«Ich bin ein Appenzeller»

Jens Weber tritt am 18. Oktober für die SP zur Wahl in den Nationalrat an. Der 47-Jährige arbeitet seit 20 Jahren als Kantonsschullehrer in Trogen. Für den eingebürgerten Amerikaner ist das Appenzellerland zur Heimat geworden.

Karin Erni
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Nationalratskandidat Jens Weber an seinem Arbeitsort. An der Kantonsschule Trogen unterrichtet er Wirtschaft und Recht. (Bild: Stephanie Sonderegger)

Nationalratskandidat Jens Weber an seinem Arbeitsort. An der Kantonsschule Trogen unterrichtet er Wirtschaft und Recht. (Bild: Stephanie Sonderegger)

TROGEN. Das Haus Nummer 18 ist ein stattliches, weisses Appenzellerhaus. Einziger Schmuck ist eine schwarze Krähe aus Metall über der Türe. Nationalratskandidat Jens Weber empfängt die Besucherinnen an diesem heissen Sommertag barfuss und im T-Shirt und führt sie in den Garten. Kein Zaun umgibt das Grundstück. Zwischen den Nachbarhäusern hindurch grüsst die grüne Hügellandschaft. Hier wohnt Weber mit seiner Familie seit 17 Jahren. Zuerst als Mieter, später haben sie das Haus gekauft und nach ihren Bedürfnissen umgebaut.

Vielseitig interessiert

Jens Weber ist in den Vereinigten Staaten von Amerika geboren und in Chile aufgewachsen. Sein Vater war Pfarrer bei einer Missionsgesellschaft. 1981 zog die Familie nach Heiden. Dort besuchte Jens die Sekundarschule und wechselte anschliessend an die Kantonsschule Trogen. Hier unterrichtet der studierte Staatswissenschafter heute Wirtschaft und Recht.

In früheren Jahren feierte Weber Erfolge als Sänger und brillierte als Sportler. Nun kandidiert er für den Nationalrat. Er sei halt schon immer sehr vielseitig gewesen, sagt 47-Jährige fast entschuldigend. «Ich hatte stets das Glück, meine Vielseitigkeit ausleben zu können.» Als besonders religiös würde sich Pfarrerssohn Weber nicht bezeichnen. «Ich habe mich in einem aufgeklärten Sinn von der Religion gelöst.» Er sei aber Mitglied der Kirche und bekenne sich zur christlich-abendländischen Kultur. «Wir werden heute zunehmend mit anderen Kulturen und Religionen konfrontiert, da ist es gut zu wissen, wo die eigenen Werte herkommen», ist er überzeugt.

Familie als Fixpunkt

Seine Frau hat Jens Weber an einer Aufführung der «Canterbury Tales» in St. Gallen kennengelernt. Oder besser sie ihn. Der Sänger mit der wallenden Lockenpracht gefiel der Zuschauerin und sie wollte ihn kennenlernen. Die Familiengründung hat dann den weiteren beruflichen Weg vorgegeben. «Meine Frau hat eine Stelle als Biologielehrerin in Trogen erhalten. Da dort ein Lehrer kurzfristig kündigte, wurde ich vom Rektor angeworben», erzählt Weber. Neben dem Unterrichten tourte er mit dem Barockorchester La Petite Bande durch ganz Europa. «Doch das Leben als freischaffender Sänger passte mir immer weniger.» Als Vater von zwei Kleinkindern wollte er nicht mehr so viel reisen. Heute beschränken sich seine Auftritte mehrheitlich auf die Region.

Mehrere Projekte initiiert

«Dienst an der Allgemeinheit» – ein Begriff, der im Gespräch mit Jens Weber immer wieder fällt. Er begründet damit seine Nationalratskandidatur ebenso wie sein Engagement bei der Feuerwehr oder die Teilnahme in der Fernsehsendung «Mini Beiz, dini Beiz». «Für mich als Ausländer bildete die Feuerwehr damals die einzige Möglichkeit, mich in die Gemeinde Trogen einzubringen.» Nach der Einführung des Ausländerstimmrechts hat Weber die Gelegenheit ergriffen und wurde Mitglied der Einbürgerungskommission. 2006 wählten ihn die Trogner in den Gemeinderat. In seine Amtszeit fallen der Arealentwicklungsprozess «Boden, Büel, Unterstadel» und die angestrebte Pflästerung des Landsgemeindeplatzes. Beide Vorlagen brachte er erfolgreich durch die Abstimmung. Weber war auch Initiant des Projektes «Lebendiger Dorfkern Trogen». Dieses Projekt wurde später weiterentwickelt und im Kanton als «Hausanalyse AR» eingeführt. Deren Ziel ist es, die alte Bausubstanz im Kanton zu aktivieren.

