Interview
Thurgauer Stiftung hilft Arbeitslosen: «Irgendwann ist es kein Wunschkonzert mehr»

Die Stiftung Zukunft Thurgau hilft Arbeitslosen bei der Jobsuche. Gefördert werden Fachwissen in eigenen und externen Betrieben sowie Sozialkompetenzen. Doch nicht jeder Teilnehmer ist freiwillig bei der Stiftung und kann profitieren.

Larissa Flammer
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Geschäftsführer Fabio Müller in den Räumen der Stiftung Zukunft Thurgau in Weinfelden. (Bild: Andrea Stalder)

Geschäftsführer Fabio Müller in den Räumen der Stiftung Zukunft Thurgau in Weinfelden. (Bild: Andrea Stalder)

Dies ist ein Artikel der «Ostschweiz am Sonntag». Die ganze Ausgabe lesen Sie hier.

Im nächsten Jahr wird es die Stiftung Zukunft Thurgau seit 20 Jahren geben. Zeit für Jubiläumsvorbereitungen bleibt aber kaum, sagt Geschäftsführer Fabio Müller. Er gibt Auskunft zu den bisherigen Angeboten und den neu geplanten, zum klassischen Arbeitslosen und zum veränderten Arbeitsmarkt.

Fabio Müller, die Stiftung Zukunft Thurgau hilft Arbeitslosen mit verschiedenen Programmen, wieder im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Was für Menschen nehmen Ihre Dienstleistungen in Anspruch?

Das ist ein sehr breites Spektrum. Den klassischen Arbeitslosen gibt es nicht. Zu uns kommen Menschen mit einem niedrigen Bildungsniveau und solche, die wegen einer Reorganisation im Unternehmen aus dem Arbeitsmarkt gefallen sind. Vom Staplerfahrer bis zum ehemaligen Abteilungsleiter ist alles dabei.

Hat sich das in den vergangenen Jahren verändert?

Der Arbeitsmarkt hat sich verändert.

«Vor 20 Jahren haben Quereinsteiger eher einen Job gefunden.»

Heute muss man für eine Stelle genaue Voraussetzungen und Qualifikationen mitbringen.

2017 haben 1141 Teilnehmer Programme der Stiftung Zukunft Thurgau absolviert. Ist diese Anzahl steigend oder sinkend?

Die Stiftung arbeitet eigentlich dauernd an ihrer eigenen Abschaffung. Im Moment ist die Arbeitslosigkeit sinkend, es gibt mehr Stellen – obwohl natürlich auch dann nicht alle Arbeitslosen einen Job finden. In solchen Phasen müssen wir unser Auftragsvolumen senken und Personal abbauen.

Alter der Teilnehmer

2017 haben 1141 Teilnehmer ein Programm der Stiftung Zukunft Thurgau begonnen. Verteilung der Teilnehmer auf die Altersgruppen in Prozent.

Ihr Wirkungsbericht von 2017 zeigt, dass viele 50- bis 59-Jährige Ihre Hilfe in Anspruch nehmen, aber vor allem auch viele junge Menschen. Warum brauchen so viele Jugendliche Hilfe, um im ersten Arbeitsmarkt Fuss zu fassen?

Bei solchen Statistiken muss man immer auch den Kontext ansehen. Wir haben ein eigenes Jugendprogramm. Ein Motivationssemester für junge Menschen, die keine Lehrstelle finden oder die Lehre abgebrochen haben. Das ist DIE Anlaufstelle im Thurgau für Jugendliche ohne Anschlusslösung. Deshalb kommen relativ viele junge Menschen zu uns.

Und bei den älteren Menschen merkt ihr, dass sie im Arbeitsmarkt nur noch wenige Chancen erhalten?

Das ist ein Teil des Problems, das merken wir. Wir haben aber kein spezifisches Angebot für Ü50-Personen. Oft spielen im Bewerbungsprozess Kriterien wie das Verhalten in einem Bewerbungsgespräch und das Aussehen des Dossiers eine Rolle. Für jemanden, der sich 25 Jahre lang nie mehr bewerben musste, ist das schwierig.

Können Sie mir eine Erfolgsgeschichte aus Ihrer Stiftung erzählen?

Für uns ist es immer dann eine Erfolgsgeschichte, wenn die Situation verfahren ist, vielleicht sogar die Aussteuerung droht und wir die Leute dazu bewegen können, einen Schritt vorwärts zu machen. Wenn sie zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Die Krönung ist natürlich, wenn sie dann auch einen Job finden. Wir vermitteln immer wieder Leute für temporäre Anstellungen an externe Betriebe. Es ist immer besonders schön, wenn diese Menschen dann fix übernommen werden.

Gemäss Bericht hatte Ihre Stiftung 2017 eine Wirkung von 43 Prozent.

Wir können nicht in jedem Fall erfolgreich sein. Gemessen werde solche Dienstleistungen aber immer an der Erfolgsquote – an der Integration in den Arbeitsmarkt. Unsere Programme dauern aber in der Regel nur drei Monate, bei den Jugendlichen sind es sechs. Wir müssen also schnell herausfinden, was eine Person braucht, was sie mitbringt und wo wir ansetzen können.

Wie sieht diese Hilfestellung aus?

