Der Kanton St.Gallen betreut Asylsuchende ab diesem Jahr in vier kantonalen Zentren, während die Gemeinden Personen mit einem Bleiberecht übernehmen. Die Nothilfe ist neu Sache des Kantons. Die angepassten Strukturen dienen vor allem der Integration.
Im ehemaligen Kurhaus Bergruh hoch über dem Walensee büffeln an diesem Dienstagnachmittag gleich in zwei Räumen Flüchtlinge aus Eritrea, Syrien oder Ghana Deutsch: Hier lehrt eine Lehrerin, vor Jahren selber aus dem Kosovo in die Schweiz geflüchtet, ihre Gruppe die wichtigsten Sätze für den Gang in die Apotheke; dort ruft ein jüngerer Schweizer anhand einer Wandtafelzeichung seine Klasse auf, Strichmännchen in der Berglandschaft der Churfirsten zu benennen. «Was sind das? Wo sind sie?»
Derweil erklären die St.Galler Migrationsbehörden, Justiz- und Sicherheitschef Fredy Fässler und Migrationsamtsleiter Jürg Eberle, vor Ort im Asylzentrum Amden die neue Ausrichtung des Asylwesens im Kanton. Weil gemäss der Anfang März in Kraft getretenen Asylgesetzrevision des Bundes nur noch rund 40 Prozent aller Asylsuchenden auf die Kantone verteilt werden, und der Grossteil von ihnen in der Schweiz bleiben kann, ist die Integration viel wichtiger als bisher. Der wesentliche Schlüssel dazu ist die Sprache, sagt Eberle. «Die Beschulung ist absolut zentral.» Vor allem Deutschunterricht, möglichst alltagsnah, «für eine normale Basis Smalltalk» und für das tägliche Leben. Abfall trennen, Lebensmittel zubereiten, Kleider nähen oder Holzschemel schreinern: Auch die Arbeiten im Zentrum dienen letztlich der Integration. Und wenn öfters mal die Polizei aufkreuzt, kommt sie zur freundlichen Präsenz, wie es heisst, und nur selten zur Zimmerkontrolle.
Delikte sind allerdings höchst selten, Streit gibt es kaum – im Asylzentrum in Amden, bei der Eröffnung vor drei Jahren heftig umstritten, herrscht ein problemloser Betrieb. Und er dürfte wie in den andern kantonalen Zentren mit «Integrationscharakter» – Landegg Wienacht und Oberbüren – künftig noch erfreulicher werden: Die vom Bund zugewiesenen Asylsuchenden im erweiterten Verfahren, vorläufig aufgenommenen Personen und anerkannten Flüchtlinge haben meist gute Aussichten. Oder wie Eberle sagt: «Im grossen Unterschied zu früher betreuen wir eine Kundschaft, die eher bleiben kann. Das bedeutet für uns der Start zur systematischen und intensiven Integration.» Für die Sprachkurse und Arbeitsprogramme zahlt der Bund denn auch 18000 Franken statt wie bisher 6000 Franken.
Alltagsstrukturen und Werkrhythmus sollen «in Fleisch und Blut übergehen», so Eberle. Und wenn der Grossteil der Flüchtlinge nicht mehr jahrelang warten und mit einem negativen Bescheid rechnen muss, sondern innert Halbjahresfrist auf eine Teilnahme an der Schweizer Gesellschaft hoffen kann, soll auch die Animation in der Freizeitgestaltung realistisch sein. In Fussball- und anderen Vereinen, oder in der Freiwilligenarbeit wie dem Bau von Wanderwegen oder Spielplätzen. Wichtiger als die Dauer des Aufenthalts ist die «Intergrationsfitness», erklärt Eberle:
«Wir hüten nicht mehr, sondern geben vor, was wir erwarten.»
Die eigentliche Integrationsarbeit aber passiert in den Gemeinden: Ihnen werden die Personen mit Bleiberecht zugeteilt, direkt in die Ortschaften oder in das von den Gemeinden betriebene Zentrum in Seeben. Aufgabe der Gemeinden – in der Marienburg in Thal – bleiben weiterhin die unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA), die nach Spitzenwerten von 7 Prozent vor drei, vier Jahren allerdings nur noch 3 Prozent der 15500 Asylsuchenden ausmachen.
