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Politiker fürchten gar eine Verknappung des Lehrstellenangebots und sehen Probleme für Lehrabgänger. Eine Umfragt zeigt, dass Lehrstellen nicht unbedingt Mangelware sein dürften.
Rezession, Arbeitslosigkeit, Konkurse: Corona hat die wirtschaftliche Grosswetterlage verdüstert. GLP-Kantonsrätin Nicole Zeitner (Stettfurt) befürchtet auch eine Verschärfung auf dem Lehrstellenmarkt. Sie richtet mit Heinz Keller (SVP, Kradolf) und Elisabeth Rickenbach (EVP, Frauenfeld) eine Anfrage an die Regierung.
Sie fragen, was der Kanton plane, um einem absehbaren Lehrstellenmangel entgegenzuwirken. «Was wird unternommen, um bestehende Lehrverhältnisse bei Firmen in Schwierigkeiten zu sichern?» Zudem fragen sie nach einer kantonalen Taskforce Lehrstellenförderung – analog jener auf Bundesebene. Nicole Zeitner sagt, Gespräche im persönlichen Umfeld hätten sie zum Vorstoss bewegt.
«Mir geht es darum, dass das Thema Berufsbildung nicht vernachlässigt wird.»
Für Sommer 2021 sind laut Lehrstellennachweis derzeit 1299 Ausbildungsplätze im Thurgau frei. Rund 2600 Schüler sind aktuell im letzten Schuljahr. Daraus ergibt sich aber nicht zwingend ein Mangel: Ein Teil der Stellen ist bereits besetzt, gewisse Schüler besuchen ferner weiterführende Schulen. Marc Widler, Geschäftsführer des Thurgauer Gewerbeverbandes, rechnet nicht mit einer Knappheit. Er sagt:
«Selbst in diesem Jahr hatten wir einen Lehrstellenüberhang.»
Anfang Juni waren 570 Stellen unbesetzt. Eine kleine Umfrage dieser Zeitung bestätigt die Befürchtung ebenfalls noch nicht. Die Clienia Littenheid, die Fachleute Gesundheit oder Köche ausbildet, hat die Anzahl Ausbildungsplätze wegen Corona nicht reduziert. «Die Patienten sind ja trotzdem krank und müssen behandelt werden», sagt Sprecherin Claudia Blumer. Mühe bei der Rekrutierung bekunde man keine.
Auch die Wiesli Holzbau AG in Weinfelden hat die Anzahl Zimmermann-Lehrstellen nicht abgesägt. «Eine Reduktion des Angebots kam für uns nicht in Frage», sagt Lehrmeister Markus Schurtenberger.
«Wir müssen Leute ausbilden, damit wir gute Berufsleute haben.»
Einem Schüler habe man für Sommer 2021 bereits zugesagt. Der Holzbaubetrieb habe aktuell das Glück voller Auftragsbücher. «Das sieht leider in anderen Branchen nicht so rosig aus.»
Corona hat dem Berufswahlprozess aber gebremst. Das bestätigen alle. Während des Lockdowns war Schnuppern kaum möglich. Seit Juni bietet die Wiesli Holzbau Berufserkundungen wieder an. «Einfach anrufen», rät Schurtenberger interessierten Schülern. «Derzeit führen wir unsere Schnupperlehren wie gewohnt durch», sagt auch Clienia-Sprecherin Baumer, «natürlich immer unter Einhaltung aller Hygieneregeln, die wir in der Klinikumgebung sowieso strikte befolgen». Laut Widler vom Gewerbeverband ist Schnuppern anspruchsvoller geworden:
«Wenn die halbe Belegschaft im Homeoffice arbeitet, ist es nicht einfach, die Betreuung sicherzustellen.»
Und wie sehen es die Schulen? Magnus Jung spricht von einem durchzogenen Bild. «Bei einigen Schülern harzt es», sagt der Schulleiter der Sekundarschule Befang Sulgen. Auch das Amt für Volksschule schreib im Newsletter, es sei für einige Schüler zurzeit schwierig, «ihre Berufsfindung in Form von Schnupperlehren weiter zu gestalten». Als These bringt Jung ins Spiel, dass während des Lockdowns im Frühling «ein ganzer Jahrgang nicht schnuppern konnte». Deshalb gebe es allenfalls einen Schnupper-Stau. «Aber», sagt Jung, «wir haben erst November». Erfreut stellt er fest:
«Wir sehen, dass sich die Firmen und die Wirtschaft sehr bemühen.»
Der Gewerbeverband hat den Appell des Kantons an seine Mitglieder weitergeleitet. Darin ruft er dazu auf, auch in der anspruchsvollen Zeit Schnupperlehren zu ermöglichen.
«Das grössere Problem sehe ich für Lehrabgänger», sagt Marc Widler. «Wenn die ausgebildeten Berufsleute nach der Lehre keine Stelle finden, ist das schlimm.» Dieses Problem stützt die Statistik: So waren Ende Oktober 538 Personen im Alter zwischen 15- und 24 arbeitslos; im Oktober 2019 waren es 100 weniger. «Besonders für junge Leute ist die Lage angespannt», heisst es im Wirtschaftsbarometer. Die Kantonsräte Zeitner, Keller und Rickenbach fragen die Regierung auch, welche Programme und Projekte vorgesehen seien, um Lehrabgänger in den Wirtschafts- und Arbeitsprozess einzubinden.