Startseite
Ostschweiz
Weil nun das Futter knapp wird, müssen Ostschweizer Bauern auf Heu zurückgreifen, das für den Winter gedacht ist, um ihre Kühe zu füttern. Sollte es noch schlimmer kommen, müssten gar Tiere geschlachtet werden.
Manfred Loser kniet ratlos auf seiner Wiese. Der Bauer betreibt einen Hof oberhalb von Henau bei Uzwil: Wo sonst die Weidefläche saftig grünt, gleicht das Land nun einer Steppe. «Würden wir die Kühe hier grasen lassen, würden sie die letzten Halme samt der Wurzel ausreissen.» Die Tiere bleiben deshalb eingestallt – sie liegen nebeneinander im Stall, käuen entspannt wieder.
Nur in den Abendstunden, wenn die Temperaturen auch für die Tiere angenehmer sind, lässt Loser sie raus auf eine noch halbwegs intakte Wiese. «Kühe fühlen sich nicht wohl an der prallen Sonne, sie suchen Schatten – so wie wir Menschen», erklärt Loser.
«Bauern müssen wohl Tiere schlachten.»
Hier im Stall sorgt tagsüber ein Ventilator für Abkühlung. Die Tiere geniessen den Windzug und beäugen neugierig die Besucher. Schon seit rund drei Wochen haben Losers Kühe fast kein frisch geschnittenes Gras mehr zu fressen bekommen. Stattdessen muss der Bauer Heuballen um Heuballen an die Tiere verfüttern. Das getrocknete Gras wäre eigentlich für die Wintermonate vorgesehen. «Wir müssten jetzt in diesen Tagen heuen und unsere Reserven aufbauen können, anstatt bereits die Vorräte zu verfüttern», sagt er. Bauer Loser bleibt einzig die Hoffnung auf Regen. «Ein Gewitter würde zwar nur vorübergehend Wasser spenden und das Gras wieder spriessen lassen. Doch jetzt sind wir froh um jedes bisschen», so der Landwirt.
Manfred Loser schätzt, dass er im Juli bereits rund 30 Tonnen Heu und Trockenfutter aus der Reserve gebraucht hat. Immerhin konnte Loser in den vergangenen Tagen von einem Kollegen einen Teil seiner Futtervorräte abkaufen. Weitere Zukäufe sind schwierig, denn die Betriebe rundherum ächzen ähnlich unter der Dürre. In ganz Europa steigen deshalb bereits die Preise für Tierfutter.
Silage, also Silofutter, welches die Kühe als Nahrungsergänzung neben Heu im Winter erhalten, sei rund einen Drittel teurer geworden, schätzt Andreas Widmer, der Geschäftsführer des St.Galler Bauernverbands. «Einzig aus dem westlichen Teil der Schweiz, wo die Trockenheit noch nicht so gravierend ist, können die Bauern noch Futter einkaufen.» Bleibe es aber weiter trocken, werde auch diese Futterquelle bald versiegen, erläutert Widmer. Er geht davon aus, dass einige hundert Betriebe im Kanton bereits auf die Winterreserven zurückgreifen. Ähnlich angespannt sei die Situation auch im Thurgau und im Bündnerland.
Der Henauer Bauer rechnet vor. «Eine Milchkuh benötigt rund 20 Kilogramm Futter pro Tag.» Bei 30 Kühen stehen so jeden Tag 600 Kilogramm Heu oder Silage auf dem Speisezettel. «Dazu trinkt eine Milchkuh in der Regel bis zu 100 Liter Wasser pro Tag – aktuell ist ihr Durst wegen der Hitze aber deutlich grösser.» Wasser und Futter gehen ins Geld, jede Kuh wird zu einem Kostenfaktor.
«Wenn die Trockenheit anhält und das Futter weiter so knapp bleibt, werden einige Bauern ihre Tierbestände abbauen müssen», meint Widmer. «Das bedeutet schlachten», gibt Loser unumwunden zu. Gebe eine Kuh zu wenig Milch oder lasse sich nicht in die Herde integrieren, müsse er wohl die Zahl seiner Tiere reduzieren. «So hart das klingt: In einer solch prekären Lage lässt sich der Entscheid für das Schlachthaus leichter fällen.» Ein einfacher Entscheid sei das aber nie, räumt Loser ein.
Sorgen bereitet dem Landwirt aber nicht nur das fehlende Futter, sondern auch der Obst- und Maisanbau. Seine Maisfelder sind zwar grün, doch bei genauerer Betrachtung hat auch hier die Trockenheit Spuren hinterlassen. «Die Blätter rollen sich zusammen, um das enthaltene Wasser vor der Verdunstung zu schützen», erklärt Loser. Die Kulturen hätten einen massiven Hitzestress. Er öffnet die Schale eines Maiskolbens. Zum Vorschein kommen glasig-milchige Kerne. «Damit die Kolben reifen können, benötigen sie jetzt dringend Wasser.» Falle in den nächsten drei Tagen kein Regen, würden die Pflanzen vom Stamm her verdorren. Die Ernte ist dann verloren.
Neben dem Maisfeld stehen Obstbäume, prall gefüllt mit noch grünen Früchten. Es wäre eine äusserst ertragsreiche Ernte. Doch auch die Bäume rollen ihre Blätter zusammen, vereinzelt liegen schon Äpfel am Boden. «Bevor die Früchte reifen können, werfen die Bäume ihr Obst ab, weil sie keine Kraft mehr haben», sagt Loser. Die Rekordernte vertrocknet quasi auf der Zielgeraden. Er werde das Fallobst einsammeln und seinen Kühen verfüttern. Besonders schmerzt Loser aber, dass es wohl der zweite Totalausfall in Folge werden könnte. Wegen Frostschäden konnte er im letzten Jahr gerade einmal 2,5 Tonnen Obst ernten – normalerweise seien es 25 Tonnen.
Bei all den Hiobsbotschaften bleibt Manfred Loser trotzdem optimistisch. Sein Blick fällt auf das Bienenhäuschen gleich neben seinem Hof. Noch nie hätten die Bienen so viel Honig zusammengetragen. Doch mit dem Honig lasse sich kein Geld verdienen, geschweige denn andere Ertragsausfälle kompensieren. «Das ist leider nur ein Hobby.»