Am Kreuzlinger Bahnhof tauschten die Kriegsmächte ab Ende 1944 Gefangene aus. Der Austausch über Schweizer Boden gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ist nicht sehr gut dokumentiert. Doch sei nach dem Überqueren der Grenze das Leben ausgebrochen, erinnert sich ein pensionierter Lokführer.
Es ist 75 Jahre her, aber «Gust» erinnert sich sehr genau an die Geschehnisse am Kreuzlinger Bahnhof. August Fust arbeitete damals als Heizer im Bahndepot Romanshorn. Am 1. November 1944 erhielt er kurzfristig den Auftrag, einen Zug mit verwundeten deutschen Soldaten, der aus Genf gekommen war, nach Konstanz zu führen. Und auf dem Rückweg müsse er einen Zug mit französischen Kriegsgefangenen abholen. Es handelte sich offenbar um einen Gefangenenaustausch der Kriegsmächte.
August Fust feiert dieser Tage in St.Gallen seinen hundertsten Geburtstag. Zu diesem Anlass führte die Gewerkschaft SEV ein Interview mit dem seit 1984 pensionierten Lokführer. Als wäre es gestern gewesen, berichtet darin der Rentner, was ihn damals sehr bewegte.
«Als ich den Zug mit den deutschen Verwundeten und Kranken nach Konstanz führte, lief dort Marschmusik wie verrückt.» Man habe die Kriegsversehrten auf Bahren ausgeladen und ihnen Blümchen angesteckt.
«Unterdessen warteten französische Gefangene in zwei Zügen darauf, in die Schweiz gebracht zu werden. Sie wurden von der SS bewacht und waren mucksmäuschenstill.»
Auf dem Rückweg nach Kreuzlingen hätte sich die Stimmung unter den Franzosen augenblicklich geändert.
«Nach der Grenze brach im Zug das Leben aus. Die Fenster gingen runter, die Gefangenen waren wahnsinnig erleichtert, freuten sich, sangen und machten Musik.»
Am Kreuzlinger Bahnhof seien die Hungrigen und Durstigen von der Schweizer Armee und Rotkreuzhelferinnen betreut worden.
«Die ganze Bevölkerung strömte herbei und brachte zum Essen und zum Trinken. Die bewegenden Szenen dauerten Stunden.»
Erst spätabends kam August Fust zurück nach Romanshorn. Ein Tag, den er nie vergessen sollte.
Dieser Austausch von Kriegsgefangenen über Schweizer Boden gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ist nicht sehr gut dokumentiert. In der «Thurgauer Zeitung» vom 3. November war zu lesen: «Auf Veranlassung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sind in den letzten Tagen mehrere hundert schwerverwundete deutsche und französische Kriegsgefangene ausgetauscht worden. Zwei vom Armeekommando ausgerüstete und zur Verfügung gestellte Sanitätszüge verkehrten zu diesem Zwecke zwischen Aix-les-Baines und Kreuzlingen-Konstanz.»
Der damalige Kreuzlinger Bezirksstatthalter Otto Raggenbass berichtete im Buch «Trotz Stacheldraht» von den schwierigen Verhandlungen zwischen Alliierten und Deutschen, weshalb der Bundesrat das Schweizer Territorium und Lazarettzüge für den Austausch anbot.
Die Tägerwilerin Saskia Egloff war seit 1940 Sekretariatsleiterin des Schweizerischen Roten Kreuzes, Sektion Thurgau und sie war begeisterte Fotografin. Sie hielt auch während des gesamten Zweiten Weltkrieges das Geschehen in Kreuzlingen in unzähligen Bildern fest. Vom Verwundetenaustausch im Januar 1945 lieferte sie der «Schweizer Illustrierten» eine mehrseitige Bild-Reportage.
Ende Januar passierten mehrere Züge mit rund 7000 schwerverletzten, in Kriegsgefangenenschaft geratenen Soldaten und 2000 Zivilpersonen den Bahnhof «Kreuzlingen Ost». Die Möglichkeit, diese Transporte in Bildern festzuhalten, hatte Saskia Egloff, weil sie für das Rote Kreuz arbeitete, heisst es in einem Beitrag von Michael Bürgi im Buch «Kreuzlingen».
Sie hielt auch das Geschehen nach dem Kriegsende in eindrücklichen Bildern fest, etwa vom Zeltlager für die unzähligen Flüchtlinge in Emmishofen. Oder von den Repatriierungen von befreiten KZ-Häftlingen, die über Kreuzlingen führten, 10000 bis 12000 an der Zahl sollen es damals gewesen sein.
In der Dauerausstellung «Hüben und Drüben» des Kreuzlinger Museums Rosenegg sind Bilder und Filme von Saskia Egloff zu sehen.
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