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Ostschweiz
Arbon, Kreuzlingen, Weinfelden
Ende März müssen alle Anwohner der Thurfeldstrasse in Weinfelden ausziehen. Bis sie eine neue Wohnung haben leben sie zwischen Baggerlärm und Staubwolken. Ein Quartier zwischen Abbruch, Wehmut und Resignation.
Nun ist klar: Ende März müssen die letzten Anwohner der Thurfeldsiedlung aus ihren Wohnungen ausziehen. Noch längst nicht alle Mieter haben eine neue Wohnung gefunden. Bis es soweit ist, leben sie in einem Quartier, das dem Untergang geweiht ist.
Wer aus dem Fenster schaut, sieht vor allem eines: Schutt, Asche, grosse Lücken. Mehrere Häuser sind bereits dem Erdboden gleich. Fein säuberlich wurde der Grund platt gewalzt.
Walter Knill steht in seinem Garten und betrachtet die grosse Leere. Noch sieht sein eigener Garten grün aus. Kopfsalat, Karotten, Zuckerhut und vieles mehr wartet darauf, geerntet zu werden. In ein paar Monaten wird auch der Ort, an dem er jetzt steht, fein säuberlich platt gewalzt sein. «Es tut weh», sagt er. Ein spezielles Gefühl sei es, an einem Ort zu wohnen, wo rundherum abgebrochen wird; und zu wissen, dass das eigene Mietshaus eines der nächsten sein wird.
«Ich will kein Mitleid. Es ist nun so, wir haben uns mit der Situation abgefunden», sagt er. Das Kapital, habe gesiegt. Ein Spruch, der auch andern Anwohnern auf den Lippen liegt.
«Wir sind so machtlos», sagt eine langjährige Anwohnerin. Das mache sie manchmal richtig wütend. «Wir haben wenigstens nicht gleich aufgegeben. Viele sind sofort ausgezogen, vielleicht waren sie in einem Schockzustand», mutmasst sie. Aber eben, nun hätten sie sich damit abgefunden. «Ich habe noch keine Wohnung, ich möchte näher ins Zentrum», sagt die 80-Jährige.
«Warum seid ihr nicht ausgezogen, ihr wisst es ja schon lange.» Das sei eine Frage, die die Anwohner der Thurfeldsiedlung oft zu hören bekommen, erzählen sie. Zum einen hätten sie auf die Kündigung gewartet, aber Walter Knill nennt noch einen viel wichtigeren Grund:
«Wir wohnen seit Jahrzehnten hier. Das ist nicht einfach irgendeine Wohnung, aus der wir ausziehen müssen. Es isch üses Dihai.»
Hinter ihm kracht die nächste Wand zusammen. Die starke Baggerklaue greift erbarmungslos um sich. Ein Fenster, dann das Dach. Alles muss daran glauben.
«Die Arbeiter geben sich wirklich grosse Mühe. Sie arbeiten sorgfältig und schauen, dass es nicht zu viel Staub gibt», sagt eine andere Anwohnerin. Lüften sei derzeit dennoch nicht denkbar. Es ist die Faszination der Zerstörung, welche die Anwohner fast täglich zu den Baustellen führt.
«Der Baggerführer hat sein riesiges Gefährt so gut im Griff, wie wir eine Gabel zum Essen», sagt die Anwohnerin. Alle Schuttteilchen würden separiert, erzählt sie. Über den Abbruch wissen die Anwohner bestens Bescheid. Welches Haus wann gefallen ist. Wer darin wohnte und wer heute noch in welcher Wohnung lebt.
Sein «Dihai», das Quartier an der Thurfeldstrasse, kennt man eben. «Es läuft alles nach Vorschrift. Und trotzdem ist es schlimm für uns. Wir leiden. Es ist ein Drama», findet die 80-Jährige. Östlich ihrer Wohnung steht bereits das nächste Haus umzäunt. Alle wissen, es wird das nächste sein, das fällt.