Heute kennt kaum noch einer den Namen Ambrosius Blarer. Dabei ist die Geschichte des adligen Benediktinermönchs ungewöhnlich. Zusammen mit seinen Geschwistern reformierte er Konstanz. Ursprünglich stammt die Familie aus St.Gallen.
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Adlig, katholisch, die Familie ursprünglich aus St.Gallen: Ambrosius Blarer war ein aussergewöhnlicher Mönch. Dank seiner Hartnäckigkeit reformierte er Konstanz. Dabei war Ambrosius massgeblich an der Reformation beteiligt: In Konstanz, aber auch in Ostschweizer Orten. Ausserdem spaltete die Reformation die Familie Blarer in zwei Lager – Katholiken und Protestanten. Doch heute kennt kaum noch jemand seinen Namen.
Von Haus aus waren die Blarers äusserst katholisch. Kaum eine Ostschweizer Adelsfamilie stellte mehr geistliche Würdenträger. Zudem unterstützte sie etliche Klöster finanziell. Das St.Katharinenkloster in St.Gallen geht gar auf einen Blarer zurück: 1228 vermachte Ulrich Blarer der Frauengemeinschaft das Grundstück. Und während Ambrosius Konstanz reformierte, baute sein Verwandter Diethelm Blarer von Wartensee die Fürstabtei St.Gallen wieder auf, nachdem das Kloster wegen der Reformation von 1529 bis 1531 aufgehoben worden war.
Schon im 14. Jahrhundert hatten sich mehrere Blarer aus St.Gallen in Konstanz niedergelassen. Von diesen Auswanderern stammte Ambrosius Blarer ab, der 1504 mit zwölf Jahren ins Benediktinerkloster Alpirsbach im Schwarzwald eintrat. Durch sein Studium an verschiedenen Universitäten lernte er Philipp Melanchthon kennen, Philosoph, Humanist und Vertrauter von Martin Luther. Mit der Lehre Luthers wurde Ambrosius ab 1518 bekannt. Sein Bruder Thomas studierte in Wittenberg, wo er Luther als Beichtvater nahm und von wo er Ambrosius ab 1520 Schriften sandte. Dieser begeisterte sich zunehmend für die Reformation und begann reformatorisch zu predigen, was die anderen Mönche und die Bewohner von Alpirsbach weder verstanden noch akzeptierten. Trotzdem wurde der 29-jährige Ambrosius zum Prior gewählt. Das Amt verlor er kurz darauf aber wieder wegen seiner reformatorischen Predigten. Ambrosius floh aus dem Kloster und kehrte 1522 in seine Heimatstadt Konstanz zurück.
Anfangs versteckte er sich im Elternhaus – auf Wunsch seiner Mutter. Sie wollte ein öffentliches Ärgernis verhindern, schreibt Katharina Schill in ihrer Maturaarbeit «Ambrosius Blarer – der vergessene Reformator». Denn das Kloster hatte den Konstanzer Rat aufgefordert, Ambrosius zurückzuschicken. Dem kam der Rat aber nicht nach, obwohl Ambrosius schon bald Flugschriften verfasste, in denen er die Ratsherren aufforderte, für das Evangelium einzutreten. Tatsächlich bevorzugte dieser die neue Lehre. In Konstanz wurde zu diesem Zeitpunkt bereits evangelisch gepredigt.
Auch Ambrosius wurde angeboten, wieder zu predigen. Jedoch plagten den Benediktinermönch Zweifel. Widersprach eine evangelische Pfarrstelle seinem Klostergelübde? Drei Jahre nach der Flucht aus dem Kloster war der Konflikt gelöst: Ab 1525 predigte Blarer in der Pfarreikirche St.Stephan und wurde zum Führer der örtlichen Reformation.
