Den sechsten Schweizer Vätertag vom kommenden Sonntag nimmt die Gruppe Familien-Ost-Schweiz zum Anlass für die Aktion «Vätergeschichten». Es werden Erinnerungen gesammelt und notiert, doch das soll erst der Anfang sein.
HERISAU. Ein ungewohntes Bild bot sich vergangenen Freitag auf dem Herisauer Obstmarkt. Zwei gemütliche Sessel und ein kleiner hölzerner Tisch mit zwei Klappstühlen standen dort – ein Wohnzimmer an der frischen Luft, geflutet von der Frühlingssonne. Am Tisch sitzt der Künstler Mark Riklin. Er sammelt im Rahmen der Aktion «Vätergeschichten» der Gruppe Familien-Ost-Schweiz (FamOS) Erinnerungen. Szenen, die vor dem inneren Auge von Söhnen oder Töchtern auftauchen, wenn sie auf ihren Vater angesprochen werden. Damit soll auf den Schweizer Vätertag am kommenden Sonntag aufmerksam gemacht werden. Der Herisauer Obstmarkt ist die siebte Station, die nächste und letzte ist das Pflegeheim der Region Rorschach. Mark Riklin hört seinem Gegenüber aktiv zu und fasst anschliessend eine kurze, aussagekräftige «Vaterszene» zusammen. «Je konkreter der Erzähler wird, desto schneller sieht der Zuhörer ein Bild», sagt er.
An diesem Tag ist auch Matthias Koller von FamOS auf dem Obstmarkt anzutreffen. Seit mehr als drei Jahren hat die Organisation ein besonderes Augenmerk auf den Vätertag geworfen. Dieses Jahr findet er schweizweit zum sechsten Mal statt. Der Tag sei kein Instrument zur Gleichberechtigung, kein «Gegenstück» zum Muttertag, sondern ein wichtiges Mittel zur Sensibilisierung der Gesellschaft für ein Thema, das an Bedeutung gewinne. «Immer mehr Väter müssen den Spagat zwischen dem Berufs- und Familienleben meistern. Ein Kind braucht seinen Vater», sagt Matthias Koller. Vor diesem Hintergrund hat FamOS heuer nach einer Idee für eine Aktion gesucht, die das Interesse am Vätertag zu steigern vermag. Sie wendeten sich an Mark Riklin; Geschichten wolle er sammeln, sagt er, «Vätergeschichten». Er übernahm die künstlerische Leitung des Projekts und ist seitdem gemeinsam mit Cornel Rimle-Heeb in den drei Einzugskantonen von FamOS gewesen, um mit Söhnen und Töchtern zu sprechen. Schon fast 70 Geschichten haben sie notiert. Die Blätter sollen keinen Staub ansetzen, Mark Riklin will mit ihnen arbeiten, Ideen hat er genug.
Das Spektrum der Vaterszenen sei verblüffend. Ivo Knill, Chefredaktor der «Männerzeitung», spricht von einer «Zuhör-Sucht». Er war vergangenen Freitag ebenfalls in Herisau, hat zugehört und notiert. Es war sein erster Einsatz für das Projekt. «Ich bin hier aufgewachsen, deshalb wollte ich dabei sein», sagt er. Nachdem sich die letzten Erzähler erhoben haben, sitzen Ivo Knill und Mark Riklin noch etwas in der prallen Frühlingssonne; es werden Ideen ausgetauscht. «Ich will die Geschichten einem Poetry Slammer geben, der kann bestimmt etwas Tolles daraus machen», sagt der künstlerische Leiter. Auch szenische Lesungen soll es geben, an möglichst authentischen Orten, zum Beispiel einer Geburtenstation. Mitunter sehr ambitiöse Gedanken verfolgt Mark Riklin: «Ich stelle mir einen grossen <sprechenden Briefkasten> vor. Wer will, drückt einen Knopf, und der Kasten erzählt eine Geschichte.» Für den Vätertag kommenden Sonntag hat er bescheidenere Pläne. Einige der Geschichten sollen auf Tischsets gedruckt werden. Mit diesen würde anschliessend der Tisch für ein Vätertags-Essen gedeckt. Falls ein Sohn noch nach einem Geschenk für seinen Vater sucht, Mark Riklin kann helfen: «Schenken Sie ihm eine <Vätergeschichte>. Was gibt es Schöneres als eine persönliche, einzigartige Erinnerung?»