30'000 Besucher im Jahr hatten sich die Verantwortlichen zum Ziel gesetzt. Über 80'000 betraten seit der Eröffnung am 10. Mai den Baumwipfelpfad Neckertal. Bis Ende Jahr dürfte die 100'000er-Grenze gesprengt werden. Nicht zur Freude aller.
Der Bahnhof Mogelsberg liegt in einer dicken Nebelsuppe, als die S-Bahn aus Wattwil am Freitagmorgen um 10.39 Uhr am Bahnhof eintrifft. Es ist eigentlich kein Ausflugswetter. Trotzdem steigen mehrere Familien aus dem Zug und machen sich auf in Richtung Baumwipfelpfad. Dem Dialekt nach kommen einige von ihnen mindestens von «ennet em Ricke».
Die neue Touristenattraktion im Steinwäldli lockt die Massen an, das lässt sich auch auf dem Parkplatz erkennen. Die Autos tragen Nummern verschiedenster Kantone, einige haben eine weite Anfahrt hinter sich. Auch Berner und Freiburger Kennzeichen sind zu sehen. «Wir stehen bei über 80'000 Besucherinnen und Besuchern», sagt Marion Felber, Geschäftsführerin des Baumwipfelpfads.
«Aktuell haben wir noch Tage, an denen zwischen 1000 und 1500 Leute kommen.»
Bis Ende Jahr könnte die Besucherzahl gar sechsstellig sein. Doch der Erfolg hat seine Schattenseiten. Für das kleine Toggenburger Dorf werden die Besuchermassen zu einer Belastungsprobe. «Die Planung war auf 30'000 Besucherinnen und Besucher ausgerichtet, ebenso das Verkehrskonzept, welches Bestandteil der Baubewilligung war», sagt Vreni Wild, Präsidentin der Gemeinde Neckertal, zu der auch Mogelsberg gehört. Es habe seit der Eröffnung aber einfach «‹gräblet›, es blieb den Verantwortlichen kaum Zeit für eine saubere Neuplanung».
Entsprechend kurzfristig mussten die Gemeinde und die Betreiber des Baumwipfelpfads auf eingehende Klagen reagieren. So konnte die nicht mehr benützte Tennishalle des eingegangenen Resorthotels in eine Parkgarage umgewandelt werden. In der Halle sind die grünen Tennisfelder noch eingezeichnet. Der einweisende Feuerwehrmann witzelt: «Für Prominente gibt es einen roten Teppich. Wir fangen jetzt mal mit einem grünen an.»
Die Nutzung der Halle als Garage war eine Sofortmassnahme mit befristeter Bewilligung. «Nun folgt ein ordentliches Baugesuch, um die Umnutzung zu bewilligen», erklärt Wild. Zu Beginn parkierten die Autos bei hohem Besucheraufkommen noch entlang der Strasse. Das sei von der Kantonspolizei als Ausnahme bei Grossandrang bewilligt worden. Ideal war es aber nicht.
Diese Umnutzung führte indes zu weiteren Problemen. Der schnellste Fussweg von der Halle zum Baumwipfelpfad führt durch ein Wohnquartier. Nicht alle Anwohner waren darüber erfreut. Die Gemeindepräsidentin zeigt Verständnis:
«Ich verstehe die Anwohner schon, die jetzt so viele Leute vor dem Haus haben.»
Einige hätten gar gefragt, ob sie das private WC benutzen dürften. «Das Thema hat sich jedoch grösstenteils erledigt», beschwichtigt Wild. Mit der umfunktionierten Tennishalle konnten auch WCs gemietet werden und bei der Kirche stünde ein öffentliches WC zur Verfügung. «Die Signalisation war zu Beginn nicht ausreichend. Das wurde angepasst», ergänzt die Gemeindepräsidentin.
