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Ostschweiz
Ein Feuerwerkskörper detoniert auf dem Rasen der Swissporarena und sorgt bei einem Matchbesucher für einen schweren Gehörschaden. Die Swica weigert sich, die Folgekosten zu übernehmen – und bekommt vom Bundesgericht nun recht.
Der Knall hatte gravierende Folgen. Hochgradige Innenohrschwerhörigkeit und Tinnitus zweiten Grades, lautete die Diagnose. Dazu wurde eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Das Opfer, ein Familienvater Anfang 50, war einer der 9898 Zuschauer, die an jenem Sonntag im Februar 2016 das Spiel zwischen dem FC Luzern und dem FC St. Gallen in der Swissporarena verfolgten. Kurz nach Anpfiff kamen aus dem Gästesektor Feuerwerkskörper auf den Rasen geflogen, einer detonierte – 20,3 Meter vom Matchbesucher entfernt.
Der Täter, ein damals 22-jähriger Anhänger des FC St.Gallen, wurde unter anderem wegen schwerer Körperverletzung schuldig gesprochen, das Strafmass steht noch nicht definitiv fest. Das Urteil des Bundesstrafgerichts, wonach der Ostschweizer 12 der insgesamt 30 Monate Freiheitsstrafe absitzen müsste, wurde vom Beschuldigten an die Berufungskammer weitergezogen.
Der Pyro-Wurf beschäftigt die Gerichte auch aus einem anderen Grund bis heute: Die Unfallversicherung des geschädigten Luzerners weigert sich, Leistungen zu erbringen. Weder für Hörgeräte noch für Taggelder will die Swica aufkommen. Vor dem Luzerner Kantonsgericht erlitt der Unfallversicherer im Juni 2019 allerdings eine Niederlage – und wurde zur Zahlung verknurrt. Die Swica akzeptierte den Entscheid nicht, weshalb das Bundesgericht das letzte Wort hat.
Die zentrale Frage, die von der obersten Instanz zu klären war: Handelt es sich bei der Detonation des Feuerwerkskörpers um einen Unfall, wie ihn das Gesetz für eine Leistungspflicht des Versicherers verlangt? Vorausgesetzt wird eine «plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper», heisst es im entsprechenden Artikel. Doch darüber, was ungewöhnlich ist, gehen die Meinungen auseinander. Das Luzerner Kantonsgericht hatte entschieden, ein ungewöhnlicher äusserer Faktor liege allein schon deshalb vor, weil der detonierte Feuerwerkskörper zur gefährlichsten Kategorie zähle und nicht im offenen Verkauf erhältlich sei. Die Swica auf der anderen Seite hält dieses Kriterium nicht für erfüllt und verweist auf das akustische Gutachten, worin ein Experte die Lautstärke der Detonation mit maximal 116,2 Dezibel – vom Platz des Matchbesuchers aus berechnet – beziffert hat. Das ist tiefer als die 120 Dezibel, welche die Suva als Präventionsgrenzwert für impulsartige Schallereignisse am Arbeitsplatz festschreibt.
Das Bundesgericht weist in seinem am Mittwoch veröffentlichten Urteil darauf hin, dass als ungewöhnlich zu gelten hat, was «nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist». Die obersten Richter stützen ihren Entscheid auf die Erkenntnisse des akustischen Gutachtens, wonach bei einem Knall dieser Lautstärke normalerweise keine bleibenden Gehörschäden zu erwarten seien. Da die Eventualität einer dauernden Gehörsverletzung bei weit unter einem Prozent liege, sei eine solche Folge nur bei einer erhöhten Anfälligkeit möglich. Und, so hielt der Gutachter weiter fest: Nach den Suva-Regeln sei die Belastung durch ein einzelnes solches Ereignis noch ohne Gehörschutz zulässig. Die oberste Instanz weist im Entscheid zudem auf den maximalen Wert von 125 Dezibel hin, der bei Veranstaltungen mit elektroakustisch verstärktem Schall nicht überschritten werden darf.
Das Bundesgericht kommt daher zum Schluss: «Ein einmaliger, nur sehr kurz andauernder Schallexpositionspegelwert von 112,2 bzw. von maximal 116,2 Dezibel ist im Rahmen einer Fussballspielveranstaltung mit grosser Menschenansammlung, wo der Einsatz von Lärm verursachenden Gegenständen wie Petarden, Trillerpfeifen und Vuvuzelas üblich ist, jedenfalls nicht ungewöhnlich.» Daher könne es sich auch nicht um einen Unfall handeln, der die Swica zur Übernahme der Kosten verpflichten würde. Ihre Beschwerde wird gutgeheissen. Der Matchbesucher erhält keine Gelder von der Unfallversicherung, stattdessen muss er die Gerichtskosten von 800 Franken bezahlen.
Bundesgerichtsurteil 8C_545/2019 vom 14. November 2019