ST. MARGRETHEN. Er ist Harley-Liebhaber, Luftgitarren-Spieler und pensionierter Kranwagen-Fahrer. Vor allem aber war er der bekannteste Stammgast in der Musicbar The Pirates. Mit der Schliessung des Lokals verschwindet auch Armin Roth aus St. Margrethen von der Rock-Bühne des Rheintals.
«Sali Armin. Än Chübel wie immer?» «Nanai, nur e Stange. I bi mit em Töff do, hoi!»
Armin Roth sitzt an jenem Donnerstagabend Ende Januar an der Bar im Pirates in St. Margrethen. So, wie er es die vergangenen viereinhalb Jahre jedes Wochenende, bald auch während der Woche tat. Das Pirates prägte seit seiner Eröffnung das Leben des Mannes mit Bandana um den Kopf, Totenkopf-Kette um den Hals und Piercing an der Augenbraue. Doch nicht nur das Lokal hat seine Spuren hinterlassen. Armin Roth hinterliess die seinen im Pirates. Fotos von ihm mit Luftgitarre, auf seiner Harley oder auf der Bühne hängen im Essbereich des Restaurants.
Was nichts Ungewöhnliches wäre, wäre Armin Roth nicht 68 Jahre alt. Schon seit acht Jahren ist er pensioniert, er arbeitet aber noch immer zwischen 25 und 35 Prozent als Kranwagen-Fahrer bei der Gautschi AG, wo er vor über 40 Jahren angestellt wurde. Genau wie der Firma, hielt Roth dem Pirates von Anfang an die Treue.
An seinen ersten Besuch in der Musicbar kann er sich gut erinnern. Es war an einem Freitagnachmittag im Oktober 2009. Die Eröffnungsparty sollte um 17 Uhr beginnen, «aber die Tür war lange vorher offen, und so ging ich hinein. Mal schauen, wie's da so ist», sagt Roth. Er störte eine interne Feier, Angestellte, Geschäftsleitung, Investoren. «Der Koch, ein breiter Kerl, hat mich gefragt, was ich hier zu suchen hätte. Und hat mich wieder hinausbegleitet. Später sind wir die besten Freunde geworden.»
Freunde hat sich Armin Roth in den vergangenen Jahren viele gemacht, bis in die Geschäftsleitung. «Armin gehörte in unser Lokal wie kein anderer. Wir waren stolz auf unseren Piraten, der auf den Fässern Luftgitarre spielte und vor der Bühne rockte», sagt Pirates-Mitinhaber Päde Hofstetter. «Und es tut mir leid, dass wir ihm das Pirates wegnehmen müssen.»
An jenem Abend an der Bar denkt Armin Roth noch nicht gerne ans nahende Ende des Pirates. Viel lieber schwelgt er in Erinnerungen, erzählt er von Konzerten seiner Lieblingsbands Black Diamonds oder Meisterrocker. Wie er beim Tanzen seine heutige Lebenspartnerin kennenlernte. Wie ihm der Sänger das Mikrophon hingehalten hat. Wie er mit den Bandmitgliedern bis frühmorgens hinter der Bühne sass und über Musik fachsimpelte. Wie er am Wochenende schon am späten Nachmittag im Pirates erschien, um sich den Soundcheck der Bands anzuhören
«Hoi Armin! Bisch mit em Töff do?»
Eine Frau, die an der Bar vorbeigeht, begrüsst Roth überschwenglich. Oft kennt er die Leute nicht, doch sie ihn. «Auf der Strasse grüssen mich immer wieder fremde Menschen», sagt er. Auch auf Facebook bekommt er viele Freundschafts-Anfragen unbekannter User, die seine Party-Fotos mit «gefällt mir» markieren.
Denn wer Armin Roth einmal gesehen hat, vergisst ihn nicht mehr. An diesem Abend trägt er ein Shirt mit einem Rolling-Stones-Print, sonst oft solche mit einem Totenkopf darauf abgebildet. Ein Spinnennetz am Hals («hat mir einfach gefallen»), ein Drachen-Tattoo am rechten Oberarm («das hat meine Tochter gestochen»), vier chinesische Zeichen am linken Oberarm («ewiges Glück, ewige Gesundheit, den Rest müsste ich nachschauen»). Entstanden ist die Körperkunst erst in seinen Pirates-Jahren. «Ich dachte, die passen einfach hier rein», sagt der zweifache Grossvater.
Was schon vor der Pirates-Ära zu ihm gehörte, war seine Harley, 14-jährig, 90 000 Kilometer, 73 PS. Die dunkeln Spuren auf dem Fussboden im Lokal, die stammen von ihr. Denn Armin Roth erhielt vor zwei Jahren offiziell eine Sonderstellung als Stammgast, mit einem eigenen Parkplatz in der Bar. Ein weiss markiertes Feld zwischen Fumoir, Stühlen und Fässern, in grossen Lettern mit seinem Namen angeschrieben. Wenn er seine Harley nicht dort abstellt, gibt er Gas. Unter die Party-Gäste und die dröhnende Rock-Musik mischt sich dann der Geruch von Benzin und verbranntem Pneu. Gestört hat sich nie jemand daran, im Gegenteil. Armin Roth, seine Harley – diese beiden gehörten zum Pirates wie das Bier ins Glas.
Genau das ist es, was Roth an seinem Stammlokal immer schätzte. Nicht nur die Musik, die gleichgesinnten Menschen oder das Feierabendbier. Das Lokal sei unkompliziert. «Die nehmen einen, wie man ist. Mich als Rocker mit Harley, andere mit dreckigen Überhosen von der Arbeit.»
Als er geht, steigt er auf seinen Töff und fährt hinaus, nach Hause, eine Fahrt von höchstens zwei Minuten.
Eineinhalb Monate später, Armin Roth ist am Telefon. Er spricht aussergewöhnlich laut und deutlich, das erste Mal, dass man sein fortgeschrittenes Alter bemerkt. «Ich höre nicht mehr so gut. Zu viel mit Baumaschinen gearbeitet, zu nahe an den Musikboxen gestanden», entschuldigt er sich. Hinter ihm liegt sein erstes Wochenende ohne Pirates, das erste seit viereinhalb Jahren. Ein seltsames Gefühl war das. Fast reflexartig wollte er am Freitag zum Soundcheck in sein Stammlokal. Ablenkung fand er an der Swiss-Moto-Ausstellung in Zürich und bei einem Essen im Chinarestaurant.
Das Heimweh wird ihn an den Wochenenden wohl noch eine Weile plagen. Abhilfe schafft ein straffes Programm. Demnächst wird er dem Pirates-Biker-Club beitreten, der noch immer existiert. «Damit man sich nicht aus den Augen verliert», sagt Roth.
Verplant hat er auch dieses Wochenende. Am Sonntag hat er einen Termin beim Tätowierer. Das Sujet kommt auf die Brust: «Born to be wild».