Ironischerweise hilft das untergegangene Resorthotel damit bei der Bewältigung der Besuchermassen. Dieses hatte 2009 die Tore geschlossen. Die Eigentümerin gab an, einen Käufer zu suchen. Zu einem Verkauf kam es jedoch nicht. Das Resorthotel hatte damals schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Als Kurhaus-Idee geboren, wurde es erst zu einem Sport- und Ferienzentrum mit Hallenbad, Tennisplätzen und Ferienhaussiedlung. Der wirtschaftliche Erfolg blieb aus, mehrfach.
Zuletzt sollte der Hotelteil mit Seminaren zum Erfolg beitragen. Nach der Schliessung gab es immer mal wieder Interessenten und Zwischennutzungen. So war die Liegenschaft schon als Indoor-Skatepark, als Foto- und Filmstudio, als Internat, als Asylunterkunft oder als Sitz der Kolese-Stiftung im Gespräch. Bis Ende August wurde sie als Paintball-Arena genutzt.
Auch die Gemeinde habe immer wieder versucht, Interessenten für die Liegenschaft zu finden, sagt Gemeindepräsidentin Wild. Ohne grossen Erfolg. «Man hatte in Mogelsberg immer das Gefühl, dass man im touristischen Bereich etwas machen müsste.» Nun habe man den Baumwipfelpfad und der bringe viel Wertschöpfung in die Region, wie Wild sagt:
«Bis Ende Juli waren es schon rund 100'000 Franken, die nur schon im lokalen Gewerbe wegen des Baumwipfelpfads umgesetzt wurden.»
Und auch die Restaurants im Dorf und in der Region profitierten vom zusätzlichen Betrieb. «Mir haben schon mehrere Wirte von ausserhalb gesagt, dass Touristen nach dem Besuch des Baumwipfelpfads bei ihnen eingekehrt sind.» Wie viel Geld die Betreiber bereits in der Region investiert haben, kann Geschäftsführerin Marion Felber nicht genau sagen.
«Wir berücksichtigen aber wenn immer möglich das lokale oder regionale Gewerbe.»
Drucksachen würden beispielsweise in Brunnadern entworfen und in Mogelsberg gedruckt. «Das ist so in unserer Philosophie fest verankert.» Auch Arbeitsplätze hat das Touristenziel geschaffen. «Viele arbeiten in einer Teilzeitanstellung», sagt Felber. Insgesamt kämen etwa sieben Vollzeitstellen zusammen.
Um die Vorteile noch besser zur Geltung zu bringen, arbeitet man in Mogelsberg weiter daran, die Nachteile zu minimieren. Ab November wird der Rabatt bei einer Anreise per öffentlichem Verkehr vergrössert. 20 Prozent günstiger wird dann sowohl der Eintritt als auch die Zugfahrt sein, wenn man über die SBB-Railaway-Angebote bucht.
Und ebenfalls bereits im November sitzen Gemeinde und Betreiber zusammen, um mögliche weitere Verbesserungen zu eruieren. Geplant wäre das erst im nächsten Jahr gewesen. Angeschaut werden soll dann die Signalisation, aber auch die Wege an sich. So könnten die Fussgängerwege verlegt werden, sodass sie nicht mehr direkt durch Wohnquartiere führen.
Bis dahin könnte sich das Problem allerdings auch von selbst lösen. «Wir rechnen damit, dass die Besucherzahlen nach den Herbstferien abnehmen», sagt Geschäftsführerin Felber. Und auch Gemeindepräsidentin Wild sagt: «Dieses Jahr war das Wetter ausgesprochen gut. Das kann im nächsten Jahr ganz anders sein.»
Auch erst im nächsten Jahr wird sich klären, wie lange die Faszination anhält. Ist der Reiz des Neuen erst einmal verflogen, kommt die eigentliche Bewährungsprobe für die neue Touristenattraktion. Dann wird sich zeigen, wie genau die ursprüngliche Annahme von 30'000 Besucherinnen und Besuchern pro Jahr wirklich war.