Jedes dritte Kind in der Schweiz kommt per Kaiserschnitt zur Welt. Die HypnoBirthing-Methode setzt einen Gegentrend: Sie bestärkt Frauen darin, ihrem Körper die natürliche Geburt zuzutrauen.
Es gibt diesen besonderen Moment während einer Geburt. "Fast bei jeder Frau kann ich ihn beobachten", sagt Hebamme Sarah Castiglioni. Die Frau gerate irgendwann in einen tranceähnlichen Zustand – "und ich getraue mich dann aus Respekt fast nicht mehr zu sprechen oder sonst zu stören. Das sind irgendwie heilige Momente mitten unter den Strapazen einer Geburt." Dieses Phänomen beobachtete Sarah Castiglioni schon lange bevor sie mit dem Thema HypnoBirthing in Kontakt kam.
Mit Sorge beobachten viele Hebammen den zunehmenden Trend zu Kaiserschnitt-Geburten in der Schweiz. Gut 33 Prozent der Kinder werden in der Schweiz laut Statistik des Bundesamtes für Gesundheit nicht über eine vaginale Entbindung geboren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt eine Obergrenze für Kaiserschnitte von 10 bis 15 Prozent.
Dank Hormonen in Trance
Der französische Frauenarzt Frédérick Leboyer und der englische Gynäkologe Grantly Dick-Read beschrieben schon vor Jahrzehnten, dass Frauen unter der Geburt dank einer Hormonausschüttung fähig sind, sich in eine Art Trance zu versetzen. "Das Wissen um diese Geburtstrance ist also nicht neu", sagt Sarah Castiglioni. Als die St.Galler Hebamme von der Methode HypnoBirthing erfuhr, bei der Frauen Selbsthypnosetechniken erlernen können, liess sie sich zur Kursleiterin ausbilden. Doch eine gewisse Skepsis gegenüber der Hypnose blieb. Bis sie ihr erstes Paar mit dieser Methode begleitete: "Die von Missbrauch traumatisierte Frau wurde ungewollt schwanger und hatte panische Angst vor der Geburt und vor medizinischen Eingriffen", so Castiglioni. Von ihrem Partner unterstützt, machte sie bei ihr einen HypnoBirthing-Geburtsvorbereitungkurs. "Die Frau erlebte eine gute und sanfte Geburt und dadurch auch so etwas wie eine Heilung ihres Traumas", so Castiglioni.
Vollends überzeugt hat sie die Methode, als sie selbst Zwillinge ganz natürlich, ohne jegliche Schmerzmittel gebären konnte. "Dank der Hypnosetechniken konnte ich mich immer wieder komplett entspannen. Ich fühlte mich sehr gut auf die Geburt vorbereitet, war voller Vertrauen." Es sei entscheidend, mit welcher inneren Grundhaltung Hebammen und Ärzte Frauen durch die Schwangerschaft und während der Geburt begleiten würden.
Aus den USA
Sydney Sobotka hat HypnoBirthing im Jahr 2004 in die Schweiz gebracht und leitet seit 2006 Kurse zum Erlernen der Methode. Die Amerikanerin, die in Urdorf lebt, absolvierte eine vielfältige Ausbildung rund um Hypnosetechniken und ist Mitgründerin der HypnoBirthing Gesellschaft Europa (HBGE). Sie bezeichnet die Geburt unter Hypnose als eine Art Prävention, um zu vielen medizinischen Eingriffen vorzubeugen. Der Kaiserschnitt sei zwar ein Segen der modernen Medizin, doch allzu oft werde er voreilig durchgeführt. "Hypnose ist keine mysteriöse, esoterische Sache, sondern eine Methode, bei der man lernt, etwas auszublenden, sich zu fokussieren, positiv zu denken." HypnoBirthing sage keiner Frau, wie sie gebären soll, aber versuche, die Angst vor der Geburt und damit die Stresshormone zu verringern. "Nicht nur werdende Mütter besuchen die Kurse, sondern immer mehr Ärzte interessieren sich für die Methode", sagt Sobotka. Hypnose werde zunehmend in verschiedenen Gebieten eingesetzt, nicht zuletzt auch im Sport.
