Im Gegensatz zu St.Gallen hat der Kanton Aargau seit 2004 bereits fünf Durchgangsplätze für Fahrende in Betrieb genommen. Marco Peyer von der Fachstelle Fahrende bei der Abteilung Raumentwicklung erklärt das Vorgehen im Aargau – und was St.Gallen daraus lernen könnte.
Der Kanton St.Gallen plante zwei Durchgangsplätze für Fahrende, die am Widerstand beider Gemeinden scheiterten. Haben Sie die St.Galler Bemühungen verfolgt?
Marco Peyer: Ja, eine bedauerliche Situation für den Kanton St.Gallen. Soweit ich das beurteilen kann, waren an beiden Orten die Voraussetzungen aus raumplanerischer Sicht sehr gut.
Das Kopfschütteln in Aarau dürfte gross sein, da sich Ihr Kanton ja auf das St.Galler Konzept für Fahrenden-Plätze abstützt.
Peyer: Tatsächlich haben wir das St.Galler Konzept 2006 aufmerksam verfolgt und Teile davon ein Jahr später in unser Konzept einfliessen lassen. Für unser Modell übernahmen wir weitgehend den Beschrieb der Problematik, die Anforderungen an einen Standort und die Aufgabenteilung, also dass der Kanton den Standort plant und baut und die Gemeinden den Platz betreiben.
Die grosse Frage lautet demnach: Warum klappt im Aargau, was in St.Gallen nicht gelingen will?
Peyer: Es liegt mir fern, die St.Galler Verhältnisse zu analysieren oder gar zu kritisieren, ich kann nur für den Aargau sprechen. Ein Grund ist sicher, dass wir auf bereits bestehenden Plätzen aufbauen konnten und Vorzeigeplätze schufen, die quasi den Boden für andere bereiteten. Dank ihnen läuft es gut. Alles begann 2004 mit dem Sonderfall Kaiseraugst.
Sonderfall?
Peyer: In Kaiseraugst gab es seit eh und je Fahrende, die wild campierten und oft eine Unordnung hinterliessen. Weil ein Leidensdruck bestand, gelangte die Gemeinde an den Kanton. In der Folge gewannen alle Beteiligten: Der Kanton richtete auf eigenem Land – eine Brache nahe am Zoll – eine Anlage für 20 Stellplätze ein. Die Fahrenden erhielten den gemeinsamen Platz, und die Gemeinde war froh, in den restlichen Quartieren Ruhe zu haben. Ein Sonderfall auch, weil wir den Platz mit einem kantonalen Nutzungsplan realisierten und die Vorlage nicht vor die Gemeindeversammlung musste.
Den kantonalen Nutzungsplan zur Schaffung von Durchgangsplätzen sieht auch die St.Galler Regierung vor. Die Regelung ist umstritten.
Peyer: Das Instrument ist geeignet, kann aber nur in Härtefällen angewendet werden. Weil Planungen über den Kopf der Gemeinden hinweg sehr heikel sind. Auch darum, weil man hernach ja auf den Goodwill der Gemeinde angewiesen ist.
Ihre weiteren Plätze wurden auf bestehenden Plätzen aufgebaut?
Peyer: Ja, es folgte 2011 jener auf dem Parkplatz eines Schwimmbads in Windisch. Den gab es seit 1986, jedoch mit mangelhafter Infrastruktur. Dann kam Aarau, dieser Platz kann dual genutzt werden – im Winter als längerer Standort und zusätzlich im Sommer mit Aufenthalt von normalerweise bis zu vier Wochen.
Das ist ebenfalls eine Sportanlage?
Peyer: Nein, in Aarau konnten wir die Allmend am Stadtrand beanspruchen, die wir allwettertauglich gestalteten. In Zofingen war es erneut ein Sportanlagenplatz, wo Fahrende Gastrecht genossen und den wir 2014 «aufmotzten». Allen Plätzen gemeinsam ist die periphere Lage. Und wir haben die Einrichtungen standardisiert, etwa mit einem Sanitärcontainer mit Toiletten, Dusche und Installationsraum, den wir von einem Innerschweizer Hersteller beziehen.
Alles problemlos? Der Kanton Aargau stiess nie auf Widerstand?
