«Vom Penis zur Vagina» – Märstetter Illustrator zeichnet eine Geschlechtsangleichung

Manuel Ruoss hat für seine Bachelorarbeit eine Geschlechtsangleichung gezeichnet. Sechs Stunden stand er dafür im Operationssaal. Der 23-Jährige will sich als wissenschaftlicher Illustrator einen Namen machen.

Hana Mauder Wick
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Manuel Ruoss mit seiner Arbeit zu Hause in Märstetten. (Bild: Reto Martin)

Manuel Ruoss mit seiner Arbeit zu Hause in Märstetten. (Bild: Reto Martin)

Die Anatomie des Menschen ist im digitalen Zeitalter längst kein Buch mit sieben Siegeln mehr. Und doch ist er da, dieser erste Impuls, beim Betrachten der Exponate von Manuel Ruoss eine Sekunde lang die Luft anzuhalten.

Der 23-Jährige hat sich in den Operationssaal am Unispital Basel gewagt und den Ablauf einer Geschlechtsangleichung skizziert. Daraus entstanden ist ein grafischer Ablauf des gesamten Eingriffs und die Darstellung von drei Zwischenschritten in detailliertem Grossformat von 50 auf 50 Zentimetern. «Ich wollte damit nicht provozieren. Aber etwas nicht Alltägliches realisieren», sagt der frisch gebackene Illustrator aus Märstetten.

Ruoss kennt transidente Menschen in seinem Umfeld

«Vom Penis zur Vagina» lautet der Titel seiner Bachelor-Arbeit für die Hochschule in Luzern. Sie präsentiert sich anatomisch korrekt. Schnörkellos ehrlich. Klar detailliert. Hier geht es um fokussierte Einblicke aus dem Blickwinkel des medizinisch interessierten Beobachters. Dass man dabei bildlich betrachtet kein Blatt vor den Mund nehmen kann, versteht sich von selbst. Ob Entfernung der Schwellkörper oder Erneuerungsplastik. Ruoss sagt:

«Bei der Ausstellung unserer Bachelor-Arbeiten haben die meisten Leute positiv reagiert. Aber einige sind auch mit einem Kopfschütteln vorbeigelaufen.»

Der junge Mann kennt Transidente in seinem Umfeld – Menschen, die sich nicht ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen. «Das hat mich für das Thema sensibilisiert.»

Zeichnungen können bei Patientengesprächen helfen

Der Eingriff am Unispital in Basel dauerte sechs Stunden. Dabei durfte Ruoss den Ärzten über die Schulter schauen und skizzieren. Er erinnert sich:

«Papier und Bleistift ermöglichten mir die erforderliche emotionale Distanz. Sonst hätte ich wohl weiche Knie bekommen.»

Die Geräusche. Das Blut. Der Geruch. «Die Neugier hat gesiegt. Sie war stärker als der Ekel», sagt er. Monatelang im Voraus hat sich der Thurgauer in das Thema vertieft. Dafür durchforstete er Fotos und Videos, füllte Arbeitsmappen mit Skizzen, kontaktierte Kliniken und Ärzte und führte intensive Gespräche. Auch mit Frauen, die bereits eine Geschlechtsangleichung gewagt hatten. «Ich fragte sie, ob es ihnen geholfen hätte, vor der Operation Illustrationen des Vorgangs zu sehen», erklärt er. Die Antwort war ein klares «Ja».

Manuel Ruoss im Operationssaal. (Bild: PD/ Priska Ketterer)

Manuel Ruoss im Operationssaal. (Bild: PD/ Priska Ketterer)

Manuel Ruoss trifft mit der Spezialisierung auf die medizinische Illustration einen Nerv. Fest etabliert ist die Kunst der Illustration in der Technik, Flora und Fauna oder Archäologie. «Daran arbeite ich auch sehr gern», sagt er. In der Medizin sind Illustrationen – zum Beispiel für Fachbücher oder als Hilfsmittel für Patientengespräche – eine nicht zu unterschätzende Option. Eines stellt Manuell Ruoss deutlich klar: «Ich mache keine Werbung für diesen Prozess. Meine Arbeit wertet nicht.»

Sich im Beruf einen Namen machen

In einer Zeit, in der Filme und Fotos längst Standard sind, befüllt die Illustration eine Nische: Relevantes zeigen, indem man das Wesentliche maximiert. Da und dort mit einer nötigen – zum Beispiel farblichen – Nuancierung. Aber ohne Effekthascherei.

«Zum Beispiel lässt man das Blut weg»,

sagt Manuel Ruoss. Seine Bleistift-Skizzen übertrug der Illustrator in Aquarell-Zeichnungen. Danach nutzte er Fotoshop, zeichnete erneut und fügte alle Vorgänge zusammen. Die verantwortliche Ärztin nahm sich immer wieder Zeit, um seine Fortschritte zu reflektieren.

Mit seiner Bachelor-Arbeit hat es sich Manuel Ruoss nicht leicht gemacht. «Aber ich wollte etwas tun, was mich wirklich bewegt.» Jetzt gilt es, sich in einem anspruchsvollen beruflichen Umfeld einen guten Namen zu schaffen. «Leicht wird es nicht», sagt er. «Aber ich denke positiv und strecke meine Fühler aus.»

Zur Person

Manuel Ruoss hat an der Hochschule Luzern Design & Kunst als wissenschaftlicher Illustrator abgeschlossen. Damit hat er seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Bereits als Kind zeichnete er mit Begeisterung. An der wissenschaftlichen Illustration fasziniert ihn die Präzision und realitätsnahe Darstellung. Während seines Studiums spezialisierte er sich auf medizinische Illustrationen und zeichnete unter anderem einen Herzklappenfehler und ein Hüftgelenk. Das Klassenzimmer teilte er sich mit nur elf weiteren Studierenden. Seine Arbeiten sind unter www.manuelruoss.com ersichtlich. (mau)