Internetvoting Rund 230 Sänger und Bands wollen die Schweiz im nächsten Jahr am Eurovision Song Contest in Aserbaidschan vertreten. Auch Ostschweizer Künstler haben sich mit einem Video beim Schweizer Fernsehen beworben.
Man schliesse die Augen und höre gut hin. Da ist ein hoher, langsam ausklingender Synthesizer-Akkord. Erinnerungen an Fernsehsendungen in den 90er-Jahren mit kniehohen Trockeneis-Nebelschwaden kommen auf. Und dann setzt sie ein, die butterzarte Stimme von Didier Uwayo, der 2012 mit diesem Lied für die Schweiz am Eurovision Song Contest antreten will. Nach drei Minuten und drei Sekunden ist das Lied über schlimme Gefühle und den Ausweg aus der Misere vorbei – nicht nur von der Länge her der perfekte Popsong mit grossem Verkaufspotenzial.
Didier Uwayo lebt zwar in Wien, hat aber eine Beziehung zur Ostschweiz: Das Rebsteiner Label «Act Ill Records» hat den gebürtigen Afrikaner engagiert und mit dem Sänger einen Song ein Video produziert. Dieses ist zusammen mit 229 anderen auf der Webseite des Schweizer Fernsehens (SF) zu sehen. Künstler aus der Schweiz und aus dem Ausland konnten bis am vergangenen Freitag einen Song hochladen.
Nun werden die Videos vom SF geprüft. Ab dem 16. Oktober können dann alle Internetuser und die Mitglieder einer Fachjury bestimmen, wer es in die Entscheidungsshow vom 10. Dezember schafft, die live in der Bodensee-Arena in Kreuzlingen aufgezeichnet wird. Der Sieger der Sendung fährt 2012 als Nachfolger von Anna Rossinelli und ihrer Band an den grossen Wettbewerb nach Baku in Aserbaidschan – und wäre unser Held, wenn er mehr als «zero points» holen würde.
Ob es Didier Uwayo mit seinem Label schafft, ist fraglich. Auch der Thurgau ist stark vertreten. Gleich zwei Musiker aus Amriswil finden sich beim Durchscrollen der Liste mit allen hochgeladenen Videos. Einer der Amriswiler Künstler nennt sich Roger De Win und singt – das ist auch gleich der Titel seines Songs – über die «wahren Abenteuer».
Ein zugegebenerweise schwer vertragbarer Bass-Synthesizer eröffnet das Stück, dann stellt sich ein mystisch-fragendes Gitarrenriff dazu. Und schliesslich schreitet De Win im Video eine Treppe herunter. Kleidungsstil: ein Mix aus Business und Casual. Das Lied selber erinnert erst etwas an die besten Jahre von Peter Kraus, danach entfaltet es sich allerdings zum flockigen Sonntagmorgen-Schlager.
Im Video steht der Thurgauer Sänger Roger De Win an verschiedenen Aussichtspunkten und auf einer schönen Piazza. Immer mit dem Mikrophon vor dem Gesicht, was etwas störend wirkt, aber sich natürlich für einen richtigen Sänger gehört. Und auch der Kameramann tanzt mit: schwindelerregende Drehbewegungen hier, ein schnelles Raus- und Reinzoomen dort – an alles, was zur Stilpalette einer Liederwettbewerb-Sendung dazugehört, wurde gedacht. Aber ob das reicht, um in die Entscheidungsshow vom 10. Dezember zu kommen – und dann sogar in Baku den Titel zu holen?
«Success is not my style», singt der St. Galler Gerry Miles, ein weiterer Kandidat, in seinem Bewerbungsvideo – was eigentlich nicht so passt bei einem Wettbewerb, bei dem es gerade um «success», um Erfolg, geht. Und möglicherweise greift die Musik von Gerry Miles auch auf zu viele Rockgitarren zurück, so dass sie nicht mehr ins Eurovision-Format passen könnte. Allerdings gibt es diesbezüglich auch Ausnahmen: Die finnischen Metalheads Lordi konnten den Contest 2006 sogar für sich entscheiden.
Allgemein scheint: Vielen Bands oder Sängern geht es eher um die Publizität als um den Sieg des Contests. Den hat die Schweiz übrigens erst zweimal gewonnen. Das letzte Mal vor 23 Jahren mit Céline Dion, die damals noch zu Beginn ihrer Karriere stand, als sie für uns angetreten ist.
Die 230 Songs finden sich unter www.eurovisionplattform.sf.tv.