Gedankenstrich-Kolumne
Toni Brunner: Eine Tour fürs Leben

Er liebt regionale Bräuche und typisch eidgenössische Anlässe ‒ und deshalb hat unser Kolumnist Toni Brunner ein Ziel: Er möchte sie alle, jedenfalls die wichtigeren, einmal besucht haben. Am Wochenende ist er diesem Ziel näher gekommen ‒ ungewollt.

Toni Brunner
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Toni Brunner, «Tagblatt»-Kolumnist.

Toni Brunner, «Tagblatt»-Kolumnist.

Bild: Michel Canonica

Man hat doch im Leben immer ein paar bescheidene Ziele. Eines davon bei mir: Dass ich alle typisch eidgenössischen oder regionalen Bräuche oder Veranstaltungen – also alles was es nur bei uns in der Schweiz gibt - mindestens einmal miterlebt habe.

Mich faszinieren historische Bräuche, Anlässe und Wettkämpfe. Weil sie die jeweiligen Zeiten überdauern, für die Bevölkerung von Bedeutung sind und sich über all die Jahrzehnte ‒ teils Jahrhunderte ‒ etabliert haben. Es geht um Identität und Kultur.

Und so hat sich in meinem Leben schon so manches eindrückliche Erlebnis ergeben. Herausragend in meiner Erinnerung bleibt der Besuch der Innerrhoder Landsgemeinde. Anmutig, festlich, ernst. Natürlich war es meine heilige Pflicht, auch die Glarner Landsgemeinde zu besuchen. Ganz anders, aber ebenso mit Traditionen bespickt wie die Innerrhoder Schwester. In bester Erinnerung die Glarner Kalberwurst. Faszinierend die Lauberhornabfahrt mit dem Hundschopf. Ehrensache für mich natürlich die Eringerstechfeste im Wallis. Für uns Toggenburger sind Schwingfeste wie das Schwägalp-Schwinget ein Muss, oder die grossen Eidgenössischen Schwing- und Älplerfeste. Nicht nur das «Eidgenössische», auch das Kilchbergschwinget oder das Unspunnenfest. Dann unsere Alpaufzüge oder das Silvesterklausen im Ausserrhodischen. Die Basler Fasnacht mit dem «Morgestraich» oder das historische Rütlischiessen.

Und immer gibt es noch ganz vieles, das ich selbst nicht besucht habe. So war ich noch nie beim Bloch dabei, war noch nie an einem Hornusserfest, noch nie am Stoss-Schiessen in Gais zur Erinnerung an die Appenzeller-Freiheitskriege (das werde ich dieses Jahr nachholen) und ich war noch nie an der Luzerner Fasnacht. Auch hatte ich noch nie die Tour de Suisse live miterlebt. Bis gestern. Und das kam so.

Wir alpen unsere Kühe in Malbun im Fürstentum Liechtenstein und daher war ich etwas überrascht, dass uns ausgerechnet die Tour de Suisse unserer Aufalpung einen kleinen Strich durch die Rechnung machte. Die grösste Schweizer Radtour machte am vergangenen Wochenende im Fürstentum Liechtenstein halt. Gestern beim abschliessenden Zeitfahren in Vaduz und vorgestern von Ambri kommend mit Ziel Malbun.

Somit war ausgerechnet jene Strasse, die wir für die Aufalpung unserer Tiere gerne benutzt hätten, von morgens früh bis abends gesperrt. Wir mussten also kurzfristig auf den Freitag ausweichen, und weil ich immer drei Tage (bis die Hierarchie in der Herde gefestigt ist) auf der Alp bei den Tieren bleibe, sah ich natürlich meine Chance: Einmal live einem Zieleinlauf der Tour de Suisse beizuwohnen.

Von der Alp Guschg Richtung Malbun wandernd, hörten wir im Tal bereits den ganzen Tross mit dem einheimischen Speaker. Eindrücklich das «ganze Rösslispiel» mit all den Fahrern, Betreuern, Teams und Fans. Thibaut Pinot aus Frankreich wurde Tagessieger und der hasst die Hitze. Es war sauheiss. Also Chapeau! Die Fahrer waren am Morgen noch im Tessin und haben in Etappe 7 nochmals 200 km abgestrampelt.

Radrennsport gehört zur Schweiz wie der Emmentaler. Umso schöner, dass mit Stefan Küng oder Michael Schär Schweizer mitfighteten. Plötzlich stand neben mir einer, den sie in der Szene und weit darüber hinaus bis heute verehren: Fabian Cancellara, zu seinen Zeiten ein Weltstar.

Und das Verrückte: Gefühlte zwei Stunden nach dem Rennen, war Malbun wieder Malbun. Der Tross weg und das Ganze kam uns allen ein bisschen wie ein Spuk vor. Vorher Rambazamba, zwei Stunden später nichts mehr.

Wir kehrten zurück zu unseren Tieren auf die Alp. Sie haben vom Rennen nichts mitbekommen. Die Tour de Suisse war eindrücklich, aber im Zweifelsfall bin ich halt doch lieber bei den Tieren. Die Alpkönigin ist mein Toursieger. Es gewinnt, wer am letzten Tag der oder die Beste ist.

Toni Brunner, der ehemalige Präsident der SVP Schweiz, ist Gastwirt und Bergbauer im Toggenburg. Er schreibt diese Kolumne immer montags im Turnus mit Samantha Wanjiru, Walter Hugentobler und Ulrike Landfester.