Auch Kantonsspital macht mit
Die positiven Seiten der Hypnose hat auch das Kantonsspital St.Gallen entdeckt. "Als die Methode der Geburt unter Hypnose populärer wurde, haben wir Schulungen zu diesem Thema bei unseren Ärzten, Hebammen und dem Pflegepersonal durchgeführt", sagt Tina Fischer, leitende Ärztin in der Frauenklinik des Kantonsspitals. "Wir möchten, dass unser Team Bescheid weiss über diese Methode. Und wir machen das sehr gerne mit, weil möglichst natürliche und schöne Geburten unser Ziel sind." Deshalb werde in der Frauenklinik auch mit Methoden der traditionellen chinesischen Medizin oder Homöopathie gearbeitet.
Am Kantonsspital St.Gallen kommen pro Jahr 1400 bis 1500 Babys zur Welt. Viele davon sind Geburten mit Komplikationen, die ans Kantonsspital zugewiesen werden - da muss es oft schnell gehen oder sind besondere Vorkehrungen nötig und Hypnose oder andere alternativen Methoden haben wenig Platz. Aber zwei bis fünf Gebärende pro Monat wenden die HypnoBirthing Methode an. "Diese Frauen sind oft ruhiger und entspannter als andere Gebärende", beobachtet die Ärztin. Ein Problem sieht Tina Fischer höchstens darin, dass Frauen nach der Geburt manchmal enttäuscht sind über sich selber, wenn sie nicht eine Bilderbuch-Geburt erleben und trotz aller Vorbereitung ein Kaiserschnitt oder Schmerzmittel nötig wurden. "Wir sind kaum mit Widerstand der Frauen gegen nötige Eingriffe konfrontiert, aber mit hohen Ansprüchen, die Frauen an sich selber stellen." Aber grundsätzlich sei es für sie als leitende Ärztin in jedem Fall positiv, wenn sich Frauen vor der Geburt mit diesem grossen Ereignis beschäftigen und sich darauf vorbereiten.
Angst-Spannungs-Schmerzsyndrom
Auch Hebamme Heidrun Winter kennt die speziellen Momente der Geburtstrance aus ihrer 17-jährigen Erfahrung als Geburtsbegleiterin. Lange leitete sie Geburtsvorbereitungskurse, vermittelte die Theorie zu den Vorgängen im Körper der Frau und das richtige Atmen, "aber eine Dimension fehlte mir immer dabei." Als Heidrun Winter auf die aus den USA stammende Methode HypnoBirthing stiess, war das für sie ein Aha-Erlebnis: "Das war genau, was ich suchte." Auch sie stört sich zwar am Begriff Hypnose, mit dem diese Art der Geburtsvorbereitung bezeichnet wird. "Das kann Leute auf eine falsche Fährte führen." Hypnose assoziiere man gern mit Willenlosigkeit. Doch bei einer Geburt unter Selbsthypnose sei genau das Gegenteil der Fall: Die werdenden Mütter und Väter sollen in der Vorbereitung auf das grosse Ereignis Geburt lernen, gut auf sich zu hören und für sich einzustehen.
Tränen der Enttäuschung
"Wir versprechen mit der HypnoBirthing-Methode keine Geburt ohne Schmerzen", sagen Sarah Castiglioni und Heidrun Winter von der Hebammenpraxis St.Gallen. Vielmehr gehe es darum, die Fähigkeiten, die jede Frau in sich trägt, zu unterstützen. Dank der Entspannungstechniken erhöht die Frau die Ausschüttung körpereigener, schmerzlindernder Hormone – das Angst-Spannungs-Schmerzsyndrom kann umgangen werden. Das Resultat: Kürzere Geburten, geringer Einsatz von Medikamenten, weniger medizinische Eingriffe.
