Gospelsänger, Olma-Direktorin, Ex-Politiker: Im VIP-Zelt neben der Sitterbühne trifft sich die Lokalprominenz und jene, die gerne dazu gehörten. Hier, wo das Essen im Porzellangeschirr gereicht wird und nicht Schlamm, sondern exotische Pflanzen das Hintergrundbild prägen, ist die Vorfreude auf die kommenden Tage gross.
«I love Open Air St.Gallen!» Gospelsänger Malcolm Green spart nicht mit Liebeserklärungen für sein Lieblingsfestival, an dem er drei Mal selber auftrat. Normalerweise treffe man ihn nicht bei den VIP an, sondern im Fideszelt, also mitten im Getümmel – «dort ist meine Heimat». Fragt man den gebürtigen Amerikaner nach seinen diesjährigen Highlights, reicht die lange Liste von der St.Galler Durchstarterin Joya Marleen über die Kölner Deutsch-Rocker AnnenMayKantereit bis zur Mundartband Patent Ochsner. Er fügt an:
«Zum Glück verstehe ich Berndeutsch.»
Überhaupt Patent Ochsner: Kurz bevor das Konzert am frühen Freitagabend beginnt, fiebert ein Grossteil der Gäste der VIP-Tribüne mit Blick auf die Sitterbühne dem Auftritt entgegen. Er sei ein erklärter Patent-Ochsner-Fan, sagt der Rechtsanwalt, ehemalige CVP-Ständeratskandidat und ehemalige Präsident des FC St.Gallen Michael Hüppi. Schliesslich habe er in Bern studiert. Für seinen schönsten Open-Air-Moment sind aber nicht Patent Ochsner verantwortlich, die dieses Jahr ins Sittertobel zurückkehren, sondern Herbert Grönemeyer. Sein Auftritt 1989 bleibt vielen nicht wegen der Musik, sondern vor allem wegen des nachfolgenden Eklats auf der Bühne in Erinnerung. Am wohlsten fühlt sich Hüppi jedenfalls immer noch vor der Bühne:
«Mitten im Getümmel ist es am schönsten.»
Da gibt ihm wohl auch FCSG-Trainer Peter Zeidler recht, der nicht im VIP-Zelt anzutreffen ist, sondern mit schwarzer Schirmmütze inkognito in der Menge untertaucht. «Ich verstehe die Texte zwar nicht, aber es ist super», sagt er zum Konzert von Patent Ochsner. Auch einige Spieler haben sich unter das Publikum gemischt, verrät er. Und:
«Das Open Air gehört zu St.Gallen wie auch unser Klub.»
Er lasse keine Gelegenheit zum Tanzen aus, sagte Hansruedi Felix, Pfarrer der St.Galler Kirche St.Laurenzen, anlässlich seiner Pensionierung. Auch an der Streetparade traf man den 65-Jährigen, der vom Blick den Übernamen «Technopfarrer» erhielt, mitunter an. Seine Nachfolgerin ist dagegen am Open Air präsent. Ein Technofan sei sie nicht, sagt Kathrin Bolt, tanzen aber tue sie genauso gern. Und auch ihr Musikgeschmack überrascht und reicht von Klassik bis Punk-Rock (Die Toten Hosen). Nun freue sie sich auf die Stimmung im Sittertobel, das sie, seit sie Kinder habe, nicht mehr so regelmässig aufsuche wie zuvor.
Ihre Schwester Christine Bolt dagegen geht jedes Jahr ans Open Air – wenn es denn stattfindet.
«Nach zwei Jahren Zwangspause freue ich mich so fest wie schon lange nicht mehr.»
Nebst Patent Ochsner und Muse will die Direktorin der Olma-Messen die gute Stimmung geniessen und «mich einfach treiben lassen». Als aktuelle Ehren-Födlebürgerinnen haben Christine und Kathrin Bolt das alljährliche Treffen der «Föbü» kurzerhand ans Open Air verlegt.
Einer davon ist Hanspeter Trütsch, früher ein fleissiger Open-Air-Gänger, wie der langjährige SRF-Bundeshauskorrespondent sagt. Heute nutzt er das Gelände im Sittertobel öfter für ausgiebige Joggingrunden denn zum Feiern. In seiner Altersklasse fühle er sich am Summerdays in Arbon ohnehin wohler. Ob er der kleinen Schwester des Open Airs auch dieses Jahr einen Besuch abstattet, ist allerdings offen.
«Es wird ein strenger Festivalsommer.»
An diesem Freitagabend will sich Trütsch mit Patent Ochsner in seine Zeit in Bundesbern zurückversetzen.
Franz Jaeger, alt Nationalrat der LdU, liess sich früher ebenfalls kein Open Air entgehen. Heute lässt er es ruhiger angehen. Dennoch gerät der emeritierte HSG-Wirtschaftsprofessor ins Schwärmen:
«Das Open Air ist eines unserer besten Exportprodukte.»
Er gehöre der Gründergeneration des Open Airs an, sagt der ehemalige St.Galler FDP-Stadtrat Fredy Brunner. Er habe früher als Student und später mit der ganzen Familie am Festival gefeiert. In bester Erinnerung bleibt Joe Cocker, der 1985 in St.Gallen auftrat. Heute erinnert ihn der Ort vor allem an ein berufliches Grossereignis: 2013 endete das städtische Geothermie-Projekt im Sittertobel nach einem Erdbeben abrupt. Dennoch, oder gerade deswegen, bezeichnet Brunner das Tobel als «Kraftort».
Ein Exot an diesem Jahr ist der St.Galler Gastropräsident Walter Tobler: Er ist nämlich zum ersten Mal am Open Air vor seiner Haustür – «ich musste schliesslich immer arbeiten». Noch habe er zu wenig gesehen, um sich eine Meinung zu bilden, sagt er. Die Musik nimmt für ihn jedenfalls nicht die Hauptrolle ein.
«In meinem Gewerbe erfreut man sich an den Leuten. »
Tobler, Sprachrohr des Gastgewerbes während der Coronapandemie, geniesst es jedenfalls, dass Einschränkungen und Massnahmen für einmal kein Thema sind – wenn auch mit einem etwas «mulmigen Gefühl im Bauch».
Bei Nayla Stössel ruft das diesjährige Open Air Jugenderinnerungen wach. «Musik gibt eine unglaubliche Energie», sagt die OK-Präsidentin des CSIO St.Gallen. Vom Springreitturnier, das in diesem Jahr ebenfalls nach zweijähriger Durststrecke wieder stattfand, unterscheidet sich das Festival laut Stössel vor allem in zwei Sachen: Dresscode und Lautstärke.