Vor 1200 Jahren hat Walahfrid Strabo sein Gärtlein auf der Reichenau beschrieben. Das Gedicht ist eben neu erschienen, passend zur derzeitigen Ausstellung der Stiftsbibliothek.
Wenn der Reichenauer Mönch Walahfrid Strabo an seinen Garten denkt, kommt er ins Schwärmen. 444 Verse lang, denn genau so viele zählt sein berühmtes Gartengedicht, das er in der Zeit zwischen 829 und 838 geschrieben hat, der «Hortulus». Damals weilte Walahfrid allerdings nicht im Heimatkloster auf der Reichenau, wo er sein eigenes Mönchsgärtchen gepflegt hat, sondern am Hof des Kaisers in Aachen.
Aus der Ferne scheint ihm sein Gärtchen noch paradiesischer zu sein als damals, als er es täglich pflegen musste. Allerdings verschweigt er auch in Aachen nicht, dass Gartenarbeit eine mühselige Angelegenheit sei. Diese stellt er darum an den Anfang seines Lehrgedichtes:
Nur wer sich nicht scheut, mit eigenen Händen zuzugreifen, sie Wind und Wetter aussetzt, sie braun und schwielig werden lässt; nur wer es nicht verpasst, aus vollen Körben Mist auszutragen,
sich Tag für Tag an die Arbeit macht, im Frühling zur Hacke greift, das verwachsene Unkraut ausrottet und den Gängen des Maulwurfs zu Leibe rückt – nur der werde die Früchte des Gartens ernten und deren heilsame Wirkung erfahren.
Nach dieser Einleitung schildert Walahfrid, wie er sein Gärtchen angelegt hat, wie er die Pflanzen angeordnet, welche Erfahrungen er mit ihnen gemacht hat.
Und immer wieder wird auch angegeben, wozu die Pflanzen gut sind: Die Edelraute hilft gegen Fieber und Seitenstechen, der Wermut gegen Kopfweh, Fenchel gegen Keuchhusten, Andorn gegen das Gift, das einem eine böse Stiefmutter reicht. Manchmal wird auch angegeben, wie die Heilmittel zuzubereiten sind. Von der Schwertlilie zerreibt man ein Stück der getrockneten Wurzel, mischt das Pulver mit Wein und erhält so ein Mittel gegen Blasenbeschwerden.
Die Poleiminze wirkt schon dann prophylaktisch gegen Kopfweh, wenn man einen Zweig hinter das Ohr steckt. Walter Berschin, der das Büchlein neu herausgegeben und kommentiert hat, weist darauf hin, dass Walahfrid Strabo in seinem Gedicht nicht einfach bereits bestehenden Vorbildern abschreibt, sondern sich auf eigene Erfahrung beruft.
Das Gartengedicht wurde von den Humanisten als Entdeckung gefeiert. Vadian hat es 1510 im Druck herausgegeben, basierend auf einer in St. Gallen aufbewahrten Handschrift. Damals wurde vor allem die Verskunst des Reichenauer Mönchs bewundert, der in seinem Text das jeweilige Thema spielerisch nachformt. Wenn er von der Mühsal der Gartenarbeit spricht, schreibt er einen ellenlangen Schlangensatz, der sich über 17 Verse erstreckt. Den Mühen des Gärtners entspricht die Mühsal, den Satz zu entziffern.
Für St. Gallen ist das Gartengedicht darum so wichtig, weil es zur gleichen Zeit entstanden ist wie der Klosterplan, auf dem ebenfalls verschiedene Gärten eingezeichnet sind. Neun Pflanzen des «Hortulus» sind auch im Kräutergarten des Plans zu finden. Die Verwandtschaft von Gedicht und Plan ist offenkundig.
Dies wird auch in der Ausstellung «Heilkräuter und Gartenanlagen im Kloster St. Gallen» in der Stiftsbibliothek deutlich. Sie dauert noch bis zum 7. November.
Walahfrid Strabo: «Das Gedicht vom Gartenbau», Mattes Verlag