Betrug
9000 gefälschte Covid-Zertifikate, über ein Dutzend Hausdurchsuchungen: St.Galler Staatsanwaltschaft erhebt erste Anklagen im Fälschungsskandal

Betrüger hatten im Kanton St.Gallen während der Pandemie Tausende gefälschte Coronazertifikate illegal ausgestellt. Nun erhebt die St.Galler Staatsanwaltschaft erste Anklagen gegen drei mutmassliche Hersteller. Den Beteiligten wird Urkundenfälschung vorgeworfen.

Enrico Kampmann, Natascha Arsić Jetzt kommentieren
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Mutmasslich wurden über 9000 Zertifikate gefälscht.

Mutmasslich wurden über 9000 Zertifikate gefälscht.

Bild: Gaetan Bally / Keystone

Es ist der bislang grösste Fälschungsskandal von Covid-19-Zertifikaten in der Schweiz: Mitte Dezember 2021 konnten die Behörden im Kanton St.Gallen 6000 Covid-19-Zertifikate nachweisen, die illegal ausgestellt wurden. Mittlerweile ist die Zahl auf 9000 gestiegen.

Vor einem Jahr liess die St.Galler Staatsanwaltschaft zehn Personen verhaften und es kam zu mehr als einem Dutzend Hausdurchsuchungen. Seither führt sie rund 20 Strafverfahren gegen Personen, die im Verdacht stehen, Zertifikate unrechtmässig hergestellt oder vermittelt zu haben. Nun sollen Ende Januar die ersten drei Anklagen beim zuständigen Kreisgericht erhoben werden.

Den drei Beschuldigten wird vorgeworfen, unmittelbar in die Herstellung der formell authentischen, aber missbräuchlich erstellten Zertifikate involviert gewesen zu sein, bestätigt Leo-Philippe Menzel, Sprecher der St.Galler Staatsanwaltschaft. Gegen die Verdächtigen werde wegen Urkundenfälschung ermittelt. Bei einer Verurteilung droht ihnen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.

Testcentermitarbeiterin stellte ihren Account zur Verfügung

Wie aus einem Strafbefehl gegen eine Käuferin hervorgeht, welcher der Redaktion vorliegt, hatten die Hersteller über eine Mitarbeiterin eines privaten Testzentrums in St.Gallen Zugang zur entsprechenden Webapplikation des Bundesamts für Gesundheit. «Unter missbräuchlicher Verwendung des Benutzeraccounts dieser Testcentermitarbeiterin» konnten sie «inhaltlich unwahre Covid-Impfzertifikate für beliebige Personen ausstellen und auf elektronischem Wege verschicken».

Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht sogar von mehreren Mitarbeitenden bei verschiedenen Testzentren, die ihren Zugang missbräuchlich weitergaben und sich dafür bezahlen liessen.

Einer der mutmasslichen Hersteller arbeitete gemeinsam mit einer Käuferin und Vermittlerin der gefälschten Zertifikate im gleichen Finanz- und Versicherungsberatungsunternehmen in Widnau. Dies geht aus dem Strafbefehl gegen die Frau hervor. Darin ist ebenfalls zu lesen, dass sie ihr für 300 Franken erstandenes Covid-Zertifikat nur einmal benutzte – «um damit im Migros-Restaurant in Widnau einen Kaffee zu trinken».

Ob es sich beim erwähnten Hersteller um eine der drei Personen handelt, die Ende Januar angeklagt werden sollen, ist unklar.

Die Käufer erwartet ebenfalls eine Strafe

Von den rund 9000 illegal hergestellten Coronazertifikaten seien rund 8000 Impfzertifikate, beim Rest handle es sich um Genesenen- und vereinzelte Testzertifikate, sagt Menzel. Personen, die ein gefälschtes Covid-19-Zertifikat erworben haben, zahlten zwischen 300 und 800 Franken dafür.

«Je mehr Zwischenhändler involviert waren, desto teurer wurden die Zertifikate für die Abnehmerinnen und Abnehmer.»

Auch die Käufer machten sich strafbar. Ihnen drohen eine bedingte Geldstrafe sowie eine Busse. Bislang wurden gemäss Menzel rund 130 Verfahren abgeschlossen. 84 seien rechtskräftig erledigt, davon 56 mit einem Strafbefehl. Wie aus den Dutzenden Strafbefehlen hervorgeht, die der Redaktion vorliegen, hatten die Käufer verschiedenste Gründe für den Erwerb.

Eine 54-Jährige verwendete das gefälschte Zertifikat beispielsweise, um unbefugt ins Wohn- und Pflegezentrum in Bernhardzell hineinzukommen, in dem zu diesem Zeitpunkt die Zertifikatspflicht galt. Eine 30-Jährige nutzte die Fälschung im November 2021 für eine USA-Reise, eine 21-Jährige reiste damit nach Frankreich.

Ein weiterer damals 21-Jähriger benutzte das gefälschte Zertifikat gemäss eigenen Angaben kein einziges Mal, sondern löschte es kurz nach Erhalt wieder. «Aufgrund einer zeitnahen Intervention seiner Eltern».

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