Eine gute Geburt sei das Ziel des Kurses. Das könne aber, wenn es die Umstände erfordern, auch eine Kaiserschnitt-Geburt sein. Aber es sei für die werdenden Eltern sehr wichtig, dass sie im richtigen Moment fähig seien, die richtigen Fragen zu stellen. "Es fliessen bei den Frauen nicht selten Tränen der Enttäuschung nach ihrem Geburtserlebnis, wenn ich sie ein paar Tage später zu Hause besuche", erzählt Heidrun Winter aus ihrer Erfahrung. "Viele fühlen sich überrumpelt von rasch gefällten Entscheiden, fühlen sich übergangen und nicht ernst genommen." Das zeige, wie wichtig es sei, dass Paare während des Geburtsverlaufs immer verstanden haben, weshalb welche Entscheidungen getroffen wurden.
Vertrauen stärken
Das Feedback der Kursteilnehmerinnen am Ende eines HypnoBirthing-Kurses laute oft: "Ich habe jetzt keine Angst mehr vor der Geburt." Das sei genau ihr Ziel: das Vertrauen zu stärken. "Eine Frau ist schliesslich von ihrer Anatomie her gemacht zum Gebären", so Heidrun Winter und Sarah Castiglioni. Aber nicht nur die werdende Mutter profitiere von der Methode des HypnoBirthing: Der Partner spielt eine grosse Rolle. "Die meisten Männer sind etwas skeptisch vor den Kursabenden. Aber wir hatten noch nie einen Mann, der nicht vom Kurs profitieren konnte." Die Paare machten oft einen gemeinsamen Prozess durch in den zwölf Kurslektionen und könnten die Schwangerschaft bewusster erleben. "Je entspannter die Schwangerschaft, desto besser auch die Geburt." Zudem werde sehr viel gelacht in den Kursabenden, was allen einfach gut tue.
Die Frauenärztin Mary F. Mongan entwickelte auf den Grundlagen des Gynäkologen Dr. Grantly Dick-Read (1890 – 1959) eine Geburtsvorbereitungsmethode die auf Beobachtungen rund um das Thema Geburt basiert. Dick-Read stellte fest, dass einige Frauen ruhig und ohne viel Aufhebens gebären können, während andere Frauen unter sehr schmerzhaften Geburten litten. Seine Schlussfolgerung: Frauen, die Schmerzen erwarten und Angst haben, können sich nicht entspannen – das Angst-Spannungs-Schmerz-Syndrom entsteht. Diese Anspannung hemmt die natürliche Geburt, zusätzliche Schmerzen sind die Folge. Sein Buch "Mutter werden ohne Schmerzen" gilt als eine der Grundlagen des HypnoBirthing. Die Methode der Selbsthypnose wird in Amerika seit Jahrzehnten angewandt. In Europa setzt sich die HypnoBirthing Gesellschaft Europa (HBGE) für diese sanfte Geburtsmethode ein. Die Welt Gesundheits Organisation (WHO) unterstützt die Methode des HypnoBirthing.
Ein HypnoBirthing-Kurs dauert vier Abende à drei Lektionen: Am ersten Kursabend findet eine theoretische Einführung zur Hypnose statt. Hypnose als tief entspannter Bewusstseinszustand, vergleichbar mit jenem Moment kurz vor dem Einschlafen. Ziel ist es, die Selbsthypnose ohne Hilfe umsetzen zu können. Am zweiten Abend lernen die Kursteilnehmerinnen vier Techniken kennen. Entspannungstechnik: Lernen, sich zu entspannen und schnell wieder in diese Entspannung zurück zu finden. Atemtechnik: Mit dem richtigen Atmen während der Ruhephasen aber auch während der Wehen dem Schmerz entgegnen. Visualisierungs-Technik: Wer an einem HypnoBirthing-Kurs teilnimmt, lernt, sich innerlich an einen Kraftort zurück zu ziehen oder gedanklich mit Bildern zu arbeiten. Vertiefungs-Technik: Mit Üben und Vertiefen lernen die Kursteilnehmerinnen, schnell wieder in die Entspannung zu finden, unabhängig davon, wie viel Betrieb um sie herum herrscht. Am dritten Kursabend wird ein Geburtsablauf konkret durchgespielt und der vierte Abend gehört der Vertiefung des Gelernten und dem Ausblick auf die Zeit als Familie. Zwischen den Kursabenden erhalten die Paare Hausaufgaben. (chs)
www.hypnobirthing.ch
Die 32-jährige Celin Fässler aus St.Gallen ist zweifache Mutter. Nach der ersten Geburt, die sie als sehr technisch erlebte, entwickelte sie Ängste vor dem zweiten Mal. Sie besuchte deshalb einen HypnoBirthing-Kurs. Und erlebte die zweite Geburt ganz anders.
