Der Bund soll Ausländer härter anfassen können, wenn sie nicht kooperieren. Der Ständerat hat einer entsprechenden St.Galler Standesinitiative zugestimmt. Die CVP plant bereits den nächsten Vorstoss.
Verweigerungshaltung, Missachtung von schulischen Pflichten, jahrelange Abhängigkeit von Sozialhilfe: Diese und weitere Gründe sollen künftig genügen, damit der Bund einem Ausländer das Aufenthaltsrecht entziehen kann. Der Ständerat hat gestern einer entsprechenden Standesinitiative des Kantons St.Gallen zugestimmt. Ziel der Initiative ist «mehr Verbindlichkeit und Durchsetzung des geltenden Rechts bei Integration, Sozialhilfe, Schulpflichten und strafrechtlichen Massnahmen». Um dies umzusetzen, soll auf Bundesebene eine verbindliche Integrationsvereinbarung mit messbaren Kriterien erarbeitet werden. Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligungen von Nicht-EU- oder Efta-Staatsbürgern sollen nur noch dann erteilt oder verlängert werden, wenn diese Integrationsvereinbarung eingehalten wird. Damit eine Bewilligung widerrufen werden kann, sollen mehrere «Vergehen» explizit im Gesetz verankert werden, darunter etwa die Verweigerungshaltung oder die Verletzung von Erziehungspflichten.
Auslöser der Standesinitiative ist der Fall Tahirovic. Der Bosnier Emir Tahirovic, der mit seiner Familie in St. Margrethen lebt, hält seit Jahren Justiz und Behörden auf Trab. Tahirovic, von unserer Zeitung schon im August 2015 als «bockiger Moslem» apostrophiert, ist arbeitslos, bezieht Sozialhilfe und weigert sich standhaft, seine Kinder ins Skilager oder in den Schwimmunterricht zu schicken. Eine landesweite Debatte löste der Fall aus, als Tahirovic seine Tochter trotz Kopfbedeckungsverbot mit Kopftuch zur Schule schickte. Im Dezember 2015 setzte das Bundesgericht dem Streit zumindest juristisch ein Ende. Die Tochter darf seither mit Kopftuch zur Schule. Schon damals war aber klar, dass der Fall damit politisch keineswegs ausgestanden ist. Es sei «absolut unverständlich, weshalb in diesem Fall die Niederlassungsbewilligung nicht entzogen werden kann, obwohl handfeste Gründe vorhanden sind», heisst es im Initiativtext zum Streit um Tahirovic. Da das Bundesrecht dies nicht zulasse, müsse die Politik handeln.
«Es gibt Personen, die sehr renitent sind»
Urheber der Standesinitiative ist die St.Galler CVP-EVP-Fraktion. Im Januar reisten deshalb die beiden St.Galler CVP-Kantonsräte Peter Göldi und Andreas Widmer auf Einladung der staatspolitischen Kommission des Ständerates nach Bern, um den Vorstoss zu vertreten. Die Kommissionsmehrheit empfahl dem Rat zwar ein Nein, in der gestrigen Debatte setzten sich dann aber doch die Befürworter durch. «Es gibt Personen, die sehr renitent sind und die sich das auch zunutze machen, die genau wissen, dass letztlich nichts passiert oder dass die Hürde für den Entzug einer Niederlassungsbewilligung sehr hoch ist», sagte FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter. «Die Bevölkerung versteht nicht, wenn sich einzelne Personen – und es ist sicher keine Mehrheit der Ausländerinnen und Ausländer – bewusst verweigern.» Ihr Aargauer Parteikollege Philipp Müller vertrat dagegen die Ansicht, dass die Standesinitiative offene Türen einrenne. Das Parlament habe schon im Dezember 2016 das Ausländergesetz entsprechend geändert. Der St.Galler Vorstoss sei mit Ausnahme der Kriterien zur Sozialhilfe erfüllt.
Fall Tahirovic «nur die Spitze des Eisbergs»
«Wir waren nach der Anhörung in der Kommission schon positiv gestimmt», sagte Andreas Widmer gestern nach dem Entscheid des Ständerats. Das Ja sei «ein Erfolg für die Partei, aber auch für den Kanton». «Die Integrationsbemühungen werden unterlaufen, wenn sich einzelne derart konstant weigern, ihre gesellschaftlichen Pflichten wahrzunehmen.» Der Fall Tahirovic sei «nur die Spitze des Eisbergs», sagt Widmer: «Es gibt viele Einzelfälle, die nicht medial ausgeschlachtet werden, die Behörden aber dennoch stark belasten.»
Die Standesinitiative kommt nun in den Nationalrat. Die St.Galler CVP arbeitet derweil an einem weiteren Vorstoss. Sie will die Eltern stärker in die Pflicht nehmen, was die Integration ihrer Kinder angeht. Der Vorstoss soll im April im Kantonsrat behandelt werden.