Serie: Überfälle im Oberthurgau
Schockierte Mitarbeiterin eines Tankstellenshops muss nach einem Überfall weiterarbeiten: Der oberste Gewerkschafter im Thurgau redet den Arbeitgebern ins Gewissen

Dass mittlerweile sogar Bäckereien am hellichten Tag Ziele von Kleinkriminellen sind, bereitet Lukas Auer grosse Sorgen. Er fragt sich: Was kommt als Nächstes? Der Präsident des Thurgauer Gewerkschaftsbundes appelliert an die Arbeitgeber, sich besser um die Sicherheit des Personals zu kümmern.

Markus Schoch
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Dieser Artikel ist Teil der Serie «Überfälle im Oberthurgau».

Ein Unbekannter überfällt einen Tankstellenshop in Arbon.

Ein Unbekannter überfällt einen Tankstellenshop in Arbon.

Bild: Kantonspolizei Thurgau

Raubüberfälle auf Tankstellenshops sind im Oberthurgau fast schon zur Tagesordnung geworden. In regelmässigen Abständen sehen sich die Angestellten mit der Situation konfrontiert, dass eine maskierte und bewaffnete Person das Geschäft betritt, vor ihnen auftaucht, Geld verlangt oder selber in die Kasse greift.

Lukas Auer aus Arbon arbeitet im Rechtsdienst der Unia und ist Präsident des Thurgauer Gewerkschaftsbundes. Er verfolgt die Entwicklung mit Sorge. Die Betreiber der Tankstellenshops seien zwar gemäss Gesamtarbeitsvertrag (GAV) verpflichtet, sich um die Sicherheit der Angestellten zu bemühen und entsprechende Massnahmen zu ergreifen. Ganz besonders in den Abend- und Nachtstunden. Tatsächlich nähmen sie den Auftrag zu wenig ernst, sagt Auer.

Gewerkschaften beissen bei Tankstellenshops auf Granit

Teilweise würden sie nicht einmal ein Mindestmass an sozialer Verantwortung beweisen. Er wisse von einer Frau, die bei einem Überfall hinter der Theke gestanden sei. Nach der Befragung durch die Polizei habe sie noch zwei Stunden weiterarbeiten müssen, weil ihr Chef auf die Schnelle keinen Ersatz gefunden habe und nicht bereit gewesen sei, aufgrund der besonderen Umstände den Laden früher zu schliessen. «Und dabei stand sie unter Schock.»

Auer sagt: «Wir fordern in den Verhandlungen von den Tankstellenshops immer wieder, die Angestellten besser vor Überfällen zu schützen.» Also beispielsweise dafür zu sorgen, dass in den Abendstunden eine Zweierbesetzung Standard wird oder Sicherheitspersonal zugegen ist. Die Antwort der Gegenseite sei immer dieselbe: «Wer soll das bezahlen?»

Doch es geht nicht nur ums Geld, warum die Gewerkschaften bei Coop, Agrola & Co. auf Granit beissen. «Den Wunsch nach einer generellen Zweierbesetzung in den Shops konnten wir in den GAV-Verhandlungen bis anhin nicht unterstützen, da eine solche gerade in sehr kleinen Shops nicht praktikabel wäre», sagt Ueli Bamert, der Vizepräsident des Verbandes Tankstellenshops Schweiz.

Verband weist die Kritik zurück

Bamert weist die Vorwürfe von Auer zurück, die Mitgliederfirmen würden sich zu wenig um die Sicherheit der Angestellten kümmern. Es habe diesbezüglich noch nie Beanstandungen seitens der Sozialpartner oder der Kontrolleure gegeben. Er betont: «Als Verband unterstützen wir selbstverständlich jede Massnahme zum Schutz der Mitarbeitenden.»

Die Sicherheit am Arbeitsplatz sei jedoch grundsätzlich ein Thema, das in die Verantwortung der Mitgliedsfirmen falle. Jede Gesellschaft ergreife auf die individuellen Bedürfnisse und Verhältnisse zugeschnittenen Massnahmen.