Die Situation habe sich beruhigt, meint Fässler, obwohl ungewiss bleibe, wie sich die Zahlen entwickelten. «Die Klimadebatte hat einen Migrationseffekt.» Die Umsetzung der Asylgesetzrevision ist laut Fässler, der die Arbeitsgruppe mitleitete, «eine gigantische Kiste». Ihr Hauptziel seien deutlich raschere, aber jederzeit faire Verfahren, was nicht nur die Kosten senke, sondern auch «unwürdige Zustände» beseitige. Dass es im Testlauf weniger Beschwerden gegeben habe, spreche für die neuen Strukturen. Ein Grossteil der Verfahren wird in den Bundesasylzentren innert 140 Tagen entschieden werden. Von den 5000 Plätzen des Bundes befinden sich 390 im Bundesasylzentrum (BAZ) in Altstätten. Neu organisiert worden ist auch die Nothilfe, sprich die Betreuung von Personen ohne Aufenthaltserlaubnis. Die abgewiesenen Asylsuchenden werden seit Anfang Jahr nicht mehr auf die Gemeinden verteilt, sondern vom Kanton im Sonnenberg in Vilters untergebracht. In dem Ausreise- und Nothilfezentrum mit 150 Plätzen im «Wegweisungsvollzug» ist die Betreuung auf das Minimum reduziert. Doch auch während der Vorbereitung auf eine möglichst rasche Rückkehr ins Heimatland bleibe die Würde gewahrt, betont Eberle. Das gilt auch für die Beschulung.
Mit dem neuen Asylkonzept erhält der Unterricht von Kindern und Jugendlichen einen höheren Stellenwert. Ob in Einrichtungen des Bundes, des Kantons oder der Gemeinden – das St.Galler Bildungsdepartement will die Beschulung sicherstellen. Grundlage ist die Schulpflicht, die im Kanton vom 4. bis zum 15. Altersjahr gilt – unabhängig vom ausländer- oder asylrechtlichen Status.
Für den Unterricht im BAZ Altstätten hat das Bildungsdepartement dem Verein tipiti einen Leistungsauftrag erteilt. Eva Graf von der Abteilung Schulung und Unterricht sagt: «Die Lektionenzahl ist dieselbe - egal ob ein Kind oder 20 Kinder unterrichtet werden.» Beim Lehrpersonal wird deshalb aufgestockt. Aktuell werden 20 Kinder unterrichtet, komplett auf Deutsch. Jeweils freitags erhalten die Lehrer eine Liste mit den Namen der Kinder, die sie ab Montag unterrichten. Denn manche werden mit ihren Familien in eines der kantonalen Zentren verlegt, andere müssen ausreisen. Eine weitere Neuerung ist eine Schulaufsicht durch das Amt für Volksschule. Graf betont, dass der Wechsel der Schulen auf allen Ebenen «hindernisfrei» ablaufen soll. Den Gemeinden obliege, ob die Kinder gleich in Regelklassen oder erst in Integrationsklassen kommen.
Die «Bild»-Zeitung titelte mit der «Schweizer-Käse-Grenze»: Dass seit März eines der Ausreisezentren in Kreuzlingen steht, hat in Deutschland einige Aufregung verursacht. Es bietet Platz für bis zu 310 Personen, deren Ausreise aus der Schweiz bevorsteht. Entweder, weil ihre Anträge auf Asyl abgelehnt wurden, oder weil sie unter das Dublin-Verfahren fallen. Der Konstanzer Landrat Frank Hämmerle meinte, es sei davon auszugehen, dass sich «der Grossteil der Bewohner» der Abschiebung aus der Schweiz entziehen werde, «indem sie die fussläufig zu erreichende Grenze nach Deutschland nutzen». Mario Gattiker, Chef des Staatssekretariats für Migration, nennt diese Angst «unbegründet». Mit dem Dublin-Abkommen seien wir in Europa «gut aufgestellt. Asylsuchende werden in dem Land registriert, in dem sie zuerst ein Asylgesuch stellen. Falls sie in einem anderen Staat aufgegriffen werden, können sie rücküberstellt werden. Dass ein Asylsuchender abtaucht, ist gemäss Gattiker «nichts Neues». Mit dem Dublin-Abkommen «haben wir Abläufe, die diesem an sich unbefriedigenden Zustand Rechnung tragen».
Die Zusammenarbeit mit den deutschen Asylbehörden nennt der oberste Migrationsbeamte «exzellent». Es gebe keine Hinweise, dass die Zahl illegaler Grenzübertritte zunehme. Das bestätigt Christian Werle, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Konstanz: «Derzeit gibt es keine signifikante Steigerung von Feststellungen unerlaubter Einreisen im Zusammenhang mit dem Bundesasylzentrum.» Die Bundespolizei werde die Feststellungszahlen weiterhin «im Auge behalten» und ihre Massnahmen tagesaktuell der weiteren Entwicklung anpassen. Systematische Kontrollen an der deutsch-schweizerischen Grenze seien nicht zulässig, da Deutschland an der Grenze zur Schweiz «keine vorübergehenden Grenzkontrollen» wieder eingeführt habe. Die Bundespolizei führe insbesondere «nichtsystematische, lageangepasste, stichprobenartige Kontrollen» im Rahmen der Binnengrenzfahndung durch. (kbr/mbu)