Gegensteuer geben

Bis 2013 war er Mitglied des Gemeinderates, die letzten fünf Jahre als Vizepräsident. Durch die Einbürgerung im Jahr 2012 erhält Weber die Möglichkeit, sich in die kantonale oder nationale Politik einzubringen. Mit ein Grund für den Parteiunabhängigen, Mitglied der SP zu werden. «Ich bin nicht der linke Linke, sondern stehe eher in der Mitte». Weber sieht sich dem Gedankengut der Ur-Liberalen von 1848 verpflichtet. Bereits in der Bundesverfassung stehe: «Die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.» Konkret bedeute dies, der Lohn beziehungsweise die Rente sollte für ein gutes Leben reichen.

Mit zwei FDP-Vertretern in Bern sieht Weber die Bevölkerung von Ausserrhoden nicht ausreichend repräsentiert. Etwas Gegensteuer täte seiner Meinung nach gut. «Im Kanton St. Gallen zeigt sich am Beispiel von Paul Rechsteiner und Karin Keller-Sutter, dass linke und bürgerliche Abgeordnete durchaus gut zusammenarbeiten können.»

Es werde immer beklagt, dass es so viele deutsche Ärzte gibt. Eine Lösung wäre seiner Meinung nach die Abschaffung des Numerus clausus. Das würde dazu führen, dass in der Schweiz mehr Ärzte ausgebildet würden. «Liberal ist, wenn jeder das studieren darf, wozu er sich berufen fühlt.» Dass die Stipendien-Initiative abgelehnt wurde, findet er schade. «Alle Studenten sollten über gleich lange Spiesse verfügen.»

Politisches Programm

Das Verhältnis zwischen der Schweiz und Europa werde die nächste Legislatur prägen, vermutet Jens Weber. Er sieht sich selbst nicht als Euro-Turbo. «Doch wir brauchen ein gutes Verhältnis zur EU.»

Übertriebene Deregulierung und der ruinöse Steuerwettbewerb sind ihm ein Dorn im Auge. Als Beispiel nennt er die Gelder der Neuen Regionalpolitik, die dem Entlastungsprogramm des Kantons zum Opfer fielen. «Mit den NRP-Geldern wurden innovative Projekte in den Gemeinden unterstützt.» Weber greift zum Sinnbild eines Gartens: «Wer keine Zukunftsinvestitionen mehr tätigt, also den Garten nicht pflegt und giesst, verzichtet letztlich auch auf die Ernte, weil nichts mehr wächst.»

Pflege der Kultur

Man trifft Jens Weber gelegentlich in der Rab-Bar oder im «Ernst». Das Dorf und seine Kultur sind ihm wichtig. «Wir Menschen identifizieren uns über unsere nächste Umgebung. Darum müssen wir den Dörfern Sorge tragen und die traditionelle Baukunst bewahren, denn sie ist einmalig. Die neuen Bauten sind auf der ganzen Welt vielfach gleich und austauschbar.»

Weber ist Stiftungsrat der Kulturstiftung des Kantons Appenzell Ausserrhoden und war Mitinitiant des Projekts «Jahrhundert der Zellweger». Es soll Trogen touristisch positionieren und dem Gewerbe in Trogen neue Impulse verleihen. Am Mittwoch, 2. September, wird das Angebot mit einem neuen Thema, «Textilhandel und Religion», erweitert. Weber wird als Delegierter des Gemeinderates in der Projektgruppe und als Sänger in Erscheinung treten.

Sportliche Ambitionen

Jens Weber spielte in seiner Jugend Tennis und machte Leichtathletik. Im Jahr 1983 war er Schweizer Meister im Hürdenlauf. Wie alle Nationalratskandidaten absolvierte er den diesjährigen Waldstattlauf. Auch dies tat er sehr ambitioniert. Als einziger Politiker startete Weber nicht in der «Nordic Walking»- Kategorie, sondern bei den Läufern. «Ich hatte keine Lust, in Waldstatt nur ein bisschen spazieren zu gehen.»

Gestern hat die Appenzeller Zeitung den Kandidaten Markus Bänziger vorgestellt, morgen folgt das Porträt von David Zuberbühler.