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Frauenfeld & Hinterthurgau
Von hier aus hätte der Stadtrat im Kriegsfall geführt. Im Kommandoposten zwischen St. Gallerstrasse und Schlossmühle riecht es nach Kaltem Krieg. Und bei Vollbesetzung wäre es eng geworden.
Warten auf den Angriff, auf die Bomben aus der Luft. Damit es endlich vorbei ist. Sich die Zeit mit «Drei gewinnt» vertreiben, bis es endlich vorbei ist. Tonnen von Beton über einem. Da hat zwar einer ein Drei-Gewinnt-Spielfeld mit Kreide auf die WC-Türe im Maschinenraum gekritzelt. Kreuz wäre dran. Aber das war mit Sicherheit nicht vor einem nahenden Fliegerangriff im Zweiten Weltkrieg. Denn es fielen keine Bomben auf Frauenfeld. Den Ernstfall, für den der Orts-KP in der Schlossmühle gebaut worden war, gab es nie. Orts-KP heisst soviel wie Orts-Kommandoposten. Von hier aus hätte der Stadtrat im konkreten Kriegsfall die Führung aufrecht erhalten, unterstützt von Amtsleitungen und weiteren Spezialisten. Heute würde man von einem Führungsstab sprechen.
Rund 150 Quadratmeter verteilt auf vier rund angelegten Ebenen. Rund wohl aus statischen Gründen. Heute ist es kühl im Bunker, der sich unter den abschüssig stehenden Bäumen und Sträuchern zwischen St. Gallerstrasse und Schlossmühlestrasse befindet. Manche würden frieren. Hinge ein Thermometer, würde es um die zehn Grad anzeigen. Aber da ist nur ein Hygrometer. 55 Prozent Luftfeuchtigkeit. Im Ernstfall wäre es eng geworden – und heiss. «Bei 80 Mann Vollbesetzung waren es pro Person keine zwei Quadratmeter», sagt Werner Spiri. Der ehemalige Stadtrats-Bunker gehört in seine Zuständigkeit. Spiri ist Chef des städtischen Amts für Sicherheit. Es habe auch schon Anfragen für Technopartys gegeben, erzählt er. Aus Sicherheitsgründen unmöglich. Zuletzt hat eine Frauenfelder Rockband in den Räumen einen Videoclip gedreht. Mehr ist hier nicht mehr. 1985 geht aus einem statischen Gutachten hervor, dass die Anlage «grundsätzlich betriebsbereit» wäre, aber technisch überaltert ist. 20 Jahre später macht das Eidgenössische Starkstrominspektorat grössere Mängel beim Elektrischen aus. Das bedeutet die Stilllegung des Orts-KP.
Vor einigen Jahren sind die vier Ebenen vom Zivilschutz fast komplett ausgeräumt worden. Wie alle Zivilschutzanlagen in Frauenfeld wird auch der ehemalige Ort-KP einmal im Monat kontrolliert. Im Zentrum der Inspektion steht die Pumpe auf der untersten Ebene. Sie springt automatisch an, wenn der Grundwasserspiegel steigt. Für das kleine Pumpwerk und einen Entfeuchter musste wieder Strom in den Bunker gezogen werden. Zu- und Abwasser funktionieren nicht mehr. Ein Rückbau der Anlage wäre zu teuer, sagt Werner Spiri. Deshalb unterhält man sie mit minimalem Aufwand.
Der offizielle Zugang liegt schräg unter der ehemaligen Lederwarenfabrik an der Schlossmühlestrasse. Moos hat sich auf dem Beton breitgemacht. Neben der massiven Gittertüre hängt ein Schild mit einer Autonummer. Der Parkplatz ist an einen städtischen Angestellten vermietet. «So wissen wir, wen wir kontaktieren müssen, falls der Eingangsbereich einmal frei sein sollte», meint Spiri. Bereits im kleinen Zugangsstollen atmet man die kühle, aber leicht abgestandene Luft ein. Der Duft des Kalten Kriegs. Nach einer schweren Stahlbetontüre folgen nur noch leichte Metalltüren. Auf einer steht: «Maschinenraum – Kein Zutritt». Und darunter mit Kreide: «Nur für Berechtigte». Im Maschinenraum gibt es noch am meisten zu sehen. Ein Treibstoff-Generator, der vielleicht sogar noch funktioniert. Daneben Lüftungsrohre und drei Velosättel auf Rahmen mit dazugehöriger Pedalerie. Bei Vollbesetzung sei es notwendig gewesen, aktiv Frischluft von aussen anzusaugen, erklärt Werner Spiri. «Aber wahrscheinlich nicht im Dauerbetrieb.» Die Luft wurde gefiltert. Vom Prinzip her würde man es heute nicht anders machen, aber natürlich auf einem anderen technischen Niveau, so Spiri. Wasser und Strom werden ebenfalls von aussen zu-, das Abwasser wird nach aussen abgeführt. Ein autarker Betrieb ist also nicht möglich. «Gegen ABC-Waffen hätte die Filteranlage wohl wenig ausrichten können.» Spiri vermutet, dass die Anlage im Falle von Fliegerangriffen auf eine Betriebsdauer von ein paar wenigen Tagen ausgelegt war. Und für den schlimmsten Fall des Ernstfalls gab es einen Fluchtstollen Richtung Lederwarenfabrik hinauf, eine ziemlich steile Treppe.
Dass es – glücklicherweise – keine Fliegerangriffe auf Frauenfeld gab, heisst nicht, dass er Orts-KP nicht einsatzbereit gewesen wäre. Wie der Frauenfelder Lokalhistoriker Angelus Hux weiss, waren während des Zweiten Weltkriegs Fliegerbeobachter auf dem Türmli des Kantialtbaus stationiert. Diese mussten ihre Beobachtungen dem Orts-KP melden, wo Bereitschaft herrschte – zumindest im obersten Geschoss, der Zentrale. Der Stadtrat hätte derweil auf der zweituntersten Ebene zwischen Maschinenraum darüber und Aufenthalts-/Schlafraum darunter ein Arbeits- und Sitzungszimmer gehabt.
Seinen Ursprung hat der Orts-KP in einer Verordnung des Bundesrats von September 1934, «dass in den grösseren Gemeinden eine Organisation für den passiven Luftschutz zu treffen ist». So befindet das Frauenfelder Stimmvolk im Oktober 1938 unter anderem über einen Kredit von 74000 Franken für einen «Schutzraum für den Luftschutzdienst». 886 Frauenfelder sagen Ja, 676 Nein. Sie ahnen noch nicht, dass der Bau letztlich 98000 Franken kosten wird. Die Frauenfelder Luftschutzkommission macht sich zügig an die bauliche Umsetzung. Wie den Kommissionsprotokollen zu entnehmen ist, steht der Rohbau bereits 1939. Als die Kommission im August 1940 die fast fertige Anlage besichtigt, findet sich im Protokoll der Hinweis auf das Problem mit der Feuchtigkeit. Um dem Herr zu werden, läuft auch heute noch rund um die Uhr ein Entfeuchter.