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Die Murg brachte den Strom nach Sirnach

Entlang der Murg: Der Fluss war einst der wichtigste Energielieferant für die Sirnacher Industrie. Auch heute produziert er noch Elektrizität.

Roman Scherrer
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Gleich neben der Murg: Das Wasser des EW-Weihers fliesst in ein Kleinkraftwerk ab. (Bild: Olaf Kühne)

Gleich neben der Murg: Das Wasser des EW-Weihers fliesst in ein Kleinkraftwerk ab. (Bild: Olaf Kühne)

Sie fliesst auf rund drei Kilometern durch die Gemeinde. So verwundert es nicht, dass die Murg für Sirnach seit jeher von grosser Bedeutung ist. «Sie prägt unser Dorfbild wesentlich mit, ist Naherholungsraum und bedeutender Wasserlieferant zugleich», sagt Sirnachs Gemeindepräsident Kurt Baumann. Vor allem von Wiezikon bis zum Ööli-Areal in Sirnach hat das Murgwasser grossen Einfluss auf die Umgebung. Es fliesst hier nämlich nicht nur im Flussbett, sondern auch in einem Weiher- und Kanalsystem – vom Wieziker Weiher bis zum EW-Weiher. Kurt Baumann erklärt:

«Die Murg war zu früherer Zeit der wichtigste Energielieferant für unser Dorf. Dank ihr siedelten sich auch namhafte Industriebetriebe hier an.»

So wurde auch die heutige Kanal- und Weiherlandschaft ursprünglich dazu erstellt, um Strom zu erzeugen, wie Ueli Christen 1987 in den «Egger Nachrichten» schrieb.

Weberei-Inhaber
 als Initianten

1893 hatten die Gebrüder Zweifel, als Inhaber der aufstrebenden Weberei Sirnach, den Regierungsrat um Bewilligung ersucht, an der Murg bei Gupfen, Wiezikon, ein Stauwehr mit Weiher zu bauen, um die Wasserkraft besser nutzen zu können. Zudem wollten die Unternehmer neben ihrer neuen mechanischen Stickerei in der Öle, dem heutigen Ööli-Areal, ein Elektrizitätswerk einrichten. Am 10. März 1893 erhielten sie die Bewilligung für ihr Vorhaben und konnten so den Strom nach Sirnach bringen, denn das Elektrizitätswerk versorgte fortan Sirnach und Hofen.

Bereits während Jahrhunderten zuvor wurde die Wasserkraft aus dem «Mühlegraben» südlich der heutigen Bahnlinie genutzt. Dessen Wasser trieb unter anderem die Fischinger Klostermühle und später Dutzende Webstühle an. Um ihren Energiebedarf zu decken, haben die Webereibesitzer Anfang des 20. Jahrhunderts den bis dahin rund zwei Meter breiten Graben zum gegenwärtigen Kanal ausgebaut. Von der Wasserkraftnutzung des Textilunternehmens zeugt noch die alte Francis-Turbine, die nun als Museumsstück beim TWS-Gewerbezentrum, dem ehemaligen Webereiareal, steht:

(Bild: Roman Scherrer)

(Bild: Roman Scherrer)

Und doch wird mit dem Murgwasser auch heute noch Strom produziert, dank zweier Kleinkraftwerke. Eines befindet sich im TWS-Gewerbezentrum und wird durch Wasser aus dem Kanal südlich der Bahnlinie angetrieben. Das zweite liegt am nördlichen Ende des EW-Weihers.

Rund 81'000 Kilowattstunden hat das Kraftwerk beim EW-Weiher vergangenes Jahr produziert – laut dem Geschäftsbericht der EW Sirnach AG deutlich weniger als 2017 (rund 129'000). Hauptgrund dafür war der heisse Sommer, denn das Kraftwerk ist nur in Betrieb, wenn der Weiher einen gewissen Pegel erreicht hat respektive, wenn weder zu viel noch zu wenig Wasser vorhanden ist.

Kurt BaumannGemeindepräsident Sirnach

Kurt Baumann
Gemeindepräsident Sirnach

Bei der Stromproduktion aus Wasserkraft zählte die EW Sirnach AG 2018 knapp 250'000 Kilowattstunden. Im Vergleich zum Gesamtverbrauch von 31 Millionen Kilowattstunden ist dies zwar nur ein kleiner Anteil, sagt Kurt Baumann.

«Dennoch ist die Produktion der beiden Kraftwerke ein willkommener Beitrag an erneuerbarer Energie.»

Aus diesem Grund hat sich der Sirnacher Gemeinderat kürzlich für die Erneuerung der Ende 2030 auslaufenden Kraftwerkskonzessionen ausgesprochen.

Zufluss
 offengelegt

In den vergangenen Jahren wurde an direkten und indirekten Murg-Zuflüssen gebaut. So führt etwa der Bachtöbelibach neu als offener Bach in die Murg. Die wohl grösste Sirnacher Baustelle am Fluss selber war die Murg-Korrektion von 1880 bis 1884.

Folge des Hochwassers

Ein Murg-Hochwasser brachte im Juni 1876 grosse Verwüstung, unter anderem in Sirnach. Daraus folgende Verhandlungen über eine Flusskorrektion von Büfelden bis nach Münchwilen wurden erst 1879 aufgenommen. Wegen Differenzen über die Kostenanteile dauerten sie rund ein Jahr. Die Arbeiten dauerten von 1880 bis 1884 und kosteten 85'131.55 Franken, wovon 10'780.90 Franken auf die Ortsgemeinde Sirnach entfielen. Die Korrektion hat sich stark auf den Abschnitt zwischen Sirnach und Münchwilen ausgewirkt: Wo sich die Murg einst durch das Gelände schlängelte, verläuft sie nun auf einer langen Geraden.

Die Wege entlang des Flusses sind in Sirnach bei Spaziergängern und Velofahrern beliebt. Und das Wasser dient gerne mal als spontane Abkühlung. Eine Stelle an der Murg gefällt Gemeindepräsident Kurt Baumann besonders: «Beim Pilgersteg in Wiezikon. Dort fliesst der Fluss über einen Nagelfluhfelsen in natürlich ausgewaschenen Rinnen. Er ergiesst sich in ein natürliches Becken. Im Sommer, wenn es heiss ist, ein sehr kühlender Ort.»