Bei Jugendlichen stellen sich jeweils folgende Fragen: Wer bin ich, was kann ich, was will ich? Mit ihnen führen wir Testvorstellungsgespräche durch. Da habe ich selber auch schon einen Malermeister gespielt oder letzthin einen Tierpfleger. Menschen, die nie eine Ausbildung gemacht haben, müssen lernen, wie sie auftreten sollen. Wichtig ist nach wie vor ein überzeugendes Auftreten bei Vorstellungsgesprächen.

Dann geht es bei Ihnen vor allem um die Vorbereitung auf Bewerbungen?

Wie bieten auch Fachförderung in internen und externen Betrieben an. Aber eben auch Förderung im Bereich Sozialkompetenz und Auftreten. Wir helfen den Teilnehmern, dass ihre Chancen besser werden. Es braucht aber immer auch eine Portion Glück. Aus der Situation der Arbeitslosigkeit heraus ist die Stellensuche extrem viel schwieriger.

«Es ist dann auch kein Wunschkonzert mehr.»

Wie kommen die Teilnehmer zu Ihnen?

Hauptsächlich werden sie durch das RAV uns zugewiesen. Aber auch von den Gemeinden und der IV-Stelle. Die Schweiz hat ein sehr gutes System, es steht aber auch immer wieder in der Kritik. Vor allem wegen des Geldes. Es ist eine unserer grossen Herausforderungen, dafür zu sorgen, dass die Menschen sehen, welche Wirkung wir erzielen. Nicht alle Arbeitslosen kommen freiwillig zu uns, dabei sind wir auf ihre positive Grundhaltung angewiesen. Wir wollen ihnen ja nichts Böses, sondern nur Unterstützung bieten bei der Rückkehr in den Arbeitsmarkt.

Geschäftsführer Fabio Müller in den Räumen der Stiftung Zukunft Thurgau in Weinfelden. (Bild: Andrea Stalder)

Geschäftsführer Fabio Müller in den Räumen der Stiftung Zukunft Thurgau in Weinfelden. (Bild: Andrea Stalder)

Erklären Sie doch bitte kurz die verschiedenen Programme der Stiftung Zukunft Thurgau.

«Basis Job» ist die Anlaufstelle für Jugendliche. Die «Opdi Werke» sind unsere Industriebetriebe. Wir haben zurzeit drei Standorte, werden diese aber auf den 1. Januar in Frauenfeld konzentrieren. In der Werkstatt können wir jene Teilnehmer für den Arbeitsmarkt fit machen, die meist keine Ausbildung haben. «Epro Job» ist ein Programm, bei dem wir externe Arbeitseinsätze vermitteln. «Office Job» ist eigentlich eine Firma in der Firma, die bei uns in Weinfelden angesiedelt ist. Es ist wie eine virtuelle Welt, in der zwar das Telefon klingelt und Aufträge reinkommen. Die sind aber nicht echt. Die Teilnehmer erhalten hier kaufmännisches Rüstzeug. Die «Arbeitsintegration» ist für Langzeitarbeitslose und solche aus der IV, die besondere Coaching-Bedürfnisse haben. Auch für sie suchen wir Einsätze, einfach solche mit einem langsameren Tempo.

Wie wird die Stiftung finanziert?

Die Stiftung an sich ist unabhängig, wird aber grösstenteils durch den Kanton Thurgau beziehungsweise den Arbeitslosenversicherungsfonds finanziert. Auch mit den Gemeinden und der IV arbeiten wir zusammen.

Zur Person

Fabio Müller ist seit März 2017 Geschäftsführer der Stiftung Zukunft Thurgau. Er ist in Waldkirch gleich jenseits der Thurgauer Kantonsgrenze aufgewachsen und hat beruflich ursprünglich einen kaufmännischen Hintergrund. Der 44-Jährige hat Soziale Arbeit studiert und ist durch Tätigkeiten in der Jugendarbeit schon relativ früh mit dem Thema Arbeit in Berührung gekommen. Müller wohnt in Zürich und hat dort für die Stadt einst ein Konzept für arbeitslose Jugendliche entworfen. Heute pendelt er täglich nach Weinfelden und wieder zurück, was dank der guten Zugverbindungen sehr angenehm sei. (lsf)

Sie sind seit eineinhalb Jahren Geschäftsführer der Stiftung. Haben Sie noch Änderungen geplant?

Wir möchten nächstes Jahr die Bedürfnisse der Gemeinden abholen. Ausserdem soll ein Angebot für Privatpersonen entstehen, die im Arbeitsleben stehen, aber das Bedürfnis nach einem Coaching haben. Das hat dann eine vorbeugende Wirkung gegen Arbeitslosigkeit. Wir haben hier bei uns ein solch immenses Wissen beisammen, das wir weitergeben möchten.

Was für Menschen arbeiten denn bei Ihnen?

Querbeet. Wir haben in den Werkstätten Arbeitsagogen mit einem handwerklichen Hintergrund, wir haben im Coaching Leute aus der Sozialarbeit und Mitarbeitende aus vielen verschiedenen Berufen. Wir schauen auf eine gute Durchmischung, denn es ist wichtig, dass wir wissen, wie es im Arbeitsmarkt läuft. Trotzdem sind Beratungen nicht ganz ohne, weshalb eine fachliche Weiterbildung nötig ist, damit sich die Mitarbeiter abgrenzen können.