847 wurde die Beherbergung von Feriengästen auch in Oberegg aktuell. Führender Hotelbetrieb mit siebzig Gästezimmern und mehr als hundert Betten war der «Bären» im Ortszentrum. David Hänggi-Aragai: «Der Stickereiunternehmer und Gastwirt Adolf Locher-Gähwiler wandelte 1884 eine kurz vorher neben seinem Gasthof Bären erstellte Stickfabrik zur Dépendence um, und 1901/02 entstand ein neues Kuranstaltsgebäude in Massivbauweise.
Der ‹Bären› gehörte damit zu den grössten Etablissements im Appenzellerland, das am Bahnhof Heiden einen eigenen Portier stationiert hatte.»
«Der ‹Bären› wurde Mitte der 1950er-Jahre vorübergehend und 1980 endgültig geschlossen. Auch weitere Betriebe mit Gästezimmern verschwanden, zumal günstige Ferien im Ausland ab den 1960er-Jahren zum Massenphänomen wurden. Trotzdem wurde Neues zur touristischen Belebung gewagt.» Als Mitautor der Chronik erinnert Historiker Thomas Fuchs unter anderem an den Skilift, den Gesundheitsweg, den Neubau des Restaurants St. Anton (vormals «Rössli») und die nach zwanzig Jahren Dornröschenschlaf erfolgte Wiedereröffnung des vormaligen Hotels Alpenhof als Kulturzentrum.
Hinweis: Das 372 Seiten umfassende, reich illustrierte Buch «Oberegger Geschichte» von David Hänggi-Aragai ist in Oberegg in der Bäckerei Bischofberger erhältlich.