Peyer: Im Fall der bestehenden Plätze gab es wenig Gegnerschaft beim Richtplan und keine Einsprachen beim Baugesuch. Wo wir neu planen, wie in Merenschwand, haben wir die gleichen Probleme wie St.Gallen und ist der Erfolg höchst unsicher. Dort wehrten sich SVP- und Gewerbevertreter schon gegen die Anpassung des Richtplans. Weil der Platz an ein Industriegebiet grenzt, befürchten sie Immissionen, Lärm, Diebstähle. Unsere Informationsanlässe unter Beisein des Polizeichefs der Stadt Aarau, der vom problemlosen Umgang mit Fahrenden berichtete, konnten wenig gegen diese Vorurteile ausrichten.
Der Platz steht auf der Kippe?
Peyer: Der Grossrat hat ihn trotz des Widerstands in den Richtplan aufgenommen, was nichts heissen muss. Es wird schwierig, wir lassen uns aber gern angenehm überraschen. Im allgemeinen stossen wir bei Gemeindebehörden auf viel Goodwill und mit Ausnahme der SVP bei allen Parteien auf Verständnis. Die schweigende Mehrheit der Bevölkerung meldet sich nicht zu Wort, und wenn man nichts hört, ist in der Regel alles in Ordnung.
Sie erwähnten die problemlosen Erfahrungen mit Fahrenden. Keine Fälle von Vandalismus?
Peyer: Sehr wenige. Wir übernehmen ja Platzbetriebsdefizite der Gemeinden und mussten das bisher nur in Kaiseraugst tun. Dort wurde der erste Sanitärcontainer in kürzester Zeit zerstört, so dass ein Betonblock hin musste. Auch kam es zu verstopften Toiletten und zu Verunreinigungen des angrenzenden Naturschutzgebiets. Und es wurden Bäume gefällt, weil sie Autos im Weg waren. Und trotz Mulde war Littering zu beklagen.
Die Probleme betreffen vor allem ausländische Fahrende?
Peyer: So ist es. Fahrende aus dem Ausland sind oft unbekümmert, was Hundedreck, Notdurft oder Abfall angeht. Das zeigte sich diesen Sommer – eine neue Erscheinung – auch bei gehäuften Spontanhalten von grösseren Gruppen auf Bauernhöfen. Unsere offiziellen Plätze sind mit Ausnahme von Kaiseraugst, wo Ausländer willkommen sind, allerdings ausschliesslich für heimatberechtigte Schweizer Fahrende zugänglich. Das wird auf unserer Website, auf Tafeln und bei der Anmeldung auf der Gemeinde auch klar kommuniziert. Es ist zulässig, solange man Alternativen anbieten kann, wie ein St.Galler Gutachten belegt.
Sie eröffnen bald den fünften Durchgangsplatz?
Peyer: Am 24. September in Würenlos, ein weiterer Sonderfall, weil privat betrieben. Wir sicherten einen auf Zusehen hin tolerierten, aber nicht zonenkonformen Platz von zwei Brüdern auf ihrem Bauernhof. Nun ist er als Spezialzone Fahrende im Zonenplan der Gemeinde eingetragen, hat Sanitärcontainer, Sichtschutzhecke, Fäkalientank. 15 Stellplätze, ganzjährig nutzbar – und ohne Einsprachen realisiert.
Was raten Sie jetzt den Verantwortlichen im Kanton St.Gallen?
Peyer: Dranbleiben, jemanden bestimmen, der über Jahre das Thema bearbeitet und auch die weichen Faktoren berücksichtigt. Evaluationen sind wichtig, aber manchmal sind lokale Kenntnisse, kurzfristige Chancen und pragmatische Lösungen, etwa ein Abtausch, ergiebig. Wir hatten den Vorteil, dass wir mit einer grösseren Anzahl Plätze in den Grossrat gingen und bereits in der politischen Diskussion Ängste abbauen konnten. Wenn man mehrere bedarfsgerechte Plätze vorschlägt, kann man auch Verluste verkraften. Vielleicht könnte St. Gallen ja auch auf bestehenden Plätzen aufbauen, im früheren Konzept gab es davon doch eine Reihe.