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Der Kanton St.Gallen regelt die Entschädigung für Pflegefamilien neu. Pro Tag und Kind erhalten die Familien künftig einen einheitlichen Betrag. Davon profitieren nicht alle.
Ein Satz fällt im Zusammenhang mit Pflegefamilien immer wieder: Die Situationen sind individuell. Einheitlich sind hingegen die Gelder, die Pflegefamilien im Kanton St.Gallen seit diesem Jahr erhalten. Waren es früher knapp 60 Franken pro Kind und Tag, sind es neu 83 Franken für Kinder bis vier Jahre, für alle anderen 73 Franken. Das legen die neuen Pflegegeld-Richtlinien fest. Die Regierung hat die Verordnung mit Jahresbeginn in Vollzug gesetzt. Brigitte Wüst, Bereichsleiterin Adoptiv- und Pflegefamilien im Kanton St.Gallen, sagt:
«Durch die Verordnung werden die Richtlinien verbindlich. Familien, die von einer professionellen Organisation betreut werden, erhalten künftig tendenziell weniger Geld.»
DAF, kurz für Dienstleistungen in der Familienpflege, nennen sich diese Firmen. Im Jahr 2018 haben sie 136 von insgesamt 340 aktiven Pflegefamilien im Kanton beraten und unterstützt. Häufig helfen sie bei schwierigen Fällen. Diese Organisationen hätten bisher ihre eigenen Tarife erstellt und somit auch den «Lohn» der Pflegeeltern, sagt Wüst. Jetzt seien die Beträge einheitlich – ganz gleich, ob eine Familie Unterstützung von einer DAF erhalte oder nicht.
Zwei Gruppen dürften gemäss Wüst künftig mehr Geld erhalten: Pflegeeltern, die nicht durch eine DAF begleitet werden, und Personen, die ein verwandtes Kind aufnehmen. Rund ein Drittel der Pflegeverhältnisse bestehen zwischen Verwandten. Am häufigsten wohnen Kinder bei ihren Grosseltern. Bei Verwandten wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass sie Kinder unentgeltlich betreuen. Sie können zwar auch Pflegegeld beantragen. Oft habe man sie aber mit tieferen Ansätzen für die Lebenskosten entschädigt, als in den Richtlinien vorgesehen, so Wüst. Das werde sich nun wohl ändern.
Die Zahlen der Pflegeverhältnisse im Kanton St.Gallen sind von 2013 bis 2017 angestiegen. Wüst erklärt das damit, dass seit 2013 nicht nur die Aufnahme von unter 16-Jährigen, sondern die aller Kinder und Jugendlichen bewilligungspflichtig ist. Und die Betreuung in Pflegefamilien scheine an Bedeutung gewonnen zu haben. Seit 2017 sind die Zahlen leicht rückgängig von 354 Pflegeverhältnissen auf 330 Pflegeverhältnisse im Jahr 2019. Ob dies ein Trend sei, lasse sich noch nicht feststellen, sagt Wüst. Familien gebe es genug.
«Trotzdem sind wir froh um jede neue Pflegefamilie.»
Denn auch wenn der Pool von fast 100 freien Plätzen gross scheinen mag, seien die Bedürfnisse der Kinder individuell.
Im Thurgau nimmt die Anzahl Pflegefamilien schon seit Längerem ab. Christian Schuppisser, Leiter der kantonalen Pflegekinder- und Heimaufsicht erklärt dies damit, dass die Zahl der Fremdplatzierungen generell abgenommen habe. Grundsätzlich gebe es aber auch im Thurgau genügend Pflegefamilien. 2018 lebten in 167 Familien Pflegekinder. Deutlich weniger geworden sind die Familien mit freien Plätzen. 2015 waren es 59, drei Jahre später noch 40. Das habe damit zu tun, dass bei neuen Pflegefamilien in der Regel bereits eine Platzierung geplant sei, so Schuppisser. Die richtige Familie für ein Kind zu finden, sei aber immer eine Herausforderung. «Manchmal gelingt das nicht, obwohl es zahlreiche Familien gibt, die aktuell keine Pflegekinder betreuen.»
Eine gesetzliche Verordnung über die Höhe des Pflegegeldes, wie in St.Gallen eingeführt, gibt es im Thurgau nicht. «Grundsätzlich ist das Pflegegeld frei verhandelbar», sagt Schuppisser. In der Regel würden aber die kantonalen Richtlinien angewendet. Die dort empfohlenen Entschädigungen sind in etwa 20 Franken tiefer als im Kanton St.Gallen.
Olaf Stähli ist Co-Leiter der Schweizerischen Fachstelle Pflegefamilie. Der gemeinnützige Verein will die Wertschätzung für Pflegefamilien erhöhen und bietet Weiterbildungskurse für Pflegeeltern an. Stähli sagt:
«Die Leistung, die Pflegeeltern für die Gesellschaft erbringen, ist enorm.»
Die öffentliche Wertschätzung aber sei gering. Deshalb spiele die finanzielle Entschädigung für Pflegeeltern eine wichtige Rolle. «Pflegegeld unter 80 Franken pro Tag ist aus unserer Sicht zu wenig.» Oft hätten Pflegekinder im Vergleich zu Heimkindern ausserdem weniger Zugang zu Förderung. Grundsätzlich unterscheide sich die Situation stark von Kanton zu Kanton.