«Freier stehen entblösst an den Fenstern»: Familien beschweren sich über Arboner Erotikbetrieb

Drogen, nackte Frauen und ausufernde Orgien: Familien stören sich ob des Treibens im benachbarten Etablissement. Die Stadt soll über das gemeindeeigene Reglement Ordnung schaffen.

Tanja von Arx
Drucken
Laut der Stadt entspricht die Arbeitstätigkeit im Rotlichtmilieu teilweise einem gesellschaftlichen Bedürfnis. Bild: Reto Martin

Laut der Stadt entspricht die Arbeitstätigkeit im Rotlichtmilieu teilweise einem gesellschaftlichen Bedürfnis. Bild: Reto Martin

«Das ist unzumutbar! Für uns ist es unverständlich, dass Arbon durch einen solchen Schandfleck entwertet wird.» Diese Zeilen schreiben Familien via Brief an die Stadt, welcher der Redaktion vorliegt. Und zwar über den angrenzenden Erotikbetrieb. Sie fordern dem Betreiber umgehend die Bewilligung zu entziehen und das Lokal zu schliessen. Denn was man da beobachte, liesse einem die Haare zu Berge stehen – insbesondere in Anbetracht der teils noch kleinen Kinder.

«Die Freier stehen entblösst an den Fenstern»

«Fast täglich stehen die Frauen nackt an den Fenstern des Innenhofs, vor allem im Sommer», liest sich weiter. Am Abend würden auch Freier nackt durch die Zimmer gehen. «Schon einige Male riefen wir herüber. Mehr als die Gardinen zuziehen liegt aber wohl nicht drin. Auf dem Weg erlebt man die Befriedigung der Kunden komplett per Audio mit.» Die Nachbarn vermuten, dass «die Damen auf ihre Kunden warten und laute Musik starten, sobald sie eintreffen». Um schlafen zu können, müssten sie alle Fenster schliessen. «Offensichtlich kommt es immer wieder vor, dass Orgien gebucht werden, bei denen viele Männer sich gegenseitig ‹anfeuern›.»

Darüber hinaus lägen überall Scherben, Drogenpäckchen und benutzte Feuchttücher herum. «Die Päckchen haben wir bei der Polizei abgegeben.» Männer würden Zigaretten in den eigenen Hof werfen. Die benachbarten Familien fügen an, dass sie mit dem Geschäftsführer bereits das Gespräch gesucht hätten. «Er hat sich bemüht und sich verständnisvoll gezeigt.» Die Nachhaltigkeit der Massnahmen sei aber überschaubar geblieben.

«Ein Entzug des Patents ist unverhältnismässig»

Die Stadt antwortet vor einigen Tagen schriftlich: «Ein Entzug des Patents für den Barbetrieb ist nicht verhältnismässig und rechtlich nicht durchführbar, da die Immissionen aus dem bewilligungsfreien Erotikbetrieb kommen.» Solche Betriebe haben laut Peter Wenk, Leiter der Abteilung Einwohner und Sicherheit, auch im Städtli ihre Berechtigung und müssen nicht versteckt oder gar eliminiert werden. «Sie entsprechen teilweise einem gesellschaftlichen Bedürfnis.» Man habe bei der Kantonspolizei nachgefragt und in den letzten Monaten hätte es keine nennenswerten Klagen gegeben. «Die von Ihnen festgestellten optischen Immissionen haben nachbarschaftlichen Charakter und werden vermutlich lediglich unbedacht oder fahrlässig verursacht.»

Das gemeindeeigene Reglement für Sicherheit und Ordnung sei bedingt anwendbar: Im Hinblick auf die Nachtruhe von 22 Uhr bis 6 Uhr, aber nicht dahingehend, dass es verboten sei durch grob ungebührliches Verhalten in der Öffentlichkeit Ärgernis zu erregen. Oder gegen Anstand und Sitte grob zu verstossen. «Überlaute Geräusche während nächtlicher Tätigkeiten sind indes eine besonders unangenehme Art der Lärmbelästigung und derart privat, dass man von ihnen bevorzugt gänzlich verschont bleiben möchte.»

Schwierig, bei Rückzug auf die Zimmer zu kontrollieren

Wie aus den Unterlagen hervorgeht, hat die Stadt mit dem Geschäftsführer geredet. «Er sagt, er mache das monatlich wechselnde Personal permanent auf korrekte Verhaltensweisen aufmerksam und halte zur Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft an.» Allerdings sei es beim Rückzug in die Zimmer schwierig korrektes Verhalten zu prüfen, trotz Kontrollgängen ausserhalb des Etablissements. «Künftig will er noch intensiver auf nächtliche Ruhebedürfnisse eingehen. Und er erwägt Folien auf die Fenster zu kleben.» Falls er Eigentümer der Liegenschaft werde, wolle er zudem bauliche Massnahmen vornehmen. «Um Gegenstände regelmässig zu entsorgen, bitten wir, ihm besseren Zugang zu ermöglichen.»

Sollten Gelage in Zimmern mit offenen Fenstern derart laut und nachtruhestörend sein, empfiehlt die Stadt Meldung bei der Polizei zu machen und über die getätigte Anzeige zu informieren.

«Realistisches, nicht alltägliches Beispiel»

Die Stadt Arbon hat ein Reglement für Sicherheit und Ordnung erarbeitet, das über verbindliche Richtlinien das Zusammenleben erleichtern soll. Erfasst sind Sachverhalte, die im übergeordneten Recht nicht geregelt sind – von Ruhezeiten über Hundehaltung bis hin zur Prostitution. Widerhandlungen können mit einer Busse bis 300 Franken bestraft werden. Der verantwortliche Stadtrat Konrad Brühwiler bezieht Stellung zum vorliegenden Fall.

Konrad Brühwiler, Stadtrat Ressort Einwohner und Sicherheit

Konrad Brühwiler, Stadtrat Ressort Einwohner und Sicherheit

Herr Brühwiler, wie stufen Sie die beschriebenen Ereignisse ein?

Ich würde sagen, es ist das realistische Beispiel einer nicht alltäglichen Problematik.

Demnach gestaltet sich die aktuelle Situation im Städtli als überschaubar und gut?

Ja, dank des seit 2014 geltenden Reglements kennen die Nutzer in den meisten Fällen ihren Handlungsspielraum. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, macht die Abteilung Einwohner und Sicherheit unter Leitung von Peter Wenk bedacht auf ihr Vergehen und die weiteren Folgen aufmerksam.

Was bedeutet das?

Die Stadt als Ordnungshüterin kann den Verursachern und den Betroffenen klare Gesetzmässigkeiten aufzeigen. Betroffene Stellen akzeptieren das Reglement als verbindlich, so halten Gastrobetriebe oder Nachbarn Ruhezeiten ein.

Welche Rolle spielt dabei die Securitas?

Die Ordnungshüter sind im Gefahrenbereich präsent und kontrollieren. Als zweite Instanz rapportiert im Fall des Falles die Polizei via Tatsachenbericht. Dieser dient der Stadt als Grundlage, sollte sie dazu angehalten sein, Missstände zu bestrafen – im Extremfall etwa mit einem Patententzug.

Ist Arbon mit der Thematik allein?

Umliegende Gemeinden haben ähnliche Probleme, vielleicht auch in einem andern Mass. 2019 wollen sich indes die Gemeinden Arbon, Roggwil, Horn, Steinach und Egnach über das «Netzwerk Süd plus» zusammenschliessen, um eine Effizienzsteigerung betreffend die Securitas zu erzielen.