Der Mangel an Hausärzten wird immer grösser. Rolf Naegeli, seit 27 Jahren Hausarzt in Rüthi, war sechs Jahre lang im Vorstand des Schweizerischen Hausärzte-Verbands. Ein Gespräch über die Gründe des Mangels und die Situation im Rheintal.
Rolf Naegeli: Ich nenne Ihnen einige meiner Tätigkeiten vor diesem Gespräch. Ich behandelte einen Patienten mit Rückenbeschwerden, zwei mit Diabetes, eine Frau mit psychischen Problemen und einen Notfall, bei dem es um eine Muskelzerrung ging.
Naegeli: Genau. Als Hausarzt deckt man ein breites Spektrum ab, von einfachen Grippefällen bis zum schwerkranken Krebspatienten. Zudem bin ich aktuell im Gefängnis Saxerriet tätig, was auch sehr spannend ist.
Naegeli: Ich hatte als Kind einen guten Hausarzt. Wahrscheinlich hat mich die Vorstellung seiner Tätigkeit im Unterbewusstsein immer begleitet.
Naegeli: Für mich ist wenig unattraktiv. Als ich den Beruf auswählte, waren die Rahmenbedingungen auch in finanzieller Hinsicht noch besser. Heute ist viel mehr reglementiert, und teuerungsbereinigt verdient man als Hausarzt vierzig Prozent weniger als vor 27 Jahren, bei meinem Start. Junge Ärzte werden auch durch hohe Investitionen abgeschreckt, die mit dem Kauf einer Praxis verbunden sind.
Naegeli: Ein junger Arzt, der neu beginnt, muss in ein unsicheres Umfeld investieren. Er weiss nicht, ob sein Labor in zwei Jahren noch gesetzeskonform ist, oder ob er die Leistungen noch zuhanden der Krankenkassen abrechnen kann. Das ist eine untragbare Situation und erklärt diesen Mangel.
Naegeli: Ja, junge Ärzte sind es heute durch die Arbeit in Spitälern gewohnt, geregelte Arbeits- und Freizeiten zu haben. Da ist die Vorstellung, als Hausarzt deutlich länger zu arbeiten, eventuell abschreckend. Hinzu kommt, dass man als Spezialist mehr verdient und meistens keinen Notfalldienst leisten muss.
Naegeli: Das stimmt. Aber nur auf eigenes Risiko und nach dem Kauf einer Praxis. Es mangelt derzeit aber auch an Spezialisten.
Naegeli: Wir haben schon viel probiert. 2006 gab es eine Demonstration auf dem Berner Bundesplatz, im vorletzten Jahr eine in St. Gallen. Dann haben wir auch eine Hausarzt-Initiative gestartet, die jetzt in Bern bearbeitet wird.
Naegeli: Erstens wollen wir eine verbesserte Aus- und Weiterbildung, die auch auf die Hausarztmedizin zugeschnitten ist. Zweitens eine erleichterte Berufsausübung, was die gesetzliche Ebene betrifft. Drittens eine zweckmässige Infrastruktur, damit wir das Labor oder Röntgenapparate weiter brauchen und verrechnen können. Derzeit gibt es Bestrebungen, dass Hausärzte bald nur noch die Patienten auf einzelne Spezialisten verteilen dürfen.
Naegeli: Derzeit bestehen 17 Praxen im Rheintal. Es sind aber vier Kollegen über sechzig. Im Moment ist das noch ein guter Bestand. Nur wird in den nächsten fünf Jahren erneut pro Jahr mindestens ein Kollege die 60-Jahre-Grenze überschreiten. Unser Ziel ist es, Nachfolger zu finden. Da man nicht irgendwen einstellen möchte, ist das jedoch schwierig.
Naegeli: Der Kanton ist verpflichtet, die medizinische Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Dies machen im Moment die Hausärzte kostenlos für den Kanton – wir investieren selber. Sollte es bald zu wenig Hausärzte haben, muss der Kanton investieren. Zum Teil macht er das mit Spital-Ambulatorien heute schon. In der Schweiz werden derzeit aber viel zu wenig Ärzte ausgebildet, und auch aus dem Ausland werden bald weniger neue Ärzte kommen.
Naegeli: Ja, gerade im EU-Raum herrscht ebenfalls ein grosser Ärztemangel.
Naegeli: Diese Ärzte sind gut ausgebildet. Wir müssen froh sein um die Verstärkung. Es ist jedoch ein Armutszeugnis für die Schweiz, dass sie nicht imstande ist, den eigenen medizinischen Nachwuchs zu gewährleisten.
Naegeli: Das ist eine sehr gute Idee. Wäre ich Arzt in einer grösseren Ortschaft wie Altstätten, würde ich dieses Modell sofort unterstützen. So könnten vor allem bezüglich Infrastruktur Synergien genutzt werden.
Naegeli: In Rüthi oder Montlingen kann man nicht eine Praxis mit fünf Ärzten eröffnen. Deshalb wird es immer Einzelpraxen brauchen. Mein Traum ist es schliesslich, das Angebot hier in Rüthi aufrechtzuerhalten.
Naegeli: Ja, ich hatte schon mehrere Gespräche. Einer der Kandidaten scheute jedoch das Risiko. Ein anderer wollte nicht einsteigen, da er sich als Einzelkämpfer bezeichnet und nicht noch einige Jahre mit mir im Team arbeiten wollte. Beim dritten Kandidaten wollte die Frau nicht ins Rheintal.
Naegeli: Auf jeden Fall. Deshalb habe ich mich auch jahrelang in der Standespolitik für die Anliegen meines Berufes eingesetzt. Ich bin überzeugt, das Hausarztsystem muss die Basis der ärztlichen Grundversorgung bleiben.
Interview: Samuel Tanner