Fliegende Fäuste, Schüsse und ein Angeklagter auf der Flucht: Prozess um Marihuana-Handel in St.Gallen geplatzt

Am Dienstag hätten sich vier junge Männer vor Gericht verantworten müssen. Der Termin platzte, weil einer von ihnen auf der Flucht ist. Nun findet die Verhandlung rund um einen eskalierten Marihuanahandel vermutlich Ende Juni statt.

Claudia Schmid
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Ein Prozess am St.Galler Kreisgericht ist geplatzt. (Archiv/Coralie Wenger)

Ein Prozess am St.Galler Kreisgericht ist geplatzt. (Archiv/Coralie Wenger)

Zur Verhandlung am Kreisgericht St.Gallen waren ein 20-jähriger Schweizer, ein 25-jähriger Iraker, ein 22-jähriger Türke und ein gleichaltriger Äthiopier vorgeladen. Der türkische Staatsangehörige befand sich seit August 2016 im vorzeitigen Strafvollzug im Saxerriet, von wo er bereits im März 2017 flüchtete und sich seither an einem unbekannten Ort aufhält.

Via Amtsblatt vorgeladen

Da ein erster Verhandlungstermin nicht stattfinden konnte, ohne dass der flüchtige Beschuldigte offiziell eine Vorladung zur Verhandlung erhalten hatte, entschloss sich das Kreisgericht St.Gallen, ihn via Amtsblatt vorzuladen. Sie forderte ihn dazu auf, morgens um 8 Uhr zu erscheinen. Nachdem er nicht aufgetaucht und die gesetzlich vorgeschriebene Wartezeit von einer halben Stunde verstrichen war, wurde die Verhandlung verschoben. Falls der Flüchtige auch zum zweiten Gerichtstermin nicht erscheint, kann das Richtergremium in seiner Abwesenheit ein Urteil fällen.

Zu verhandeln ist ein abenteuerlicher Straffall, bei dem die Beschuldigten den Tathergang teilweise unterschiedlich schilderten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass zwei der jungen Männer auf die Idee kamen, einen Marihuanahändler zu überfallen. Nach Rückfragen bei Bekannten fanden sie ihn im 20-jährigen Schweizer, der Anfang 2015 damit begonnen hatte, mit Marihuana zu dealen. Bis zu seiner Festnahme im Mai 2016 soll er über zwei Kilo mit einem THC-Gehalt zwischen 12 und 17 Prozent verkauft haben. Weil er selber in Trogen wohnte, benutzte er für Verkaufsverhandlungen gelegentlich die Wohnung seiner Kumpels in St.Gallen.

Cannabis verkaufen wollen

In die St.Galler Wohnung bestellte der junge Marihuanahändler auch die vermeintlichen neuen Kunden. Der Iraker und der Türke gaben aber laut Staatsanwaltschaft nur vor, den Stoff kaufen zu wollen. In Tat und Wahrheit hätten sie – wenn nötig unter Anwendung von Gewalt – eine grössere Menge Marihuana mitnehmen wollen, ohne zu bezahlen. Ihre Absicht sei gewesen, ihrerseits das Cannabis zu verkaufen, um an Geld zu kommen.

Am 25. Mai 2016 begaben sich die beiden zum vereinbarten Treffpunkt an der St.Jakobstrasse in St.Gallen. Mit dabei war der Äthiopier, der vor der Wohnung Schmiere stehen sollte. Als das Duo eintraf, befanden sich der Marihuanahändler, seine Freundin und zwei seiner Kumpels in der Wohnung. Wie der Anklageschrift zu entnehmen ist, ging es nicht lange, bis die Situation eskalierte. Der Türke gab vor, das Geld für die 700 Gramm Marihuana dem Verkäufer zu übergeben. Stattdessen schlug er ihm unvermittelt die Faust ins Gesicht. Der Schweizer ging zu Boden und schlug den Hinterkopf so hart an, dass er für einige Zeit bewusstlos liegen blieb.

Vier Schüsse fallen

Fast gleichzeitig kam es zu einem Handgemenge zwischen dem Iraker und den beiden Kumpels des Marihuanahändlers. Der Türke nahm daraufhin sein Klappmesser hervor, fügte dem einen Anwesenden eine leichte Schnittverletzung im Gesicht zu und bedrohte die Freundin des Schweizers. In der Zwischenzeit war der Marihuanahändler aus der Bewusstlosigkeit erwacht, zog eine Faustfeuerwaffe und gab auf seine Angreifer vier Schüsse ab. Zwei trafen den Iraker in je einen Oberarm.

In den Einvernahmen der Untersuchungsbehörden widersprachen der Iraker und der Türke dieser Version des Tathergangs. Sie gaben an, der Marihuanahändler habe ihnen das Geld abnehmen wollen, ohne den Stoff auszuhändigen.

Quartett droht Gefängnis

Ob die Gerichtsverhandlung, die voraussichtlich Ende Juni stattfindet, mehr Klarheit über den Tathergang bringt, wird sich zeigen. Die Staatsanwaltschaft fordert für den Schweizer Marihuanahändler eine Freiheitstrafe von 3,5 Jahren. Dem Iraker, der zusätzlich im August 2016 einen Mann niedergeschlagen hatte, droht eine teilbedingte Haftstrafe von 3 Jahren. Der flüchtige Türke muss mit 19 Monaten Gefängnis rechnen.

Für den Äthiopier beantragt die Anklage eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten, eine bedingte Geldstrafe und eine Busse. Dies sanktioniert nicht nur sein Schmierestehen, sondern auch weitere Delikte wie Diebstahl, Fahrens ohne Ausweis und anderes.