Wiiberzüügs: Trotz Spott fällte sie eine Entscheidung - und hatte Erfolg

Isolde Ott, geborene Hanhart, hat ihr Leben nie nach Konventionen ausgerichtet. Davon hat die Familie ebenso profitiert wie ihr Sägewerk in Diessenhofen. Auch wenn sie zuerst belächelt wurde.

Ida Sandl
Drucken
Isolde Ott, Chefin der Hanhart Sägerei in Diessenhofen, bedient mit 80 Jahren immer noch den Krahn. (Bild: Andrea Stalder)

Isolde Ott, Chefin der Hanhart Sägerei in Diessenhofen, bedient mit 80 Jahren immer noch den Krahn. (Bild: Andrea Stalder)

Sie ist wieder einmal in der Luft. Sieben Meter über dem Boden gleitet Isolde Ott in einer kleinen gelben Kran-Gondel über die aufgeschichteten Holzstämme. Die Arme des Greifers packen einen Stamm, heben ihn hoch. Die Kabine fährt zurück. Sie legt den Stamm punktgenau auf der Schälmaschine wieder ab.

Die meisten Chefinnen sitzen am Schreibtisch. Doch Isolde Ott, geborene Hanhart, hat schon als junges Mädchen im Sägewerk ihrer Eltern in Diessenhofen mit dem Kran gearbeitet. Vielleicht hat das ihren Horizont geweitet, steht sie deshalb so schwindelfrei im Leben.

Es G’spür fürs Holz

«Ich habe immer gemacht, was ich wollte», sagt Isolde Ott und lacht. Die Sommersprossen in ihrem Gesicht lachen mit. Ein wenig erinnert sie an die Pipi Langstrumpf aus dem Kinderbuch. Dabei ist sie eben 80 Jahre alt geworden. Aber das glaubt man kaum und vergisst es sofort wieder, wenn sie fast leichtfüssig die Leiter zur Kabine des Portalkrans hochklettert, oder wenn sie mit Kunden am Handy verhandelt. Klar und entschieden, nie unfreundlich.

Das Sägerei-Geschäft ist eine Männerwelt. Hier muss sich eine Frau beweisen. Isolde Ott kann das, sie hat das G’spür für Holz. Welche Stämme als Pfähle für die Holzbrücke in Rapperswil in Frage kommen, hat sie schon draussen im Wald bestimmt. Sie kann schnell kalkulieren und scheut sich nicht vor Entscheidungen.

Und doch gibt es sie noch, die Kunden, die sie während des Gesprächs keines Blickes würdigen. Die nur auf Cyrill fixiert sind, den Sohn, der sich um die Finanzen kümmert und die Sägerei zusammen mit ihr leitet. «Unglaublich», sagt Cyrill Ott und schüttelt den Kopf. Seine Mutter hat dafür nur ein Schulterzucken übrig. Widerstände stacheln sie an. So war das schon immer.

Eine Frühstückspension in Neuseeland war Plan B

«Du bist nicht zu erziehen», seufzte schon ihre Mutter. «Als Mann hättest Du beim Militär gehorchen gelernt», wetterte der Vater. Das musste er seiner Ältesten nur einmal sagen. Prompt meldete sie sich zum Dienst. Da war sie Anfang 20 und es war schon klar, dass sie die Sägerei einmal übernehmen würde, nachdem auch das fünfte Hanhart Kind ein Mädchen war.

Rudolf Hanhart tobte und fuhr nach Frauenfeld zum Kreiskommandanten, um die «dumme Idee» seiner Tochter rückgängig zu machen. Der Kommandant lachte nur:

«Ihre Tochter ist erwachsen, sie kann tun, was sie will.»

Mehr als diesen einen Kampf haben sie ausgefochten, Vater und Tochter. Beides starke Charaktere. Tief in seinem Innern mag Rudolf Hanhart schon geahnt haben, dass sein Lebenswerk bei Isolde in den richtigen Händen ist. Trotzdem hat sie ihm das Messer auf die Brust setzen müssen, damit er ihr das Ruder überliess. Sie hat ihn vor die Entscheidung gestellt: Entweder er verkaufe ihr die Firma oder sie wandere aus nach Neuseeland.

