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Den Umwelt- und Fischereiverbänden dauert die Ausweitung der kanalisierten Thur zu lange. Damit es schneller geht, haben sie eine Machbarkeitsstudie ausgearbeitet. Den Bauern reicht das Tempo, denn sie verlieren landwirtschaftliche Nutzflächen.
Einen Tag nach dem Anschlag auf das World Trade Center trafen sich die Baudirektoren der Ostschweizer Kantone auf dem Säntis mit einem Vertreter des Bundesamts für Wasser und Geologie. Hoch über den Thurquellen verpflichteten sie sich in einer Absichtserklärung auf einen ökologisch verträglichen Hochwasserschutz der Thur. Im Unterschied zum Terrorakt in New York wurde die Säntis-Charta vom 12. September 2001 kaum öffentlich beachtet.
Ausserdem haben die Thur-Kantone ihre guten Absichten bis heute kaum in die Tat umgesetzt – jedenfalls nach Ansicht der Umweltverbände WWF, Pro Natura, Schweizer Vogelschutz, Aqua Viva (ehemals Rheinaubund) und den Fischereiverbänden der Kantone Thurgau und St. Gallen. Diese Organisationen haben sich in der IG lebendige Thur zusammengeschlossen, um die Befreiung des Flusses aus seinem engen Korsett zu beschleunigen.
«Der Thurgau plant schon lange an einem Thurrichtprojekt, das aber nie herauskommt», kritisiert Lukas Indermaur, Geschäftsführer des WWF St. Gallen. Die IG hat deshalb eine Machbarkeitsstudie erstellen lassen; diese enthält einen 10-Punkte-Plan für die Ausweitung der Thur zwischen Schwarzenbach bei Wil und der Kantonsgrenze Thurgau/Zürich. Wenn das Thurrichtprojekt vorliege, werde man es mit der Studie vergleichen, sagt Indermaur.
Die IG veröffentlichte die Studie im Hinblick auf eine Tagung zur Zwischenbilanz der Säntis-Charta, die diesen Donnerstag in Weinfelden stattfindet. Veranstalter ist das Bundesamt für Umwelt; laut Indermaur hat die IG den Anstoss dazu gegeben.
Um der Gewässerschutzgesetzgebung von 2011 zu entsprechen, müsste das Thurbett gemäss der IG-Studie im Durchschnitt 150 Meter breit sein statt 30 bis 80 Meter wie heute. Dazu kommt ein Gewässerraum von 300 bis 350 Metern. Mit Ausnahme von Schaffäuli-Niederneunforn hätten die bisherigen Rentaurierungen «nie gebracht, was sie hätten bringen sollen», sagt Indermaur. Die Aufwertungen bei Schwarzenbach, Uzwil, Pfyn und Warth seien «zu kurz und zu schmal».
Das Aufwertungspotenzial ist gemäss der Studie sehr gross. Die Thurvorländer und viele Flächen entlang der Aussendämme seien weitgehend unbebaut. Das grösste Aufwertungspotenzial befinde sich zwischen Bürglen und Uesslingen. Dort könne mit geringem Aufwand viel erreicht werden. Mit der Ausweitung soll die Thur laut Indermaur wieder Kiesbänke, Seitengerinne und Tümpel bilden wie vor ihrer Begradigung. Verdrängte Pflanzen, Insekten und Fische könnten Lebensräume zurückgewinnen.
In der Studie nicht erwähnt wird das Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekt Weinfelden-Bürglen, das der Grosse Rat 2014 verabschiedet hat. Wie Marco Baumann, Leiter Abteilung Wasserwirtschaft im Baudepartement mitteilt, ist dagegen noch eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht hängig.
Das Thurrichtprojekt sei in den Regierungsrichtlinien der laufenden Legislatur enthalten, sagt Baudirektorin Carmen Haag. Es werde Mitte 2019 in den politischen Prozess kommen. «Im Moment fehlen uns noch Rückmeldungen des Bundes, um beispielsweise den Gewässerraum im Thurtal festzulegen.» Das Thurrichtprojekt betrifft die ganze Thurgauer Thur. Im Fokus steht laut der CVP-Regierungsrätin der Hochwasserschutz, die Revitalisierung werde auch berücksichtigt. Das Projekt Weinfelden-Bürglen sei darin integriert.
Wenig Verständnis für die Ungeduld der Umweltverbände hat Daniel Vetterli, Vorstandsmitglied des Verbands Thurgauer Landwirtschaft und SVP-Kantonsrat aus Rheinklingen. Man habe vor 20 Jahren mit der neuen Thurkorrektion begonnen: «Dass das nicht über Nacht passiert, ist logisch.» Die Korrektion werde «Hunderte von Millionen Franken kosten». Landwirtschaftliche Nutzflächen würden verloren gehen: «Das geht nicht ohne Verhandlungen und Diskussionen.» Die Bauern setzen sich laut Veterli für den Erhalt der Fruchtfolgeflächen ein. Sie wüssten, dass man der Natur mehr Raum geben müsse. Sie würden die Renaturierung nicht grundsätzlich ablehnen, aber «wir würden nicht grad Schwellen herausreissen und Bagger auffahren».