Plötzlich ist die Chefärztin weg — abrupter Abgang an der Klinik für Neurochirurgie am Kantonsspital St.Gallen

Die Absetzung der Chefärztin und mehrere Kündigungen an der Spitze der Klinik für Neurochirurgie am Kantonsspital St.Gallen werfen Fragen auf. Ehemalige Kaderärzte des Spitals fürchten um die Qualität der Klinik.

Regula Weik
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Magnetresonanz-Scans des Gehirns. (Bild: Getty)

Magnetresonanz-Scans des Gehirns. (Bild: Getty)

Sie hätte dieser Tage für einen Eingriff ins Kantonsspital St.Gallen einrücken sollen. Der Operationstermin war fixiert. Die operierende Ärztin auch. Doch dann überstürzen sich die Ereignisse. Plötzlich ist die Ärztin weg – ein anderer Arzt soll die Operation ausführen. «Auf telefonische Anfrage wurde mir mitgeteilt, Frau Weyerbrock habe eine Auszeit genommen», schreibt die Patientin. Die Erklärung lässt sie ratlos zurück. Sie mag nicht an eine spontane Auszeit der Ärztin glauben. Umso weniger, als Astrid Weyerbrock nicht irgendeine Ärztin am Kantonsspital ist. Sie ist Chefärztin und Leiterin der Klinik für Neurochirurgie. Die Patientin sagt denn auch:

«Es geschehen merkwürdige Dinge am Kantonsspital St.Gallen.»

Ein Blick auf die Homepage der Klinik für Neurochirurgie zeigt: Astrid Weyerbrock gehört dem Team nicht mehr an; ihr Name findet sich nicht mehr unter den Ärztinnen und Ärzten, die an der Klinik arbeiten.

Philipp Lutz, Mediensprecher Kantonsspital St.Gallen. (Bild: pd)

Philipp Lutz, Mediensprecher Kantonsspital St.Gallen. (Bild: pd)

«Sie wurde von ihren Pflichten entbunden»

Die Auszeiterklärung erscheint zunehmend unglaubwürdig. Daher die Fragen an die Spitalleitung: Was ist passiert? Wurde die Chefärztin abgesetzt? Auskunft erteilt Philipp Lutz, Mediensprecher des Kantonsspitals St.Gallen, und er erklärt: Chefärztin Astrid Weyerbrock sei «von ihren Pflichten entbunden worden». Nach den Gründen für die Absetzung gefragt, sagt er: «Die Geschäftsleitung des Kantonsspitals und der Verwaltungsrat der Spitalverbunde waren mit der bisherigen Klinikleiterin uneins über die Entwicklung und die weitere Ausrichtung der Klinik.» Uneins? Was nach leichter Unstimmigkeit tönt, dürfte in Tat und Wahrheit ein gröberes Zerwürfnis gewesen sein. Auf Nachfrage fügt Lutz an:

«Die Differenzen erwiesen sich als unüberbrückbar.»

Astrid Weyerbrock leitete die Klinik für Neurochirurgie seit 2016. Die damals 48-Jährige trat die Nachfolge von Chefarzt Gerhard Hildebrandt an, der in Pension ging. Vor ihrem Wechsel nach St.Gallen war sie als Vertreterin des Ärztlichen Direktors der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Freiburg tätig gewesen.

Schwelte Konflikt schon länger?

Unüberbrückbare Differenzen? Diese Formulierung muss meistens dann herhalten, wenn über die Hintergründe einer Trennung niemand reden will. Der Konflikt dauere schon länger an, es werde schon länger «rumgedoktert», heisst es aus kantonsspitalnahen Kreisen. Es habe immer wieder Kritik an der Chefärztin gegeben. Von schwieriger Kommunikation ist die Rede. Von erfolglosen Gesprächen. Von gescheiterten Aussprachen. Und davon, dass sich die Spitalleitung schon früher eine Trennung überlegt habe, ihr aber die Hände gebunden gewesen seien. Vermutungen oder Tatsachen? Gerüchte oder Wahrheiten? Konkrete Fragen dazu bleiben unbeantwortet. «Weitere Angaben kann ich nicht machen», so Mediensprecher Lutz.

