Der Vorsitzende des Mannheimer Landgerichts hat bei der Urteilsverkündung im Fall Kachelmann die Sensationslust der Medien scharf kritisiert. Wie sich die Journalistikprofessorin Marlis Prinzing dazu stellt.
Marlis Prinzing: Etliche Journalisten wissen nicht mehr, was ihre Funktion ist. Statt zu informieren und die Ereignisse in einen grösseren Zusammenhang zu stellen, haben sie ermittelt und über Jörg Kachelmann gerichtet. Das Prinzip der Unschuldsvermutung ist oft verletzt worden – in der Schweiz und in Deutschland. Die Medien haben meist versäumt, Themen wie Gewalt, Machtspiele, Lug und Trug in Beziehungen aufzugreifen.
Prinzing: Tatsächlich besteht Informationspflicht, wenn eine öffentliche Person wie Jörg Kachelmann in Untersuchungshaft sitzt. Schliesslich müssen die Medien erklären, weshalb ein Wettermoderator nicht mehr im Fernsehen auftritt. Schlafzimmer-Recherche jedoch ist unangebracht. Der Beruf der Journalisten beschränkt sich auf das, was für die Öffentlichkeit relevant ist.
Prinzing: Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft hat Jörg Kachelmann dem Nachrichtenmagazin «Spiegel» ein Interview angeboten, um es auf seine Seite zu ziehen. Es liegt in der Verantwortung der Medien, solche Angebote abzulehnen. Andere Medien, die aus dem Tagebuch der Ex-Freundin Kachelmanns zitiert haben, haben sich hingegen hinter sie gestellt. Mit diesem Prozess vor dem Prozess griff man dem Gericht vor.
Prinzing: Ich glaube nicht. In einem Vergewaltigungsprozess gehören nun mal viel Details nicht verbreitet. Das bedient nur die Schaulust. Gestern sollen die ersten Leute um fünf Uhr morgens Schlange vor dem Landgericht Mannheim gestanden haben, um sich einen Platz für die Urteilsverkündung zu sichern.
Prinzing: Das hängt vom jeweiligen Betrachter ab. Manche halten Jörg Kachelmann für einen unschuldig festgenommenen Prominenten, andere trauen ihm alle Schandtaten zu. Was in der Nacht auf den 9. Februar 2010 wirklich passiert ist, wissen nur zwei Personen: Jörg Kachelmann und seine Ex-Freundin. Fest steht für mich lediglich, dass sein Ansehen zusätzlich beschädigt worden ist, indem viele Medien die Unschuldsvermutung verletzt haben.
Prinzing: Ich bezweifle auch, dass aus diesem Prozess Sieger hervorgehen. Beide, Jörg Kachelmann und seine Ex-Freundin, mussten ertragen, dass ihnen manche Medien nachstellten.
Interview: Diana Bula