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Das Historische Museum Thurgau forscht zu Marie Bachmann. Die Quellenlage zu ihr ist aber überschaubar. Gesucht sind deshalb Zeitzeugen zur letzten Besitzerin von Schloss Frauenfeld.
Was beim Scherenschnitt herausgeschnitten ist, das stellt Marie Bachmann dar. Das, worüber man kaum etwas weiss, weil es nicht wichtig erscheint. Wieso das Leben Marie Bachmanns (1879 bis 1955) nicht wichtig gewesen sein soll, ist unklar. Auf jeden Fall soll Marie Bachmann selber verfügt haben, ihren schriftlichen Nachlass zu vernichten. Wichtig war Fräulein Bachmann – so ihre Anrede in Dokumenten des Kantons Thurgau – zweifellos. Denn sie war letzte private Besitzerin von Schloss Frauenfeld, einem der wichtigsten Schauplätze der Thurgauer Geschichte. Sie hat dem Kanton Schloss Frauenfeld geschenkt, damit dieser darin ein historisches Museum einrichte und betreibe. So steht es im vom Grossen Rat ratifizierten Schenkungsvertrag von 1948. Nach dem Tod Bachmanns 1955 machte sich der Kanton an die Umnutzung. Zudem vermachte Bachmann 50'000 Franken für die Schlossrenovation. Das Museum ging 1960 auf.
Historikerin Aline von Raszewski hat sich für das Historische Museum Thurgau auf die Suche gemacht nach dem Papierausschnitt von Marie Bachmann. Das Museum, das im Schloss Frauenfeld daheim ist, plant für 2020mit den anderen kantonalen Museen eine Sonderausstellung unter dem Titel «Thurgauer Köpfe». Dass die Bachmann auch ein Kopf ist, steht für von Raszewski fest.
«Sie ist interessant, weil sie kein typischer Kopf ist.»
In der alten Geschichtsschreibung seien es die alten, weissen Männer gewesen, die öffentlich waren. «Marie Bachmann ist das Gegenteil: Frau, im Hintergrund agierend und im Schatten ihres erfolgreichen, dominanten Vaters.»
So ist nun ein Teilprojekt der Thurgauer-Köpfe-Ausstellung der Schlossschenkerin gewidmet. Bachmann wird danach Teil der Schlossausstellung werden, im derzeit noch ungenutzten Bullingersaal.
«Bachmann ist prägend für unsere Museumsgeschichte – aber eben auch ein blinder Fleck.»
Das erklärt von Raszewski. Bei der Beschäftigung mit der zeitlebens ledigen Frau musste sie schnell feststellen, dass die Quellenlage, vor allem im Bereich der schriftlichen Quellen, sehr überschaubar ist. Sowohl in der Biographie über ihren Vater Jakob Huldreich Bachmann, Bundesrichter und wichtiger Grundbesitzer in Stettfurt, als auch in der Thurgauer Zeitung kurz vor der Museumseröffnung 1960 ist der Umstand erwähnt, dass nach dem Tod Marie Bachmanns auf ihre Anweisung hin der gesamte schriftliche Familiennachlass vernichtet worden ist. «Der Grund dafür ist nicht bekannt», sagt von Raszewski.
Verfügbar ist lediglich Bachmanns Testament, das sie insgesamt dreimal hat anpassen lassen – einmal undatiert und zweimal 1954. Zudem gibt es einen Mietvertrag für eine der Wohnungen im Schloss. Per 1.September 1949 hatte ein Ernst Müller für seine Wohnung und Nebenräume auf dem Schlossareal 1865 Franken Miete pro Jahr zu entrichten.
Ob der Quellenlage entschied sich von Raszewski, den Zugang über «Oral History», also Zeitzeugen, zu finden. Der Rücklauf auf einen ersten Aufruf in den Medien war aber dürftig. Die Historikerin hat ihren geografischen Fokus auf Frauenfeld deshalb um Stettfurt als Heimat- und Wohngemeinde der Bachmanns erweitert. Und von Raszewski ist in die Altersheime der Region gegangen. Und siehe da: Ein paar erste Blitzlichter in Form von Erinnerungen an Bachmann tauchten auf. Damit sich aus den Blitzlichtern ein Bild ergibt, braucht es aber noch einiges mehr. «Wir sind um jegliche Informationen zu Marie Bachmann froh», sagt die Historikerin. Was für eine Person war Bachmann, wie war ihr Charakter, wie hat sie ihren Alltag gelebt? Auf solche Fragen erhofft sich von Raszewski Antworten von Zeitzeugen.
Fakt ist: Fräulein Bachmann entstammt einer begüterten Familie aus dem Bildungsbürgertum. Als zweitältestes Kind überlebt sie ihre drei Geschwister. Einen Bruch vermutet von Raszewski mit dem Tod des Vaters 1915. Und ab 1944 war Marie Bachmann die einzige Nachkommin.
«Die ganze Familie war geprägt von Krankheit und Tod.»
Bachmann lebt, so weiss es ein Zeitzeuge, sommers im Bachmann’schen Richterhaus in Stettfurt, wo man sie aber jeweils nur für den kurzen Einkauf über die Hauptstrasse habe gehen sehen. Im Winter ist sie in der Zürcher Wohnung, weil diese beheizbar ist. Wahrscheinlich hat sie auch im Schloss Frauenfeld eine Wohnung, ist aber jeweils nur kurz für die Entgegennahme der Mieten vor Ort.
Offenbar gibt es im Schloss bis zu fünf Mietparteien, darunter eine Zeit lang auch ein Architekturbüro, erinnert sich ein Zeitzeuge. Wie das Schloss damals ausgesehen habe, ist laut von Raszewski nur in wenigen Fotografien überliefert. Ein Teil des Erbes waren rund 800 Objekte, auch aus der Zürcher Wohnung.
«Die Bachmanns waren eine Sammlerfamilie. Der Kanton war damals aber zumindest am Anfang überfordert ob dieser Menge.»
Ein Zeitzeuge erinnert sich an die selbstgestrickten Wollsocken der Bachmann – und den reich geschmückten Bachmann’schen Christbaum. Marie Bachmann gilt als zurückhaltend und zurückgezogen, introvertiert, streng der protestantischen Lebenshaltung verpflichtet und zugleich karitativ sehr aktiv. Von Raszewski kann vom wohldurchdachten Umgang mit Geld berichten: «Dieses wurde bewusst ausgegeben beziehungsweise verschenkt.» Vor allem in späteren Jahren ist Bachmann vermehrt in Schwarz gekleidet – was aber damals nicht unüblich war.
Sachdienliche Hinweise zu Bachmann: 058 345 73 80 oder historisches.museum@tg.ch