Frau Fässler, Sie haben zwei Kinder geboren, eines vor und eines nach einem Hypnobirthing-Kurs. Gab es für Sie einen Unterschied, den Sie auf diese Geburtsvorbereitung zurückführen?
Céline Fässler: Die zweite Geburt war auf jeden Fall ganz anders. Beim ersten Kind erhielt ich eine starke Päridualanästhesie, weil ich mir die Geburt nicht zutraute und mich deshalb auch nicht gegen diese Betäubung wehrte. In der Folge habe ich meine Beine nicht mehr gespürt und konnte nicht mehr pressen. Ich war nach der Geburt enttäuscht, weil ich sie als sehr technisch und steril empfand. Ich kam mir überrumpelt vor.
Haben Sie deshalb einen HypnoBirthing-Geburtsvorbereitungskurs in der zweiten Schwangerschaft besucht?
Fässler: Ja, ich habe nach meiner ersten Geburt Ängste entwickelt, auch weil der Start von unserem Sohn nicht optimal war. Jetzt geht es ihm zum Glück gut. Ich habe eine andere Art der Vorbereitung gesucht und habe meinen Mann überredet, mit mir diesen Kurs zu besuchen.
Gab es Widerstände?
Fässler: Das Wort Hypnose hat uns beide etwas irritiert. Es führt in unseren Augen auf eine falsche Fährte. Man ist ja im Kurs nie in einem hypnotisierten, sondern vielmehr in einem tiefenentspannten Zustand. Diese Vorbereitung auf die Geburt war für uns beide eine gute Zeit als Paar. Mein Mann war vom Kurs schliesslich sehr angetan. Ich wende die erlernten Entspannungsübungen auch jetzt noch an.
Haben Sie das Gefühl, das Gelernte hatte einen Einfluss auf ihre zweite Geburt?
Fässler: Meine zweite Geburt ging sehr schnell, deshalb war es unter der Geburt nicht möglich, Entspannungstechniken anzuwenden. Aber ich erlebte eine sehr entspannte Schwangerschaft und konnte sicher auch dank des HypnoBirthing-Kurses das Vertrauen in meinen Körper zurückgewinnen. Ich würde sagen, dass das, was ich gelernt habe, einen positiven Einfluss auf mich hatte und ich deshalb eine problemlose zweite Geburt erleben konnte. Das positive Denken macht viel aus. Es war heilsam für mich, zu spüren, was mein Körper leisten kann.
Reichen 12 Lektionen tatsächlich um diese Techniken zu erlernen, muss man diese Methode nicht richtig lange einüben, bis sie in Fleisch und Blut übergehen?
Fässler: Der Kurs alleine reicht tatsächlich nicht. Man muss zu Hause üben, zum Beispiel immer vor dem Schlafengehen. Es ist ganz ähnlich wie beim autogenen Training. Ich habe am Schluss meiner Schwangerschaft ziemlich schlecht geschlafen, die Entspannungstechniken haben mir da geholfen.
Wem würden Sie einen solchen Kurs empfehlen?
Fässler: Grundsätzlich allen, die etwas Neues lernen und eine etwas selbstbestimmtere Geburt möchten. (chs)