Startseite
Ostschweiz
Rheintal
Aus Vorfreude wurde Frust. Und doch proben die Blasmusikanten von Widnau und Heerbrugg wieder.
Gross war die Freude bei den Musikvereinen, als der Bundesrat bekannt gab, dass Blasmusikanten ab dem 19.April wieder in Fünfzehnergruppen proben dürfen. Doch bald einmal folgte die Ernüchterung. «Als ich das Kleingedruckte der Verordnung las, war das eine böse Überraschung», sagt Gunnar Wald, Präsident des Musikvereins Heerbrugg (siehe Infobox).
«Was als Lockerung daherkommt, ist eine Verschärfung», sagt Goar Hutter, Präsident der Musikgesellschaft Konkordia Widnau. Die Präsidenten hatten mit jener Regel gerechnet, die vor der zweiten Welle gegolten hatte. Seinerzeit reichten ein Schutzkonzept und ein Abstand von zwei Metern. «Das war umsetzbar», sagt Gunnar Wald. Neu braucht jeder Musikant 25 Quadratmeter. «Dazu braucht es fast ein Fussballfeld», sagt Goar Hutter.
Die Stimmung in den Vereinen war gedrückt, die Hoffnung zerstoben. Die 60 Mitglieder der Konkordia hatten seit Januar nicht mehr geprobt, die 30 Heerbrugger immerhin in Fünfergruppen. Hinzu kam, dass alle Interventionsversuche des Schweizer Blasmusikverbands und eine Petition beim Bund versickerten. «Das ist umso ärgerlicher, als dass es keine Indikation für ein erhöhtes Ansteckungsrisiko bei Blasmusik gibt», sagt Goar Hutter. «Beim Sprechen verteilen sich die Aerosole in der Luft. Beim Musizieren kondensieren sie mit dem Atem am Instrument und werden als Tropfen abgeführt», sagt Goar Hutter.
Goar Hutter wollte sich nicht geschlagen geben. Er suchte eine Lösung, das Vereinsleben wenigstens eingeschränkt wieder zu ermöglichen. Er fragte Restaurants an, ob sie Plexiglaswände ausleihen würden. Das war wegen der Hygiene nicht möglich. Selbst welche zu kaufen, erwies sich als teuer. Zwölf Stück hätten 4000 Franken gekostet. Schliesslich fand der Präsident in Berlin einen Anbieter mobi-ler Roll-up-Hygieneschutzwände für 1400 Franken. Auch Arztpraxen setzen diese ein.
Im Heerbrugger Verein fand die Konkordia einen Mitstreiter. Er beteiligt sich hälftig an den Kosten. «Das ist unsere Chance, unserem Hobby wieder nachzugehen», sagt Gunnar Wald.
Nachdem alle Zollformalitäten erledigt waren, traf der Spuckschutz letzte Woche ein. Als erster Verein probte Heerbrugg am Mittwoch im neuen Modus und in gewohnter Umgebung des Pfarreiheims. «Die Musikanten waren happy», sagt Gunnar Wald. Es sei endlich wieder so etwas wie Spielfreude aufgekommen. «Ich muss mich bei den Trennwänden daran gewöhnen, mich selbst besser als die Nachbarn zu hören.»
Nach dem Gespräch am Donnerstag darf auch Goar Hutters Verein erstmals wieder proben. Er kann es kaum erwarten, im Probelokal im Feuerwehrdepot die Posaune zum Klingen zu bringen. Seine Beharrlichkeit und die Zusammenarbeit mit dem Nachbarverein ermöglichen es. «Die Schutzwände sind wie Kitt für den Verein. Wir wollen weitermachen, auch wenn es noch schwieriger wird», sagt Goar Hutter. «Wir möchten andere Vereine ermutigen. Gebt nicht auf, trotz der Regularien», sagt Gunnar Wald.
Bald soll auch die Bevölkerung beider Dörfer an der wiederentdeckten Spielfreude teilhaben – sofern die Pandemie es zulässt: Am 23. Juni spielen die Heerbrugger Musikanten ein Sommerabendkonzert im Schmidheinypark. Die Herbstunterhaltung soll am 20. November sein. Am 8. Juli plant die Konkordia ein Sommerabendkonzert vor der Kirche. Als Gastverein spielt die MG Montlingen-Eichenwies. Am 6. und 7. November wollen die Widnauer Musikanten die Jahreskonzerte im Widebaumsaal spielen. Beide Vereine wollen an die Kreismusiktage im Mai 2022 in Au.
Die jüngste, seit 19. April geltende Covid-19-Verordnung des Bundes ermöglicht es den Blasmusikvereinen, in 15er-Gruppen zu spielen. Bisher waren Fünfergruppen (vier Musikanten und ein Dirigent) erlaubt.
Die als Lockerung erscheinende Massnahme muss allerdings in Zusammenhang mit der Abstandsregel gesetzt werden. In der Verordnung heisst es im Absatz «kulturelle Aktivitäten in Innenräumen und ohne Masken»: «Es muss für jede Person eine Fläche von mindestens 25 Quadratmetern zur ausschliesslichen Nutzung zur Verfügung stehen oder es müssen zwischen den einzelnen Personen wirksame Abschrankungen angebracht werden.»
Möchte ein Blasorchester mit 15 Personen proben, beansprucht dies eine Fläche von mindestens 375 Quadratmetern. Über diese Fläche verfügt nicht jede Turnhalle. Bestehende Probelokale reichen nicht aus.
Zum Vergleich: «Bei einer Aktivität, die weder mit Singen oder Blasmusik noch mit einer erheblichen körperlichen Anstrengung verbunden ist und bei welcher der zugewiesene Platz nicht verlassen wird, liegt die Mindestfläche bei 15 Quadratmetern pro Person.» (vdl)