Mehr häusliche Gewalt wegen Corona: Platz im St.Galler Frauenhaus könnte knapp werden – leere Hotels und Seminarhäuser bieten Hilfe an

Im engsten Kreis alleine zu Hause: Was gegen das Virus wirken soll, birgt auch die Gefahr von Übergriffen. Im Frauenhaus rechnet man mit mehr Fällen von häuslicher Gewalt gegen Frauen.

Christoph Zweili
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Noch hat es Platz im Frauenhaus St.Gallen.

Noch hat es Platz im Frauenhaus St.Gallen.

Michel Canonica

Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt, wir dürfen nicht mehr ohne Weiteres raus. Die Kinder können nicht zur Schule oder in die Kita. Dazu kommt das Homeoffice. Das Coronavirus bringt für viele auch existenzielle Sorgen. Die Belastung für viele Familien ist daher gross. «Die Frauenhäuser in der Schweiz rechnen damit, dass die Fälle von häuslicher Gewalt wegen der aktuellen Situation zunehmen werden», sagt Silvia Vetsch, die Leiterin des Frauenhauses St.Gallen. Die Situation verschärfe sich vor allem dort, «wo es ohnehin schon Schwierigkeiten in der Partnerschaft gibt».

Im Haus dessen Adresse geheim gehalten wird, stehen elf Zimmer für neun Frauen und elf Kinder zur Verfügung. Am Wochenende seien schweizweit praktisch alle Plätze belegt gewesen. «Jetzt haben wir hier in St.Gallen aber wieder Platz.» Die Restriktionen des Bundes dauern erst zwei Wochen an, «wir stehen daher erst am Anfang».

«Die Frauen, die jetzt im Haus sind, waren schon vorher da. Sie bleiben durchschnittlich rund 30 Tage – manche nur eine Nacht, andere auch mal zwei Monate.»

Das Haus versteht sich als grosse Wohngemeinschaft, «da ist das Distanzhalten schwierig». Bis jetzt seien aber alle gesund: Die eine Frau, die eine Erkältung hat, schützt sich und die andern mit einer Maske. Händewaschen und desinfizieren ist zum Alltag geworden. Für Vetsch hat die Situation etwas Surreales: «Wir sind ja sowieso viel drin. Wer neu dazu kommt, der bleibt erst recht die ersten Tage im Haus.» Seit dem Wochenende sind zehn Kinder im Haus – vom Baby bis zur 16-jährigen Jugendlichen. «Die müssen auch mal raus zum Spazieren. Zum Glück haben wir einen grossen Garten.» Im Haus sei zum Glück viel Platz für die Kinderbetreuung, so dass die Babys, die Kinder und die Jugendlichen getrennt voneinander per Homeschooling unterrichtet werden könnten.

Absprache mit der Opferhilfe

Das Frauenhaus St. Gallen arbeitet eng mit der Opferhilfe SG-AR-AI und anderen Fachstellen zusammen. Zusammen ist man sich einig: Nehmen die Fälle mit häuslicher Gewalt aufgrund der Isolation zu, will man sich mit den benachbarten Frauenhäusern in Winterthur, Chur und Liechtenstein aushelfen. Vorläufig brauche es keine zusätzlichen Plätze wie sie etwa die Opferhilfe im Kanton Zürich beantragt hat.

Auch Dritte stellen sich offenbar vor, dass sich die Situation im Frauenhaus zuspitzen könnte: Per Mail werden leere Hotels oder Seminarhäuser angeboten, falls es tatsächlich zu einem Ansturm kommt. «Wir haben schon ganz viele Angebote, freut sich Vetsch. Sie versucht mit dem Personal auszukommen, das sie hat. Mit Blick auf die Ansteckungen wolle man möglichst wenig Menschen von aussen dazu holen. «Das heisst für die Gesunden, dass sie teilweise mehr arbeiten müssen.»

Blick ins Frauenhaus St.Gallen.
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Blick ins Frauenhaus St.Gallen.
Blick ins Frauenhaus St.Gallen.
Blick ins Frauenhaus St.Gallen.
Blick ins Frauenhaus St.Gallen.
Blick ins Frauenhaus St.Gallen.
Blick ins Frauenhaus St.Gallen.
Blick ins Frauenhaus St.Gallen.

Blick ins Frauenhaus St.Gallen.

Michel Canonica

Zu 100 Prozent vom Kanton finanziert

Seit Anfang 2020 gilt eine neue Leistungsvereinbarung mit dem Kanton St.Gallen. Bisher musste die Stiftung Frauenhaus St.Gallen fünf Prozent des Budgets selber finanzieren, diesen Anteil übernimmt neu der Kanton. «Das ist eine grosse Erleichterung für uns», sagt die Geschäftsleiterin Silvia Vetsch. «Wir können die Spendengelder jetzt direkt für die Bewohnerinnen einsetzen und brauchen sie nicht länger den Betrieb.» Diese stünden am Beginn eines neuen Lebens: «Das alte lassen sie zurück, wenn sie sich trennen.» Diese Neuorientierung kostet: Es braucht eine Wohnungseinrichtung, Kinderzimmer und anderes mehr. 4000 Franken pro Fall rechnet Vetsch, «und das ist eher knapp bemessen». Ein grosses Thema seien auch Mietkautionen bei der Wohnungssuche: «Viele haben nach einer Trennung nicht einfach 3000 bis 4000 Franken übrig, um eine Kaution für eine neue Wohnung zu finanzieren.» (cz)