Kolumne
Von Märchenerzählerinnen, Krawattenrebellen und Glockengeplagten

Silvan Lüchinger schreibt in seiner Kolumne «Lü» über die vergangene Woche und fasst zusammen, was ihm dabei ins Auge gestochen ist.

Silvan Lüchinger
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Silvan Lüchinger.

Silvan Lüchinger.

Bild: Coralie Wenger

Trudi Gerster, geboren und aufgewachsen in St.Gallen, war die bekannteste Märchenerzählerin der Schweiz. Dennoch erinnert bis heute weder ein Strassenname noch ein Platz an sie. Das hat weniger mit Geringschätzung durch ihren Heimatort als mit Vorsicht zu tun. Erhielten nur schon alle politischen St.Galler Märchenerzähler eine eigene Strasse, müsste die Stadt neu gezeichnet werden.

Die Migros bewertet neuerdings ihr eigenes Angebot mit Sternen. Ein Stern steht für «viel Verbesserungspotenzial», fünf Sterne für «nachhaltig vorbildlich». Gurken kommen auf fünf Sterne, irisches Rindfleisch und Rosen aus Kenia erhalten nur einen. So schwierig, da besser zu werden, wäre es eigentlich nicht. Nicht mehr anbieten.

In einem Livestream hat sich der Gemeinderat von Tübach den Fragen der Bevölkerung gestellt. Technisch hat alles hervorragend geklappt. Unschwer zu erkennen war aber eine gewisse Verwilderung der Sitten. Die Gemeinderäte traten ohne Krawatte auf – angeblich auf Anregung des neuen Schulratspräsidenten. Beim nächsten Livestream im Sommer werden dann wohl auch Badehosen erlaubt sein.

Nach jahrelangem Streit trägt die Gemeinde Steinach den Lärmschutzwall Kehlhof an der Autobahn auf einem Drittel der Länge ab. Errichtet worden war der Damm mit dem Aushub einer nahen Überbauung. An sich vernünftig – aber der Wall geriet weit höher als ursprünglich vorgesehen. Die Rückbauübung kostet die Gemeinde rund 40'000 Franken, und was mit dem Dreck jetzt passiert, ist auch noch unklar. Vielleicht müsste man dem Steinacher Gemeinderat noch sagen, dass der ihn nicht in den See kippen darf.

Ein Weinfelder Unternehmer bietet Brausepulver für Hunde an – damit die armen Tiere nicht immer nur bares Wasser trinken müssen. Um die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, gibt es als Nächstes wohl Milchdrinks für Kühe.

Schön tönen sie nicht mehr, die Glocken der evangelischen Kirche Kirchberg. Anwohner reden von Gescherbel und verlangen eine Sanierung – und zwar subito. Die evangelische Kirchenvorsteherschaft verschliesst sich dem nicht, will das Geläut aber erst nächstes Jahr in Ordnung bringen. Aus Gründen der Investitionsplanung. Dass es darum gehe, die musikalischen Katholiken noch ein weiteres Jahr zu ärgern, sei frei erfunden.

In der Ostschweiz leiden alle Kantone an einer stetigen Abwanderung ihrer Hochschulabsolventen. Appenzell Ausserrhoden ist besonders stark vom sogenannten «Braindrain» betroffen. Die Quote betrug von 2015 bis 2019 82 Prozent. Der Kanton belegt damit schweizweit den Spitzenplatz. Noch zweimal das Silvesterchlausen verbieten, und Ausserrhoden verliert den Verstand ganz.

Der Kanton St.Gallen arbeitet an einem neuen Universitätsgesetz. SP-Kantonalpräsident Max Lemmenmeier fordert, dass der Mittelbau gestärkt wird und alle gesellschaftlichen Gruppen, darunter etwa auch Leute aus der Gewerkschaft, Einfluss auf die Uni nehmen können. Recht hat der Mann. Auch die Coronaskeptiker und die Impfgegner sollen mitreden dürfen – schliesslich sind sie ebenfalls eine gesellschaftliche Gruppe.

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