Neonazi-Konzert in Unterwasser hat Folgen: St.Gallen plant als erster Kanton ein Verbot extremistischer Anlässe

Nach dem Neonazi-Konzert in Unterwasser im Herbst 2016 und weiteren Rechtsrock-Anlässen forderte das St. Galler Kantonsparlament ein Verbot extremistischer Veranstaltungen. Jetzt liegt der Gesetzesartikel vor. Von Radikalen ist darin nicht die Rede, dafür von "Angst und Schrecken" in der Bevölkerung.

Adrian Vögele
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Es geht nicht nur um Neonazis: Der Kanton St. Gallen will extremistische Anlässe, die die Bevölkerung in Angst versetzen, verbieten. (Bild: Scott Olson/Getty)

Es geht nicht nur um Neonazis: Der Kanton St. Gallen will extremistische Anlässe, die die Bevölkerung in Angst versetzen, verbieten. (Bild: Scott Olson/Getty)

Die ganze Schweiz war schockiert: Am 16. Oktober trafen sich über 5000 Rechtsradikale aus halb Europa in einer Tennishalle in Unterwasser zu einem Konzert. Angekündigt gewesen war ein Anlass mit Nachwuchsbands aus der Region – die Gemeinde wurde überrumpelt, die Polizei ebenso. Die Nachrichtendienste hatten zwar gewusst, dass im «Raum Süddeutschland» ein grosses Treffen Rechtsradikaler stattfinden würde, aber der genaue Ort blieb bis zuletzt geheim. Zum Eingreifen war es in Unterwasser zu spät: Die Polizei musste sich auf die Verkehrsregelung und die Beobachtung rund um die Halle beschränken.

Nur eine Woche später veranstaltete die Partei national orientierter Schweizer (Pnos) in Kaltbrunn einen Anlass mit einem deutschen Rechtsrock-Sänger, der mit einer Einreisesperre belegt war. In Rapperswil marschierten linke Gegendemonstranten auf. Dem Sänger gelang es, unkontrolliert einzureisen – erst nach seinem Auftritt eskortierte ihn die Polizei an die Grenze. Dieses Vorgehen wurde harsch kritisiert. Die Polizei begründete, das Pnos-Treffen sei eine «geschlossene Gesellschaft» gewesen, zudem habe die Gegendemonstration bereits viele Kräfte der Polizei gebunden.

Kritik an der Staatsanwaltschaft

Zugleich blieb das Neonazi-Konzert in Unterwasser – zur Enttäuschung vieler – ohne rechtliche Folgen. Die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) hatte Anzeige gegen unbekannt wegen Verdachts auf Rassendiskriminierung erstattet. Die St. Galler Staatsanwaltschaft liess die Anzeige jedoch fallen: In den eingereichten Akten und Wahrnehmungsberichten der Polizei liessen sich «keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten» finden, lautete die Begründung. So seien etwa Hitlergruss und Sieg-Heil-Rufe in der Schweiz nur strafbar, wenn sie zu Propagandazwecken verwendet würden, nicht aber, wenn sie unter Gesinnungsgenossen gezeigt oder geäussert würden. Der damalige Erste Staatsanwalt, Thomas Hansjakob, wehrte sich gegen Kritik, die fallengelassene Anzeige sei geradezu eine Einladung des Kantons St. Gallen an die rechtsradikale Szene. Ein Freispruch vor Gericht aus Beweis- oder Rechtsgründen sei genau jenes Signal an die Szene, das man vermeiden müsse, so Hansjakob.

Als die Pnos im Januar 2017 ein weiteres Rechtsrock-Konzert ankündigte, griff die St. Galler Polizei durch: Sie verbot den Anlass vorsorglich, auf Basis der polizeilichen Generalklausel. Diese regelt den Auftrag der Polizei, für Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Das Konzert fand schliesslich im Kanton Luzern statt. Die Meinungen darüber, ob die Generalklausel juristisch für ein solches Verbot ausreiche, waren allerdings geteilt.

Erstes gesetzliches Verbot schweizweit

Diese Ereignisse riefen die Politik auf den Plan: Vor allem SP und CVP zeigten sich ernüchtert über das Verhalten der Behörden insbesondere im Fall Unterwasser, es gab mehrere Vorstösse im Kantonsparlament. Die CVP forderte per Motion eine gesetzliche Regelung, um «Veranstaltungen mit extremistischem Hintergrund» verbieten zu können. Die Diskussionen in der Öffentlichkeit hätten gezeigt, dass eine griffigere Rechtsgrundlage als die polizeiliche Generalklausel erwünscht sei. Das Parlament hiess die Motion schliesslich mit grosser Mehrheit gut.

St. Gallen beschreitet damit Neuland. Bislang kennt kein anderer Kanton ein solches Verbot. Jetzt hat die Regierung den Entwurf in die Vernehmlassung geschickt. Der neue Gesetzesartikel lautet: «Die Durchführung einer Veranstaltung, die nicht mit der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundordnung vereinbart werden kann und dadurch die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt, ist verboten.»

Der Zusatz mit «Angst und Schrecken» ist laut dem Sicherheits- und Justizdepartement notwendig, damit nicht einfach politisch unliebsame Veranstaltungen mit einem Verbot belegt werden. Man wolle kein «Gesinnungsstrafrecht» einführen, heisst es im Bericht. So dürften beispielsweise Versammlungen, an denen über eine andere Ausgestaltung der Grundrechte in der Verfassung diskutiert werde, nicht per se ausgeschlossen sein. Aber wenn die Sicherheit der Bevölkerung auf dem Spiel steht, soll das Verbot greifen: Gerade an grossen Veranstaltungen mit extremistischem Hintergrund drohe zum Beispiel die Gefahr, dass Täter aus der Anonymität eines solchen Anlasses heraus Delikte begehen würden und damit davonkämen, da die Polizei gerade mit anderen Sicherheitsaufgaben beschäftigt sei. Ausserdem bestehe die Möglichkeit, «dass Dritte mit entgegengesetzter politischer oder sonstiger Grundhaltung risikobehaftete Scharmützel starten». Das wiederum könne ausserordentlich gefährlich werden, für Anwohner genauso wie für die «zahlenmässig in der Regel unterlegene Polizei».

