NAF-ABSTIMMUNG: Rosen aus Asphalt

Vom Strassenfonds würde die Ostschweiz speziell profitieren, meinen Befürworter wie die St. Galler Regierung. Allerdings sind einige Projekte umstritten.

Marcel Elsener
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Marcel Elsener

marcel.elsener@tagblatt.ch

«BIF, paff, NAF», kalauerte unlängst ein Bekannter am Beizentisch, «das eine nicht ohne das andere». Kleiner Scherz eines informierten Befürworters, bezogen auf den Bahninfrastrukturfonds (BIF), dem «logischerweise» nun der Nationalstrassenfonds (NAF) folgen ­sollte. Die meisten in der Runde verstanden, um beim Bild zu bleiben, nur Bahnhof. Und die wenigen, die mit den Begriffen etwas anfangen konnten, reagierten in der Art «Ach, die ist ja auch noch». Gemeint ist die eidgenössische Abstimmung zur Schaffung eines Fonds für die Nationalstrassen- und den Agglomerationsverkehr, wie der NAF korrekt heisst.

Tatsächlich wirft die dritte Vorlage am 12. Februar längst nicht so viele Wellen wie die hitzig debattierte Unternehmenssteuerreform III und die erleichterte Einbürgerung. Was wohl an der abstrakt-finanztechnischen Materie liegt und an den scheinbar klaren Mehrheitsverhältnissen – auf der gegnerischen Seite stehen einzig SP, Grüne und VCS, mit lauwarmem Engagement, zumal Teile der Vorlage wie der (mit zehn Prozent allerdings kleine) Fondsanteil für Agglomerationsverkehrsprojekte auch in ihren Reihen kaum bestritten werden.

Wil West dringlichstes, dritte Röhre St. Gallen wichtigstes Projekt

Trotzdem ist die NAF-Abstimmung kein Selbstläufer und geht es um viel, auch für die Ostschweiz. Dies betonen dieser Tage befürwortende Organisationen wie der TCS St. Gallen-Appenzell, die Agglo St. Gallen-Bodensee oder die IG Engpassbeseitigung. Die St. Galler Regierung stösst ins gleiche Horn: «Von der Schaffung des NAF profitiert speziell der Kanton St. Gallen.» Mit dem Fonds werde die Finanzierung der Engpassbeseitigung A1 St. Gallen und der Autobahnanschlüsse Rorschach und Wil West gesichert, begründet die Regierung ihre Empfehlung. Ausserdem erhielten die vier Aggloprogramme weiterhin Unterstützung und würden 21 Kilometer St. Galler Kantonsstrassen in das Nationalstrassennetz aufgenommen, nämlich auf den kantonsübergreifenden Abschnitten Winkeln–Appenzell, Rüti–Rapperswil–Reichenburg und Meggenhus–Kreuzlingen.

Wie viele Millionen Franken aus den ersten 6,5 Fonds-Milliarden (bis 2030) dem Kanton St. Gallen zufliessen könnten, kann Bauchef Marc Mächler schwer abschätzen; er verweist einerseits auf das Bundesamt für Strassen (Astra), andererseits auf den Anhaltspunkt von 140 Millionen, die der Bund an die St. Galler Aggloprogramme der zweiten Generation leiste. Das gemäss Mächler «wichtigste und teuerste» Projekt ist die Engpass­beseitigung in St. Gallen, die von Bund (dritte Röhre Rosenbergtunnel) und Kanton (Teilspange Güterbahnhof, Tunnel Liebegg) getrennt geplant, aber als Gesamtprojekt aufgegleist und ab 2031 realisiert werden soll. Teilspange und Tunnel sind politisch heftig umstritten. Das Projekt ist von derzeit beispiellosen Dimensionen in der Ostschweiz. Man sei im frühen Planungsstadium, heisst es beim Astra in Winterthur: «Diverse Schnittstellen, Zuständigkeiten und Projektinhalte sind zwischen den Projekt­beteiligten (Kanton, Stadt, Astra) noch nicht festgelegt.» Ein Generelles Projekt liege «frühestens 2020» vor, die Kosten werden je nach Projektumfang auf über eine Milliarde geschätzt.

Schneller geht es in Wil West: Der Autobahnanschluss, der die Entwicklung jenes Gebiets beschleunigen wird, ist das dringlichste Projekt und kaum um­stritten. Das Projekt «Vollanschluss Wil West» befinde sich «in der Phase der ­Erarbeitung des Generellen Projekts», bestätigt das Astra, zurzeit werde der dafür benötigte Umweltverträglichkeits­bericht erstellt. Das Generelle Projekt dürfte bis Mitte dieses Jahres fertig sein und wird dann den zuständigen Ämtern und dem Bundesrat vorgelegt. Gibt der Bund grünes Licht, geht es an das Ausführungsprojekt. Vor dem Baustart müssen allfällige Einspracheverfahren behandelt werden. Entsprechend verfrüht sei es, einen Baubeginn zu nennen, sagt Astra-Sprecherin Jessica Wullschleger. Hingegen kann sie die Kosten beziffern: Der Anschluss (exklusive Zubringer) koste 15 bis 16 Millionen Franken und werde vollständig durch den Bund finanziert.