Hanhart-Holz für die Luzerner Kapellbrücke

Der Grundstein für die Hanhartholz AG wurde vor 100 Jahren gelegt. Damals hat Jean Hanhart-Baldin die Metzgerei und das Restaurant «zur Einkehr» in Diessenhofen verkauft. Der Beruf als Metzger, den er als einziger Sohn hatte erlernen müssen, machte ihn nicht glücklich. Erst als er 1918 anfing mit Holz zu handeln, war er in seinem Element. 1941 übergab er seinem Sohn Rudolf die Sägerei.

Rudolf Hanhart verwandelte das überschuldete Geschäft in eine florierende Firma. Rudolf Hanharts älteste Tochter Isolde hat 1986 das Sägewerk übernommen und ihre Eltern und Geschwister ausgezahlt. Seit dem Jahr 2000 ist die Hanhartholz AG auf die Verarbeitung von Laubholz spezialisiert und hat sich darin einen Ruf für gute Qualität erarbeitet. Das Unternehmen lieferte unter anderem das Holz für die Kapellbrücke in Luzern, die Holzbrücke Diessenhofen, die Schweizer Botschaft in Moskau oder den Glockenstuhl der Kathedrale in Freiburg. (san)

Dieser Plan B war schon sehr konkret. Sie hätte dort eine kleine Frühstücks-Pension übernehmen können, zu einem Preis, der bezahlbar war. Vater Hanhart kannte seine Tochter zu gut, um das zu riskieren. Er gab nach. Sie zahlte ihn und die Geschwister aus und übernahm das Sägewerk.

Der Falsche und noch dazu ein Katholik

Damals hiess Isolde Hanhart schon Ott. Auch bei ihrer Heirat hat sie sich nicht dreinreden lassen. Für die Eltern war Alfons Ott «der Falsche» und noch dazu Katholik. Ihr Ehemann lebt nicht mehr, tüchtig sei er gewesen und gescheit, sagt Isolde Ott. Ein studierter Betriebsökonom, der bestens vertraut war mit den Geschäfts-Mechanismen. Den Mut zum unternehmerischen Risiko hatte ihm seine Ehefrau jedoch voraus.

Vor 19 Jahren fasste Isolde Ott einen einsamen Entschluss, der die Geschicke des Sägewerks prägen sollte wie kein anderer. Lothar, der Jahrhundertsturm, war gerade über Mitteleuropa hinweg gefegt und hatte Bäume geknickt wie Streichhölzer. Auf einen Schlag war viel zu viel Holz auf dem Markt. Die Preise sackten in den Keller. «Wir steigen um auf Laubholz», bestimmte Isolde Ott.

Gegen den Trend – wie so oft

Es war die Entscheidung gegen den Trend. Die meisten Sägereien verarbeiten Tannenholz. Laubholz ist exklusiver, auch teurer. Sie hatte den Weg in die Spezialisierung eingeschlagen, mutig, aber auch riskant. Die männliche Konkurrenz lächelte. «Wiiberzüüg», spotteten sie.

Die Entwicklung hat ihr recht gegeben. Einige, die damals gelacht haben, mussten inzwischen den Betrieb schliessen, weil es nicht mehr rentierte. Die Sägerei Hanhart gibt es noch immer. «Wiiberzüüg», sagt Isolde Ott und lacht. Aufhören ist für sie kein Thema. Sie fühlt sich gut. Jeden Samstag zieht sie im Hallenbad in Frauenfeld ihre Bahnen, schwimmt einen Kilometer weit. «Solange ich das schaffe, höre ich nicht auf zu arbeiten.»

Sie hat die Familie geführt wie die Firma: Hart, aber fair

Bei allem Herzblut für die Sägerei, solange ihre vier Kinder klein waren, klinkte sich Isolde Ott aus dem Geschäft aus. Sie sagt:

«Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, meine Kinder in eine Krippe zu geben.»

Sie war gerne Mutter. Es sei eine schöne Zeit gewesen, sagt Isolde Ott und ihre Augen strahlen. Mit dem Wohnmobil seien sie oft herum gereist. Hätten angehalten, wo es ihnen gefallen hat. Spontan ist auch heute noch ihr Stil. Eine Reisegruppe mit einem festgezurrten Programm? «Nein, niemals!»

Ihre Familie hat Isolde Ott zusammen gehalten wie das Unternehmen. «Hart, aber fair», sagt ihre Zweitgeborene, die Juristin Alexandra Ott Müller. Absolut verlässlich sei ihre Mutter gewesen und wie überall in ihrem Leben auch in der Erziehung unkonventionell:

«Mit einem Herzen gross wie ein Bergwerk.»