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Im November 2017 hat die Kantonspolizei Thurgau zwei Personen weggewiesen, die mit Passanten über den Islam diskutieren wollten. Doch sie hatte die Wegweisung mangelhaft begründet, das Bundesgericht heisst zum zweiten Mal eine Beschwerde gut.
Die Kantonspolizei Thurgau hat willkürlich gehandelt. Zu diesem Schluss kommt das Bundesgericht. Polizisten hatten zwei Personen für 24 Stunden vom Stadtgebiet Kreuzlingen weggewiesen, dies jedoch mangelhaft begründet.
Es geht um einen Vorfall im November 2017. Die beiden Personen hatten auf öffentlichem Grund Passanten angesprochen, um über den Islam zu diskutieren, und zu diesem Thema ein Flugblatt verteilt. Polizisten führten eine Personen- und eine Fahrzeugkontrolle durch, wobei sie im Auto eines Mannes mehrere Exemplare des Korans in verschiedenen Sprachen, weitere Flugblätter, Broschüren, Büchlein und CDs über den Islam sowie eine Anleitung zur Führung von Gesprächen fanden. «Einige dieser Gegenstände befanden sich im Bereich des Reserverads», heisst es im am Dienstag veröffentlichten Urteil des Bundesgerichts.
Die Kantonspolizisten begründeten die Wegweisung damit, die beiden Personen hätten «Dritte erheblich belästigt, gefährdet oder unberechtigterweise an der bestimmungsgemässen Nutzung des öffentlich zugänglichen Raumes gehindert», dies durch «Verteilung von Flyern über den Islam an Passanten ohne Bewilligung».
Erst als die beiden Personen Beschwerde gegen die Wegweisung einreichten, argumentierte die Polizei vor Verwaltungsgericht, es gebe eine Verbindung zur mit Extremismus in Verbindung gebrachten Aktion «Lies!». Es habe sich deshalb um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gehandelt. Eine der im Auto gefundenen CDs habe die Aufschrift «Der edle Koran auf Deutsch, Lies!» getragen. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde ab, doch das Bundesgericht hob dieses Urteil im Juni 2019 wieder auf.
Belege für einen Zusammenhang mit der Aktion «Lies!» gebe es keine, hielt das Bundesgericht fest. Zudem gebe es in den Akten keinen Polizeirapport, die Beschwerdeführer seien nicht einvernommen und es seien keine Zeugen – insbesondere keine in Gespräche mit den Beschwerdeführern verwickelte Passanten – befragt worden.
Nachdem die Kantonspolizei den Polizeirapport nachgereicht hatte, wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der beiden Personen gegen die Wegweisung erneut ab. Nur noch ein Mann ging dagegen erneut vor Bundesgericht – und erhielt wieder Recht.
«Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass der alleinige Besitz einer CD, auf der ‹Lies!› steht, nicht unbesehen ihres Inhalts auf eine extremistische Gesinnung schliessen lässt», schreibt das Bundesgericht in seinem neuen Urteil. Die Polizisten hätten sich nicht für den Inhalt der CD interessiert. Auch könne von der Gesinnung einer Person allein nicht auf eine bestimmte Handlung geschlossen werden – wie hier die erhebliche Belästigung Dritter.
Die Richter in Lausanne rügen das Verwaltungsgericht, es habe «eine unhaltbare Beweiswürdigung» vorgenommen. Das Urteil der Erstinstanz wird aufgehoben, der Kanton Thurgau muss dem Beschwerdeführer eine Entschädigung von 2000 Franken bezahlen.
Urteil 1C_515/2019 vom 13. November 2020