«Wir machen bei der aktuellen Auslastung pro Tag eine Million Franken Verlust»: CEO der Spital Thurgau AG Marc Kohler über die Corona-Situation

Ein Corona-Ansturm blieb bisher aus: Das Spital Frauenfeld ist halb leer. Hundert Mitarbeiter haben Kurzarbeit. «Wir haben ein echtes Problem», sagt Marc Kohler, CEO der Spital Thurgau AG.

Silvan Meile
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Marc Kohler, CEO der Spital Thurgau AG, vor der Corona-Notfallstation in Frauenfeld. Hier gilt für alle Maskentragpflicht.

Marc Kohler, CEO der Spital Thurgau AG, vor der Corona-Notfallstation in Frauenfeld. Hier gilt für alle Maskentragpflicht.

(Bild: Reto Martin)

Der Weg ist mit «Notfall 2» ausgeschildert und endet an einer mit Gummiplatten behelfsmässig hergerichteten Zufahrtstrasse. Auch bei Regen hält hier der Krankenwagen im Trockenen, weil eine riesige Blache, festgebunden an ein Gerüst, den Anfahrtsweg überspannt.

Das Kantonsspital Frauenfeld hat auf der Nordseite des Neubaus für Corona-Patienten einen eigenen Notfalleingang eingerichtet. Eine Securitas-Mitarbeiterin schaut zusammen mit einem Zivilschützer vor dem Eingang zum Rechten. Beide tragen eine Schutzmaske. Das ist hier für alle Pflicht.

Die erste Abklärung von Patienten findet draussen statt. Ein Container steht dafür bereit. An ihm prangt ein oranges Schild «Grippetest». Vom Testcontainer sind es nur noch wenige Meter bis zum Hintereingang des Spitals, der Frauenfelder Corona-Station. Doch nur die ganz schweren Fälle müssen durch diese Tür an der Schattenseite.

Drinnen kämpfen sie ums Überleben

Nur selten kommt jemand im «Notfall 2» vorbei. «Es sind täglich rund zehn Fälle», sagt Marc Kohler, CEO der Spital Thurgau AG. Die wenigsten von ihnen haben sich tatsächlich mit dem Coronavirus infiziert. Rund 90 Prozent der Tests im Container ergäben ein negatives Resultat. Und selbst von den positiv getesteten Personen müssen sich nur wenige in Spitalpflege begeben. Kohler sagt:

«Nur die schweren Fälle bleiben hier.»

Diese müssen dann aber meistens gleich auf der Intensivstation behandelt werden. Im Spital Frauenfeld liegen dort derzeit sechs Corona-Patienten. Fünf davon sind an ein Beatmungsgerät angeschlossen. «Sie alle kämpfen ums Überleben», sagt Kohler. Pausenlos müssen sie beobachtet werden, die Beatmungsgeräte sowie die Medikamentendosen jederzeit «fein justiert» sein. Im Thurgau zeigt der Coronavirus mehrheitlich bei Menschen über 70 Jahren, wie lebensbedrohlich eine Ansteckung werden kann.

Diesen Kampf auf der Intensivstation haben bis Freitag drei Thurgauer verloren. Weitere zwei Corona-Todesfälle hätten sich in Pflegeheimen ohne intensivmedizinische Betreuung ereignet, weiss Kohler. Am Sonntag vermeldete der Kanton zwei weitere Todesfälle. Es gibt aber auch erste Patienten, die den Virus überstanden haben. «Sechs Corona-Patienten konnten die Stationen des Kantonsspitals wieder verlassen», sagt Kohler.

Kurzarbeit und riesiger wirtschaftlicher Schaden

Das Kantonsspital in Frauenfeld ist für einen Ansturm an Patienten mit der von Corona hervorgerufenen Lungenkrankheit Covid-19 gewappnet. Deshalb wurde der Abbruch des alten Hochhauses gestoppt. Die Armee lieferte 200 Betten an, um dort Platz für reguläre Patienten zu haben, wenn der Neubau von Coronafällen überrannt wird. In den vor knapp zwei Wochen eiligst herangeschafften Betten lag aber noch niemand. Kohler sagt:

«Der Bettenturm steht leer.»

Und da wegen Corona alle nicht dringenden Operationen und Behandlungen vorerst – wie vom Bund vorgeschrieben – ausgesetzt sind, steht auch der sonst komplett ausgelastete Neubau derzeit zur Hälfte leer.

Kantonsspital Frauenfeld: Der alte Bettentrum und der Neubau (rechts)

Kantonsspital Frauenfeld: Der alte Bettentrum und der Neubau (rechts)

(Bild: Andrea Stalder)

«Weil alles gestoppt wurde, sind auch dort rund 140 Betten ungenutzt», sagt Kohler. Er zeigt sich überrascht, wie wenig reguläre Not- und Krankheitsfälle das Kantonsspital derzeit noch zu bewältigen habe. Der massive Rückgang sei wohl primär, aber kaum alleine, mit dem Lockdown zu erklären.

Und weil die Coronafälle bisher Einzelfälle geblieben sind, das Spital nach Vorgaben von Bund und Kanton sicherheitshalber aber zusätzliches Personal eingestellt habe, sei die Situation schon etwas grotesk. Denn bereits sei für rund hundert Spitalmitarbeiter Kurzarbeit angeordnet worden. Für weitere zwei-, drei oder sogar vierhundert Spitalmitarbeiter dürfte das ebenfalls noch zum Thema werden.

Ein Zimmer im Neubau, das anlässlich des Tages der offenen Tür besichtigt werden konnte.

Ein Zimmer im Neubau, das anlässlich des Tages der offenen Tür besichtigt werden konnte.

(Bild: Andrea Stalder, 18. Januar 2020)

Der wirtschaftliche Schaden sei für die Spital Thurgau AG trotz dieser staatlichen Hilfe der Kurzarbeit immens. Kohler sagt:

«Wir machen bei der aktuellen Auslastung pro Tag eine Million Franken Verlust.»

Neben der medizinischen Herausforderung aufgrund der Coronapandemie bahnt sich für die Spital Thurgau AG auch eine finanzpolitische Herkulesaufgabe an. «Wir haben ein echtes Problem.»

Schlimmstes Szenario tritt kaum ein

Nirgends im Land ist die Situation um das neue Virus so ruhig wie in dieser Region. Die Kantone Schaffhausen und Thurgau weisen schweizweit die tiefste Ansteckungsrate auf. Kohler sagt, im Thurgau sei auch die Dunkelziffer nicht höher als in anderen Kantonen.

Der Spital-CEO räumt damit den Verdacht aus dem Weg, im Kanton Thurgau würden in der Statistik einfach weniger Infizierte auftauchen, weil tatsächlich weniger Personen auf eine Ansteckung getestet würden. Der Thurgau ist – zumindest bis jetzt – offenbar einfach glimpflich davongekommen.

Kohler geht aber davon aus, dass die Fälle in den nächsten Tagen weiter ansteigen. Und er blickt auch schon weiter: Später sei mit einer zweiten Corona-Welle zu rechnen. Das Kantonsspital in Frauenfeld bleibe die nächsten Wochen und Monate vorbereitet. Vom schlimmsten Szenario müsse man aber eher kaum mehr ausgehen.