Für Auer sind das bloss leere Worte. 90 Prozent des Tankstellenshop-Personals seien Frauen. Und die würden mit jedem Überfall noch ängstlicher, wie er aus Gesprächen mit Betroffenen wisse. Er habe eine 53-Jährige gefragt, weshalb sie noch immer in einem Shop arbeite und sich weiter der Gefahr aussetze, irgendwann mit einer Waffe bedroht zu werden. Ihre Antwort: Sie habe keine andere Wahl.

Die Frau habe dank des Jobs den Weg aus der Sozialhilfe gefunden. Ein Zurück gebe es nicht für sie. Auch wenn sie nicht reich werde. Der Grundlohn für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Thurgauer Tankstellenshop reicht von 3600 Franken (Person ohne Berufslehre) bis maximal 4000 Franken.

Befürchtung ist bereits Realität geworden

In seinem Kollegenkreis seien die vielen Überfälle ein grosses Thema, sagt Auer. Nachdem mittlerweile auch wiederholt Volg-Filialen, Kioske, der Denner in Arbon und zuletzt sogar eine Bäckerei am hellichten Tag Zielscheibe von Räubern geworden seien, frage nicht nur er sich: «Was kommt als Nächstes?»

Eine befreundete Gastronomin habe von ihm wissen wollen: Muss ich jetzt Angst haben, dass bald jemand mit einem Messer oder einer Pistole bewaffnet bei mir aufkreuzt und mir mein Geld abknöpfen will?

Die Befürchtung ist bereits Realität geworden. Im letzten Dezember überfiel ein Mann kurz nach 23 Uhr den Burger King in Frauenfeld, davor im Juli 2021 bekam eine Pizzeria in der Arboner Altstadt ungebetenen Besuch eines Kleinkriminellen mit einer Softairwaffe in der Hand. Dieser nahm das Serviceportemonnaie an sich, kam damit aber nicht weit. Der Wirt und und zwei Gäste machten sich auf seine Verfolgung und stellten ihn.

Wie solche Vorfälle oder Schlimmeres verhindert werden könnten, weiss Auer nicht. Als Politiker im Arboner Stadtparlament weiss er aber, dass die Bevölkerung Antworten verlangt.

Das sagt Coop

Legen grossen Wert auf Sicherheit

«Die Coop Mineraloel AG legt zusammen mit den Franchisepartnern sehr grossen Wert auf die Sicherheit des Personals in den Coop Pronto Shops und auf unsere Anlagen», schreibt Coop auf Anfrage. Entsprechend hoch seien die Sicherheitsvorkehrungen. «Den Franchisepartnern stellen wir ein differenziertes Sicherheitskonzept und entsprechende Schulungen für ihre Mitarbeitenden zur Verfügung.»  «Es ist uns ein zentrales Anliegen, das eigene Personal dahingehend zu schulen, in solchen Situationen keinerlei Risiko einzugehen. Auch die Schulung im Bereich der Prävention spielt dabei eine wichtige Rolle.»

Im Fall eines Zwischenfalls bietet Coop den betroffenen Mitarbeitenden aktiv eine Nachbetreuung durch den internen psychologischen Dienst an. Weiter investiert der Grossverteiler nach eigenen Angaben in den Schutz des Personals. «So setzen wir in den Abendstunden auf Doppelschichten.» Zusätzlich würden sämtliche Shops über Kameras verfügen und seien mit Alarmanlagen ausgerüstet. (mso)

Das sagt Volg

Thema hat hohe Priorität

Auch diverse Oberthurgauer Volg-Filialen sind in jüngster Vergangenheit ausgeraubt worden. «Das Thema hat hohe Priorität und wir sind laufend mit Sicherheitsexperten im Kontakt», schreibt die Medienstelle auf Anfrage. Auch würden die Mitarbeitenden in Kursen zu Sicherheit und Kriminalprävention professionell von internen und externen Experten geschult. «Grundsätzlich ist ein Überfall für die betroffenen Mitarbeitenden nie leicht zu verarbeiten. Volg arbeitet daher mit der Organisation Carelink zusammen, welche die betroffenen Mitarbeitenden professionell betreut und psychologische Hilfe leistet.» (mso)