In der internen Mitteilung, mit welcher Daniel Germann, Direktor und Vorsitzender der Geschäftsleitung des Kantonsspitals, die Mitarbeitenden über den Wechsel an der Klinikspitze informierte, heisst es, er bedanke sich bei «Prof. Dr. A. Weyerbrock für die geleisteten Dienste» und wünsche ihr «persönlich und beruflich für die Zukunft alles Gute».

Die vom Wechsel betroffene Patientin schildert die abgesetzte Klinikleiterin als eine «äusserst empathische Ärztin», die über ein enormes Wissen in der Neurochirurgie verfüge. «Ich hatte volles Vertrauen zu ihr.» Weyerbrock ist für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Mails etwa werden retourniert:

«Ihre Nachricht kann derzeit nicht beantwortet werden.»
Nicht mehr am Kantonsspital tätig: Astrid Weyerbrock. (Bild: pd)

Nicht mehr am Kantonsspital tätig: Astrid Weyerbrock. (Bild: pd)

Die Klinik für Neurochirurgie ist nach der Absetzung der Chefärztin nicht führungslos; die Geschäftsleitung hat eine Interimsleitung eingesetzt. Die Klinikleitung übernahm per sofort Sandro Stöckli, Chefarzt der Hals-Nasen-Ohrenklinik und Chairman des Medizinischen Departements III, zu welchem auch die Klinik für Neurochirurgie gehört. Für die fachliche Leitung ist neu der stellvertretende Chefarzt und Leitende Arzt Heiko Richter zuständig. Die definitive Nachfolge ist noch offen. Die Geschäftsleitung will die Mitarbeitenden «zu gegebener Zeit» informieren, wie es in der internen Mitteilung heisst.

Ehemalige Kaderärzte fürchten um Qualität
der Klinik

Allzu viel Zeit bleibt den Spitalverantwortlichen nicht. Denn Heiko Richter wie auch der zweite Leitende Arzt der Klinik für Neurochirurgie, Heiko Dreeskamp, haben gekündigt – wenige Wochen vor der Absetzung der Chefärztin. Die Kündigungen der beiden Leitenden Ärzte habe das Fass wohl zum Überlaufen gebracht, wird in Spitalkreisen gemunkelt. Mediensprecher Lutz bestätigt die beiden Kündigungen. Wurden sie nach dem abrupten Abgang der Klinikleiterin rückgängig gemacht? «Nein», sagt Lutz.

Die Klinik für Neurochirurgie verliere mit Richter und Dreeskamp «die letzten beiden Kaderärzte mit langjähriger Operationserfahrung», sagt ein ehemaliger Kaderarzt des Kantonsspitals. Die fachliche Kompetenz der Klinik leide durch deren Abgänge «massiv». Es müssten nun praktisch gleichzeitig die Chefärztin und zwei Leitende Ärzte ersetzt werden – «qualifizierte Leute für diese Positionen sind rar, sie stehen nicht am Strassenrand». Daher seine Befürchtung: Das Kantonsspital werde vorübergehend wohl für eine ganze Reihe komplexer Operationen über «kein oder zu wenig qualifiziertes Personal» verfügen und Patienten extern verlegen müssen.

Auf die Frage nach einem Eingriff, bei dem dies der Fall sein könnte, antwortet er: «Bei einer Hirnblutung durch ein geplatztes Aneurysma im Kopf, der Aufweitung eines Hirngefässes.» Dasselbe gelte für gewisse komplexe Eingriffe am Rückenmark oder an der Schädelbasis. An der Klinik für Neurochirurgie werden Patientinnen und Patienten mit Erkrankungen des Gehirns, der Wirbelsäule, des Rückenmarks, der Nerven sowie mit Schädel-Hirn-Trauma behandelt.

Ein anderer ehemaliger Kaderarzt sagt:

«Die Klinik wird gegen die Wand gefahren.»

Auch er sorgt sich um die Qualität. Es seien längst nicht alle Abgänge «adäquat» ersetzt worden. Über kurz oder lang, so seine Einschätzung, werde sich dies in den Patientenzahlen niederschlagen. Der Klinikbetrieb bleibe «in jeder Hinsicht» gewährleistet, antwortet Mediensprecher Lutz auf die Frage, wie die Qualität der Klinik trotz der Abgänge gesichert werden soll. Die verunsicherte Patientin hat längst entschieden: «Ich kenne den Arzt nicht, der die Operation übernehmen und ausführen sollte. Deshalb habe ich die Operation abgesagt. Ich werde mich anderweitig orientieren.»