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Die meisten können sich Fischzuchten im Bodensee nicht vorstellen. Aber welche Chancen und Risiken stellen Aquakulturen wirklich dar.
Das haben Wissenschaftler der Fischereiforschungsstelle Langenargen untersucht und Standards formuliert. Die Eier von Elterntieren aus dem Bodensee werden in der Brutanstalt erbrütet, die Setzlinge in grossen Becken vorgestreckt. Die Jungfische wachsen in Kreislaufanlagen heran, bis sie etwa zwölf Zentimeter lang sind. Bevor sie ins Freiwasser kommen, werden die kleinen Fische gegen Furunkulose geimpft. Später brauche es keine Medikamente mehr, auch keine Antibiotika, sagen die Wissenschaftler. Draussen in den Netzgehegen wachsen die Fische in etwa zwei Jahren zu schlachtreifen Felchen heran.
Zunächst Bio-Forellenfutter; Felchenfutter gibt es (noch) nicht auf dem deutschen Markt, sagt Alexander Kessler, stellvertretender Vorsitzender der Genossenschaft RegioBodenseeFisch, die die Netzgehege plant. Aber auch das kommt nicht ohne Fischmehl und -öl aus, denn die fleischfressenden Felchen brauchen Proteine. Die werden aus Schlachtabfällen von Fisch gewonnen. Oder aus Sardellen und Makrelen. RegioBodenseeFisch will Forellenfutter aus überwiegend pflanzlichen Komponenten verwenden, die nicht aus genmanipuliertem Soja oder Mais stammen. Die Genossenschaft geht von 1,1 Kilogramm Futter für die Produktion von 1 Kilogramm Fisch aus. Mit einer eigenen Futtermühle könnte perspektivisch Bio-Futter produziert werden.
In einer Studie zu den Perspektiven der Aquakultur in Deutschland, die im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums erstellt wurde, steht, dass von der EU zugelassene genetisch veränderte Organismen (GVO) grundsätzlich in Fischfutter eingesetzt werden dürfen. Der Markt sei GVO gegenüber zwar skeptisch, allerdings sei es immer schwieriger, einige Inhaltsstoffe in nicht genetisch veränderter Form zu beziehen. Allerdings hätten zu viele pflanzliche Proteine im Futter negative Auswirkungen auf Wachstum und Geschmack der Zuchtfische.
Die Genossenschaft spricht von einer geplanten geringen Besatzdichte der Netzgehege, ähnlich einem Felchenschwarm von 5 bis 8 Kilogramm Fisch auf 1000 Liter Wasser. Umgerechnet wären das bis zu 20 ausgewachsene Felchen in einem Aquarium mit der Kantenlänge von einem Meter.
RegioBodenseeFisch versteht sich als landwirtschaftliche Genossenschaft für den gesamten Bodensee. «Wir stehen allen Berufsfischern offen, auch in der Schweiz und Österreich», sagt Alexander Kessler. Die Idee sei, mit einer Genossenschaft keine Lebensmittelindustrie aus der Fischwirtschaft zu machen. Vorerst ist eine Pilotanlage mit zwei Netzgehegen geplant, um die Fischmast wissenschaftlich begleitet zu testen. Denn bis dato gibt es keine gesicherten Daten, welche Auswirkungen solche Netzgehege im Bodensee haben, sondern nur Prognosen der Wissenschaftler. Der Rest sei eine Frage der Genehmigung: In Finnland oder Schweden etwa schreiben Behörden fest, wie viel Futter maximal in ein Gewässer eingetragen oder wie viel Fisch erzeugt werden darf. Auch die Standorte der Netzgehege könnten Behörden festschreiben.
Die Investitionskosten veranschlagt RegioBodenseeFisch mit rund 1,5 bis 2 Millionen Euro für die geplanten 12 Netzgehege. Grossinvestoren oder Konzerne sollen sich nicht an der RegioBodenseeFisch beteiligen dürfen, so Kessler. 2015 wurde vom Land signalisiert, dass die Genossenschaft mit Fördergeldern auch von der EU rechnen könne, wenn man den Fischern damit ermöglicht, ein zweites Standbein aufzubauen. Die Rede war von 40 Prozent der förderfähigen Kosten.
Kritiker befürchten eine Verschlechterung der Wasserqualität durch Futter und Kot der Fischschwärme. Die Ökofolgen sin schlecht kalkulierbar. Dass Aquakultur selbst in einem Trinkwasserspeicher geht, ist für die Genossenschaftler bewiesen. Sie verweisen auf die Forellenzucht im finnischen Lake Päijänne, der für Helsinki Trinkwasser speichert, und auf die kanadischen Great Lakes. Die Fische produzieren nach Angaben der Wissenschaftler in zwölf Netzgehegen rund 200 Kilo an bioverfügbarem Phosphor. Im gesamten Bodensee werden jährlich rund 160 Tonnen des chemischen Elements eingetragen.
Auch das hat die Fischereiforschungsstelle Langenargen untersucht. Hier würden die Felchen in geschlossenen Kreislaufanlagen heranwachsen. Auswirkungen auf den Bodensee hätte solch eine Anlage nicht. Doch allein der Aufbau für die Produktion von 500 Tonnen jährlich würde 6,5 bis 8,3 Millionen Euro kosten, der Betrieb nicht eingerechnet. Zu teuer und unwirtschaftlich, sagen die Wissenschaftler.
Viele Berufsfischer am Bodensee halten die Fischzucht für eine zusätzliche Bedrohung ihrer Existenz. Der gezüchtete Fisch wäre grösser und fetter und würde den Wildfisch vom Markt verdrängen, befürchten sie. Felchen aus dem Freiwasser sind oft so mager, dass diese nicht mal mehr geräuchert werden können. Und während der Berufsfischer in der Schonzeit keine Felchen liefern kann, bietet die Aquakultur eingeschränkt ganzjährig Fisch. Doch die Genossenschaft verneint den Preisdruck auf das Premiumprodukt Wildfelchen, zumal die Fischzucht teurer sei.