Bei der Reformation von Konstanz halfen Ambrosius’ Bruder Thomas und Johannes Zwick, ein Cousin. Die Brüder arbeiteten Hand in Hand: Thomas als Mitglied des Rates und späterer Bürgermeister wirkte im Rat, Ambrosius als Geistlicher in der Kirche. Johannes unterrichtete derweil Kinder und Jugendliche, brachte ihnen zum Beispiel die Zehn Gebote bei. Auch Margarete Blarer unterstützte ihre Brüder. Sie stand in regem Kontakt mit Reformatoren anderer Städte und widmete ihr Leben der Versorgung von Alten, Kranken, Witwen und Waisen. Unterstützt von vielen Ratsherren, die zu einem grossen Teil eine enge Beziehung zur Blarer-Familie pflegten, gelang die Reformation. Neue Kirchenordnungen wurden geschaffen, Klöster geschlossen, die katholische Messe verboten. 1527 floh der Bischof nach Meersburg.
Ambrosius hingegen reiste in die Schweiz. 1529 bis 1530 wirkte er als Reformator in Bischofszell, Herisau und Wil. Auch in Deutschland blieb Ambrosius tätig. 1534 erteilte Herzog Ulrich von Württemberg Ambrosius und Erhard Schneck den Auftrag, Baden-Württemberg zu reformieren.
Das Selbstbewusstsein von Ambrosius wuchs. Er versuchte gemäss Schill das Kirchenwesen so schnell wie möglich umzugestalten. Blarer wandte sich zunehmend der Schweizer Reformation zu und ging gegen die Täufer immer schärfer vor. Nun wurde Ambrosius von allen Seiten angegriffen. Auch seine Hochzeit mit der ehemaligen Dominikanernonne Katharina Ryff war umstritten. Dem inzwischen 41-jährigen Ambrosius wurde nachgesagt, er habe mit Katharina schon vor der Heirat Kinder gezeugt.
Die Schicksalsschläge häuften sich. Ambrosius’ Schwester und sein Cousin starben an der Pest. 1546 brach der Schmalkaldische Krieg zwischen Kaiser Karl V. und protestantischen Fürsten und Städten aus. Karl V. rekatholisierte eine Stadt nach der anderen, bis Anfang 1547 einzig Konstanz sich noch widersetzte. Die Stadt wollte sich nicht unterwerfen, so wurde vermittelt. Vermittler war ausgerechnet ein Blarer. Gerwig, ein entfernter Cousin und Fürstabt der Reichsabtei Weingarten. Ein Berater von Karl V. soll dazu gesagt haben: «Ein Blarer-Mönch hat die Heimat in die Irre geführt, ein Blarer-Mönch möchte sie zurückbringen.» Doch die Vermittlungen scheiterten. Der Kaiser isolierte Konstanz und belegte die Stadt mit der Reichsacht. Erklärte sie also für fried- und rechtlos, nahm ihr die Reichsfreiheit. 1548 gab Konstanz auf. Zu diesem Zeitpunkt weilte Ambrosius Blarer schon im Thurgau. In seine Heimatstadt kehrte er nie wieder zurück. 1564 starb Ambrosius verarmt und verbittert in Winterthur.
Adel in der Schweiz? Ja, den gab und gibt es heute noch. Dass die freiheitsliebenden Eidgenossen all ihre Herren umbrachten oder vertrieben, ist eine Legende, wie Andreas Z’Graggen in seinem Buch «Adel in der Schweiz» deutlich aufzeigt. Darin schildert Z’Graggen, wie Adelsfamilien die Schweiz während Jahrhunderten prägten. Jeder der erwähnten Familien ist ein Kapitel gewidmet. Interviews mit Nachkommen über ihr Leben und die Vergangenheit ihrer Familie ergänzen die historischen Kapitel.
Angereichert ist das Buch mit vielen Bildern sowie Anekdoten, die auf ein bis zwei Seiten erzählt werden. Zudem finden sich im Buch Kapitel zum Leben der Adligen, etwa zur Tagsatzung oder den Schlössern und Burgen. Von den Ostschweizer Adligen werden vor allem die Zollikofer und die Blarer erwähnt.