Das mutmassliche Opfer des Ex-Cheftrainers am Regionalen Leistungszentrum für Kunstturnen in Wil gibt den Spitzensport auf.
Die Konflikte am Regionalen Leistungszentrum Ostschweiz (RLZO), der Kaderschmiede der regionalen Kunstturnerinnen und Kunstturner, fordern ein weiteres Opfer. Die Turnerin, die den gekündigten Cheftrainer im August wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt hat, hört auf. Sie beendet ihre Spitzensportkarriere. Die Beförderung der Frau des Trainers zur neuen Cheftrainerin hat gemäss mehrerer Quellen das Fass zum Überlaufen gebracht. Gegen ihn ermittelt die St.Galler Staatsanwaltschaft weiterhin.
Aus dem Umfeld des RLZO heisst es, die Situation in der Halle in Wil sei seit der Verhaftung des inzwischen gegen Kaution freigelassenen Trainers für die betroffene Turnerin untragbar geworden. Ihr seien seither zwar zwei Trainer zur Seite gestellt worden, die nicht zum engeren Umfeld des ungarischen Trainers oder seines Staffs gehörten. Jedoch führe die Anwesenheit der Athletin in der Halle immer wieder zu Konflikten und Zusammenstössen zwischen den mittlerweile verfeindeten Lagern: jenen, die der jungen Frau glaubten, und jenen, die sie mehr oder weniger offen der Lüge bezichtigten, darunter Trainer, Eltern und Kinder. Die Befragten sprechen von einem ständigen Spiessrutenlauf für das mutmassliche Opfer.
Die Nachricht vom Engagement der Frau des Ex-Cheftrainers hat nun zum Rückzug der zermürbten Turnerin geführt, die seit Kindesbeinen am RLZO zur Spitzenathletin aufgebaut wurde. Der Rückzug dürfte für sie weitreichende Folgen haben: Die 17-Jährige, die zum Zeitpunkt des mutmasslichen sexuellen Übergriffs 15 Jahre alt war, besucht eine auf das Spitzensporttraining massgeschneiderte Berufslehre, die sie zum Training am RLZO verpflichtet. Wahrscheinlich wird sie nun eine neue Lehrstelle suchen müssen.
Nach Abbruch des täglichen Hochleistungstrainings wartet auch das sogenannte Abtrainieren auf die Kunstturnerin: Auf Spitzensportniveau gestählte Athletinnen und Athleten müssen Muskeln, Herz-Kreislauf und Nervensystem gezielt auf ein normales Niveau zurücktrainieren. Dies kann gemäss Experten bis zu zwei Jahre dauern, damit der Körper keinen Schaden nimmt.
Aus Rücksicht auf das laufende Verfahren und auf Anraten der Opferanwältin nimmt die Familie der Turnerin zurzeit keine Stellung, bestätigt jedoch den Rückzug. Am Dienstagabend haben entsprechende Gespräche mit dem Vorstand des Trägervereins des RLZO stattgefunden.
Letzterer hatte in seiner Stellungnahme vom Freitag zur Wahl der neuen Cheftrainerin festgehalten, der Schritt sei kein Hinweis darauf, ob die Verantwortlichen des Leistungszentrums an die Unschuld des entlassenen Trainers glaubten: «Der Vorstand äussert sich nicht zum Verfahren und ist auch nicht Partei.» Es gelte für den Verdächtigten bis zum rechtlichen Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung.
Wie die künftige Zusammenarbeit zwischen der Cheftrainerin und dem mutmasslichen Opfer ihres Mannes ausgesehen hätte, präzisierte der Vorstand nicht.