Der Mann, der das «Glöggli» läutet

WIDNAU. Seit 28 Jahren kümmert sich Fidel Seitz um die Einsiedler-Kapelle am Binnenkanal. Das Mesmeramt ist für ihn mehr als ein Job. Er nimmt sich viel Zeit, um den Besuchern einen Ort der Zuflucht zu bieten und sich mit ihnen zu unterhalten.

Monika von der Linden
Drucken
Manchmal läutet Mesmer Fidel Seitz das Kapellen-Glöckchen auf besonderen Wunsch der Besucher. Für uns tat er es ebenso. (Bild: Monika von der Linden)

Manchmal läutet Mesmer Fidel Seitz das Kapellen-Glöckchen auf besonderen Wunsch der Besucher. Für uns tat er es ebenso. (Bild: Monika von der Linden)

Es ist ein heisser Sommernachmittag. Fidel Seitz sitzt im Schatten der Einsiedler-Kapelle am Binnenkanal. Hier hält er sich oft und gerne auf. Seit 28 Jahren ist er Mesmer und kümmert sich um das kleine Gotteshaus, damit es stets einladend, mit Blumen geschmückt, sauber und gepflegt ist. Er arbeitet hier täglich ungefähr eine Stunde, öffnet am Morgen das Tor und schliesst es am Abend wieder.

Fidel Seitz verbringt aber neben der Arbeit viel mehr Zeit an diesem beschaulichen Ort. Seit seiner Pensionierung vor sechs Jahren trifft man ihn noch häufiger an. «Ich bin gerne hier», sagt er. Er redet mit den Leuten, die ihn und die Madonna zufällig oder regelmässig besuchen. Fidel Seitz weiss viel über die Kapelle zu erzählen, es ergeben sich oft interessante Gespräche. «Das tut den Leuten und auch mir wohl.»

Kässeli für den Unterhalt

«Ich hatte schon lange darauf gewartet, hier Mesmer werden zu dürfen», erinnert sich Fidel Seitz an das Jahr 1988. Damals wurde er für das Amt angefragt, weil Josef Schmid – der erste Mesmer der Einsiedler-Kapelle – die Aufgabe nach zehn Jahren abgegeben hatte. Als besonders fromm bezeichnet sich der Mesmer nicht. «Ich habe Kirchen gerne und schaue sie mir überall an.» Der gelernte Schlosser blickt zur Madonna und sagt: «Mir gefällt das Handwerk, und ich achte auf Details.»

Diese beherzigt Fidel Seitz auch, wenn er den Gebetsraum noch ein wenig liebenswerter gestaltet. Am Eingang stellte er einen Kerzenständer mit einem Kässeli auf. «Von den Spenden finanziere ich den Unterhalt, kaufe Kerzen und Blumen, die ich nicht im eigenen Garten habe.» Bleibt noch etwas Geld übrig, gibt er es dem Pfarramt als Spende für ein Pfarreiprojekt.

Fidel Seitz achtet sogar darauf, dass die Madonna auch abends im rechten Licht steht. Auf dem Dach hat er ein Solarpanel montiert, das genug Strom für eine romantische Beleuchtung liefert.

Romantischer Ort der Ruhe

Nicht unbedingt als romantisch, aber als sicher erachtete im Jahr 1998 ein Vogel die Kapelle. Auf dem Kopf der Madonna baute er ein Nest und legte Eier hinein. Er kümmerte sich um die Jungen, bis sie flügge waren. «Der Vogel suchte hier – wie manche Leute – Ruhe und Geborgenheit», sagt Fidel Seitz. Zu den regelmässigen Besuchern gehören seine Grosskinder. «Sie haben immer grosse Freude, wenn sie eine Kerze anzünden dürfen.» Treffen sie auf andere Besucher, sagen sie, der Grosspapi solle das kleine «Glöggli» läuten. «Manchmal komme ich diesem besonderen Wunsch nach», sagt der Mesmer. So geht er auf die Leute ein und hofft, sie ein wenig glücklich zu machen.

Das Geburtstagsgeschenk des fünfjährigen Grosskindes an den Grosspapi hängt an der Wand. Das Mädchen hat ihn mit seiner Kapelle gezeichnet. «Ich staune, wie genau sie beobachtet», sagt Fidel Seitz. Das Bild zeigt die Einsiedler-Kapelle, den Grossvater, den Kerzenständer, Blumen, Bänke – und natürlich das Glöckchen auf dem Dach.

1998 nistete ein Vogel auf dem Kopf der Madonna. (Bild: pd)

1998 nistete ein Vogel auf dem Kopf der Madonna. (Bild: pd)

Seit 28 Jahren läutet Fidel Seitz die Glocke.

Seit 28 Jahren läutet Fidel Seitz die Glocke.