Das geschilderte komplizierte Verfahren für Wil gilt für alle National­strassenprojekte. Anspruchsvoller als Wil-West ist der Autobahnanschluss Rorschach, der nun trotz steilem Ge­lände geplant werden kann: Dort hat das Astra das Generelle Projekt an den Kanton delegiert, der gemeinsam mit den Gemeinden am See mögliche Varianten der Verkehrsverteilung plant. Welchen Anteil der Bund an die geschätzten Gesamtkosten von 85 Millionen Franken leisten wird, ist offen – vermutlich etwa ein Drittel.

Bleibt ein weiteres Anschlussprojekt: Der Autobahnanschluss Sargans soll auf zwei Halbanschlüsse aufgetrennt werden. Das Begehren benötige allerdings «vertiefte Abklärungen zu den verkehrlichen Auswirkungen auf der Nationalstrasse und dem Kantons- und Gemeindestrassennetz», heisst es in Winterthur. Das Astra musste seine Studie einstellen, weil räumliche Grundlagedaten von der Region qualitativ nicht genügten. Nun liege es an den Gemeinden, eine Variante auszuarbeiten und diese über den Kanton beim Bund zu beantragen.

Begehrlichkeiten, die auf die schweizerische Waagschale kommen: «In Bern werden sich die Regionen bald auf den Füssen herumstehen», umschrieb kürzlich der St. Galler Kantonsplaner Ueli Strauss das absehbare Gerangel um die Prioritätensetzung des Bundes für die Nationalstrassenprojekte. Wann der Autobahnzubringer ab Gossau ins Appenzellerland (N25) oder die Verbindungsstrasse vom Bodensee ins Thurtal (BTS, N23) gebauten werden, hängt von regionalen Entscheidungsprozessen ab, aber eben auch von den Gewichtungen auf Bundesebene. Vor allem wegen der BTS macht sich im Thurgau ein kantonales Pro-Komitee für den NAF stark. CVP-Kantonsrat Armin Eugster sieht als ehemaliger Präsident des Abstimmungs­komitees, das 2012 die BTS mit einer Ja-Mehrheit von 54 Prozent durchgebracht hat, die Finanzierung der Strasse in Griffweite: «Der NAF ist ein Blumenstrauss, und die BTS aus Thurgauer Sicht quasi die Rose im Strauss.»

Gar nicht blumig und rosig erscheint der NAF dem St. Galler SP-Kantonsrat und VCS-Vorstand Ruedi Blumer: Es sei «ein einseitiger Strassenausbaufonds mit einem Feigenblatt Aggloprogramm». Auch ohne NAF sei «mehr als genug Geld da, um Betrieb und Unterhalt der Nationalstrassen zu gewährleisten – 2,2 Milliarden pro Jahr aus Mineralölsteuerzuschlag und Vignette.» Dass ein weiterer Ausbau der Nationalstrassen und «Verbetonierung unserer Landschaft» unerwünscht ist, erklärt Blumer exemplarisch in der Region St. Gallen: So würde der Anschluss Rorschach «bestes Kulturland zerstören» und käme ein Tunnel ­hinauf in die Liebegg «einem Schild­bürgerstreich zu Gunsten der Appenzeller gleich», sagt Blumer. «Er würde nämlich den Umsteigeeffekt auf die Appen- zellerbahn, die mit der Durchmesserlinie und dem Riethüslitunnel wesentlich attraktiver wird, geradezu torpedieren.»

Dringliche Sanierung im Unterrheintal ab diesem Februar

Manchmal fehlt das Geld – respektive die Budgetfreigabe – allerdings auch für den Unterhalt, wie die für 2016 zugesicherte, aber dann verschobene Sanierung des A1-Teilstücks zwischen St. Margrethen und Rheineck zeigt. Dabei hatte sich erst im Juli wegen der Hitze erneut der Belag verformt. Für SVP-Nationalrat Thomas Müller ein Steilpass für die Notwendigkeit des NAF, wie er vor dem St. Galler Gewerbeverband sagte: «Wir haben hautnah erlebt, was passiert, wenn das Geld fehlt: Die beschlossene und bei den Unternehmen fest eingeplante Sanierung der Autobahn bei St. Margrethen wurde kurzfristig aus dem Programm genommen. Und das nur, weil beim Astra die nötigen Mittel nicht zur Verfügung standen. So etwas darf sich nicht wiederholen.» Immerhin stehen die Arbeiten nun unmittelbar bevor: Die Sanierung starte in diesem Februar, teilt das Astra mit. Kosten gemäss Voranschlag: 190 Millionen Franken.

Das dürfte neben Schweizer Autofahrern speziell auch Vorarlberger und Liechtensteiner freuen, zumal ein neuer Anlauf für eine Autobahnverbindung über den Rhein genommen wird. Visionen dafür gab’s bereits im Zeitalter des damals noch euphorischen Autobahnbaus in den 1960ern. Aus der Erinnerung summt der Welthit der deutschen Band Kraftwerk von 1974: «Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn/ Die Fahrbahn ist ein graues Band/ Weisse Streifen, grüner Rand.» In Zeiten zunehmender Staus hört man den nicht mehr so beschwingt – ob mit oder ohne NAF.