Die IV spart bei den Kindern

ST.GALLEN. Die Invalidenversicherung streitet mit dem Ostschweizer Kinderspital – wegen der Kosten. Die Tarife seien zu hoch, kritisiert die Versicherung, und zahlt weniger. Derweil sitzt das Spital auf ungedeckten Kosten.

Regula Weik
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Das Ostschweizer Kinderspital im Osten der Stadt St. Gallen. (Bild: Urs Bucher)

Das Ostschweizer Kinderspital im Osten der Stadt St. Gallen. (Bild: Urs Bucher)

«Das Verhalten der Invalidenversicherung ist inakzeptabel», findet Thomas Warzinek. Sie setze Tarife fest, ohne die effektiven und von den Kinderspitälern ausgewiesenen Kosten der Behandlungen zu berücksichtigen. «Der aktuelle IV-Tarif führt das Ostschweizer Kinderspital unweigerlich in ein Defizit», ist der CVP-Kantonsrat und Arzt überzeugt; Warzinek ist Urologe.

Versicherung lehnt Vorschlag ab

Noch Anfang Jahr hatte alles gut ausgesehen. Die eigenständigen Kinderspitäler der Schweiz – dazu gehören das Ostschweizer Kinderspital sowie die Universitätskinderspitäler Zürich und beider Basel – hatten mit der Zentralstelle für Medizinaltarife neue Basispreise ausgehandelt. Dann folgte die böse Überraschung; die Invalidenversicherung lehnte diese ab und legte eigenmächtig Abrechnungstarife fest. Sie will den Kinderspitälern nur noch jene Kosten erstatten, die bei einer Behandlung auf einer Allgemeinabteilung im nächstgelegenen Spital entstehen würden, also in einem Spital für Erwachsene.

Grosse Menschen, grosse Kosten – kleine Menschen, kleine Kosten? Thomas Engesser, Leiter Finanzen und ad interim Vorsitzender der Spitalleitung des Ostschweizer Kinderspitals, winkt ab. Das Gegenteil sei der Fall: Die Kindermedizin sei betreuungsintensiver und daher teurer als die Behandlung erwachsener Patientinnen und Patienten.

Nicht alle Kosten gedeckt

Die Folge der neuen IV-Tarife spürt das Ostschweizer Kinderspital direkt in der Kasse. «Es bleiben ungedeckte Kosten», sagt Engesser. Und er fügt an: «Von einer angemessenen Abbildung der Kosten der Kindermedizin sind wir noch weit entfernt – nicht erst seit dem Tarifstreit mit der Invalidenversicherung.»

Nach einem Beispiel gefragt, rechnet Engesser vor: Eine Frühgeburt in der 24. Schwangerschaftswoche führe rasch zu einem Spitalaufenthalt von hundert Tagen. Grob geschätzte Kosten: 250 000 Franken. Die derzeitige Entschädigung der Invalidenversicherung: 200 000 Franken. «Das Ostschweizer Kinderspital bleibt also auf 50 000 Franken ungedeckten Kosten sitzen.» Dies sei kein Einzelfall.

Ein Drittel aller Leistungen

Die Invalidenversicherung ist ein wichtiger Kostenträger des Ostschweizer Kinderspitals. Die Behandlung angeborener Krankheiten – sogenannter Geburtsgebrechen – geht zu ihren Lasten. «Ungefähr ein Drittel aller unserer Leistungen entfällt auf IV-Patienten», sagt Engesser.

Durch die tieferen Tarife dürften dem Kinderspital jährlich 1,2 Million Franken an ungedeckten Kosten entstehen, heisst es dort. Die Träger das Ostschweizer Kinderspitals – das sind die Kantone Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, St. Gallen und Thurgau sowie das Fürstentum Liechtenstein – haben sich bereit erklärt, die Ausfälle vorerst zu vergüten. Längerfristig könne dies kaum die Lösung sein, sagt Engesser. Auf die Frage, ob durch die Finanzpolitik der IV Qualität und Angebot des Kinderspitals gefährdet seien, antwortet der Finanzchef: «Eine ungenügende Finanzierung durch die Invalidenversicherung führt mittelfristig zu einer Verschlechterung und Ausdünnung des Leistungsangebots und gefährdet den Versorgungsauftrag. Längerfristig gefährdet sie die Existenz der Kinderspitäler.»

Warzinek ist inzwischen politisch aktiv geworden Seine Fraktion, CVP und EVP, hat zum Tarifstreit zwischen IV und Ostschweizer Kinderspital einen Vorstoss eingereicht.

Die Haltung der Invalidenversicherung in diesem Tarifstreit sei für sie «nicht nachvollziehbar», sagt Gesundheitschefin Heidi Hanselmann, ohne der Antwort der Regierung auf den Vorstoss vorgreifen zu wollen. Und sie bestätigt die Aussagen des Finanzchefs: Die von der IV vorgeschlagenen Tarife seien für die Kinderspitäler «nicht kostendeckend; sie sind nachweislich auf höhere Tarife angewiesen».

Zusätzliche Kosten für Kanton

Die zusätzlichen finanziellen Belastungen für den Kanton St. Gallen schätzt Heidi Hanselmann auf 800 000 bis zu einer Million Franken pro Jahr. Im Falle einer Einigung mit der Invalidenversicherung würde das vorgeschossene Geld an die Träger zurückfliessen. Unbestritten ist für die Gesundheitschefin: «Die neue Spitalfinanzierung darf nicht dazu führen, dass die Kantone zu tief angesetzte Tarife kompensieren müssen.»