«Wird die Polizei gehindert, kann sie Strafverfahren einleiten»

Was, wenn das Verbot bereits im Herbst 2016 in Kraft gewesen wäre? «Das Rechtsrock-Konzert in Unterwasser wäre offensichtlich rechtswidrig gewesen», sagt Sicherheits- und Justizdirektor Fredy Fässler. «Die Polizei wäre ­berechtigt gewesen, den rechtmässigen Zustand – auch mittels polizeilichem Zwang – durchzusetzen und die Durchführung der Veranstaltung zu verhindern.» Auch das von der Pnos veranstaltete Konzert in Kaltbrunn hätte die Polizei laut Fässler verhindern können, da der Sänger mit einer Einreisesperre belegt war. Was das zweite angekündigte Pnos-Konzert vom Januar 2017 betreffe, so habe das Verwaltungsgericht inzwischen festgestellt, dass das vorsorgliche Verbot auf Basis der polizeilichen Generalklausel rechtmässig gewesen sei.

Die Sanktionen bei Verstössen gegen das neue Veranstaltungsverbot sind nicht speziell geregelt. «Es geht mir mit der neuen Bestimmung nicht darum, nachträglich zu bestrafen, sondern gefährliche Situationen auf der Basis eines Gesetzes zu verbieten und nötigenfalls aufheben zu können», so Fässler. «Wird die Polizei daran gehindert, kann sie bereits mit dem geltenden Recht Strafverfahren einleiten.» Zusätzliche Strafbestimmungen seien nicht nötig. Und: Auch Behörden, die einen Anlass bewilligt haben, können sich auf das Verbot berufen: «In Unterwasser bestand zwar eine Bewilligung für ein Konzert regionaler Nachwuchsbands. Ein Rechtsrock-Konzert mit 5000 Teilnehmenden ist nie bewilligt worden», sagt Fässler.

Gemischte Reaktionen

Die Vernehmlassung zum Gesetzesentwurf läuft bis Ende Jahr. Die ersten Reaktionen sind gemischt. Der vorgeschlagene Artikel für das Veranstaltungsverbot sei «ein gangbarer Weg», sagt ­Andreas Widmer, Chef der CVP-GLP-Fraktion. Die Polizei könne situativ entscheiden. «Die Handhabung ist nach unserer Meinung denkbar einfach und sehr effizient.» Sehr erfreut zeigt sich die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus: «Der Kanton St. Gallen nimmt hier eine Vorreiterrolle ein», sagt Geschäftsführer Dominic Pugatsch. «Ein solches Verbot zur Präzisierung der Polizeigeneralklausel kann helfen, extremistische Veranstaltungen zu verhindern.» Er hoffe, dass andere Kantone dem St.Galler Vorbild folgen würden.

SP-Präsident Max Lemmenmeier betont, er wolle der Diskussion in der Partei nicht vorgreifen. «Aus persönlicher Sicht kann ich feststellen, dass rechtsradikale Events bereits heute wegen Verstoss gegen die Antirassismusstrafnorm strafbar sind.» Auch das Schrecken der Bevölkerung sei bereits verboten. «Die neue Bestimmung kann helfen, da sie der Polizei ein klareres Argumentarium in die Hand gibt.» Es bestehe jedoch die Gefahr, dass die Polizei willkürlich Veranstaltungen verbiete. «Als Instrumente gegen rechtsradikale Events reichen die bestehenden Bestimmungen aus, entscheidend ist die Durchsetzung der Gesetze und die sorgfältige Überprüfung von Veranstaltern.»

Bundesrat ist gegen Index mit Rassismussymbolen

Das Rechtsrock-Konzert in Unterwasser im Herbst 2016 warf Wellen bis nach Bundesbern: Die St. Galler SP-Nationalrätin Barbara Gysi brachte eine Verschärfung der Antirassismusstrafnorm ins Spiel: Sie fragte in einer Interpellation, ob der Bundesrat bereit sei, einen «Index mit zu verbietenden Nazi- und Rassismussymbolen und -gesten in der Schweiz» zu prüfen. Die Landesregierung lehnt dies ab: Das Parlament habe eine solche Liste bereits einmal verworfen, weil die Anwendung in der Praxis zu schwierig sei. Auch warnt der Bundesrat vor «rein ideologisch motivierten Veranstaltungsverboten». Um Anlässe wie das Konzert in Unterwasser zu verhindern, setzt der Bundesrat vor allem auf die Zusammenarbeit der Behörden auf allen Ebenen. So sei es vor und nach dem Anlass in Unterwasser mehrmals gelungen, ähnliche Anlässe zu verhindern. Allerdings sei die Schweiz dabei auf eine rechtzeitige Information durch die ausländischen Partner angewiesen. Trotz der Ereignisse im Herbst 2016 stelle der Bund nicht fest, dass Schweizer Rechtsextreme zunehmend mit den ausländischen Szenen zusammenarbeiten würden. Solche grenzüberschreitenden Beziehungen gebe es schon länger. «Feste Strukturen weisen diese Verflechtungen aber nicht auf.» Stark genutzt würden Vernetzungsmöglichkeiten im Internet, insbesondere in den sozialen Medien. (av)