Im Thurgau wütet der Borkenkäfer

Der trockene und heisse Sommer begünstigt die Ausbreitung des Borkenkäfers im Kanton Thurgau. Dagegen hilft nur noch die Motorsäge. Doch das viele Fichtenholz flutet den Markt zu einem Zeitpunkt desolater Holzpreise. Nun wird es in Zwischenlagern zurückgehalten.

Silvan Meile
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Sicht auf die Innenseite der Rinde: Der Buchbinder bohrt sich in die Fichte. Dort legen die Weibchen die Eier ab, aus denen weisse Larven schlüpfen. (Bild: Silvan Meile)

Sicht auf die Innenseite der Rinde: Der Buchbinder bohrt sich in die Fichte. Dort legen die Weibchen die Eier ab, aus denen weisse Larven schlüpfen. (Bild: Silvan Meile)

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Jakob Gubler bleibt vor einer mächtigen Rottanne stehen. «So geht es los», sagt der Revierförster im Wald auf dem westlichen Seerücken. Gubler zeigt auf den Boden vor der Fichte. Feines Sägemehl liegt dort. Das lässt keinen Zweifel offen: Hoch oben bohren sich die Borkenkäfer auch in diesen Baum, lassen Bohrmehl auf den Boden rieseln. Ein weiterer Befall in einem Wald in Gublers Revier, das sich über die Gemeindegebiete von Wagenhausen und Diessenhofen erstreckt.

Am Baumstamm bringt der Revierförster eine orangefarbene Markierung an. «Auch der muss raus», sagt Gubler. Die meisten Bäume hier oben teilen dieses Schicksal. Diese Fichten wurden vor rund 80 Jahren gepflanzt, weil sie wirtschaftlich lukrativ sind. Ihr Holz wird im Bau eingesetzt. Das machte sie zur häufigsten Baumart in den Schweizer Wäldern, obwohl sie naturgemäss höhere Lagen und schattige Plätze bevorzugen. Deshalb macht der Fichte die Klimaerwärmung zu schaffen, erklärt Ulrich Ulmer, Kreisforstingenieur beim Forstamt des Kantons Thurgau.

Ulrich Ulmer, Thurgauer Kreisforstingenieur, steht mit Revierförster Jakob Gubler in einer Lichtung. Hier war noch vor wenigen Tagen ein dichter Fichtenwald, der nun aber dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen ist. (Bild: Silvan Meile)

Ulrich Ulmer, Thurgauer Kreisforstingenieur, steht mit Revierförster Jakob Gubler in einer Lichtung. Hier war noch vor wenigen Tagen ein dichter Fichtenwald, der nun aber dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen ist. (Bild: Silvan Meile)

Heisse und trockene Sommer schwächen diese Bäume. Und genau in dieser Zeit schlägt der Borkenkäfer zu. Wegen der Trockenheit fehlt den Fichten derzeit die Feuchtigkeit, um sich mit ihrem Harzfluss gegen das schädliche Insekt zu wehren. Regelrechte Schneisen bleiben durch die vielen gefällten Bäume im Wald oberhalb von Wagenhausen zurück. Hier wütete der nur wenige Millimeter grosse Käfer besonders, weil durch die Stürme im Januar und das Unwetter am 2.August 2017 diese Bäume schon vor dem Hitzesommer 2018 geschwächt waren. «Die Fichten sind im Dauerstress», sagt Ulmer.

Wohin nur mit dem vielen Holz?

Der kleine Schädling heisst Buchdrucker, ist eine Borkenkäferart. Er ist nicht eingeschleppt, sondern hier heimisch und hat auch natürliche Feinde. Bereits im Hitzesommer 1947 hat er massive Schäden hinterlassen, weiss Ulmer. Viel zu explosionsartig vermehrt sich der Käfer in nur wenigen Wochen, falls ihm die Witterung optimale Bedingungen beschert. Dann hilft nur noch die Motorsäge.

Etwa 1000 Bäume, schätzt Gubler, sind in seinem Waldgebiet in diesem Sommer wegen des Borkenkäfers gefällt worden oder werden es noch. Das seien rund hundert Lastwagenladungen voller Baumstämme. So schnell wie möglich muss das befallene Holz aus dem Wald geschafft werden, damit dem Borkenkäfer der Nährboden entzogen wird. Der Schädling muss raus, bevor er flugfähig wird und sich auf weitere Fichten stürzen kann. So versuchen die Förster, zumindest den Schaden in Grenzen zu halten. Das Holz, das dabei anfällt, wird wenn möglich einen Kilometer vom Waldrand entfernt zwischengelagert, erklärt Ulmer.

An ungewohnten Stellen stapeln sich dadurch die Holzstämme ungewohnt hoch. Dort tut sich bereits das nächste Problem auf: wohin mit dem Holz? Die Sägereien sind ausgelastet, die Holzpreise sowieso im Keller. Eine denkbar schlechte Situation, den Markt nun mit befallenem Fichtenholz zu fluten. Auch deshalb werden die Fichten in Zwischenlagern zurückgehalten. In der Hoffnung, bald einen angemessenen Preis dafür zu bekommen.

Hoffen auf eine Beruhigung der Holzmarktsituation

Das befallene Holz aus dem Wald zu schaffen, hat für das kantonale Forstamt oberste Priorität. Für den Mehraufwand, den der Transport ins Zwischenlager verursacht, werden die Waldeigentümer vom Kanton entschädigt, erklärt Kantonsforstingenieur Daniel Böhi. «Abgeltungen gibt es auch fürs Entrinden.» Denn unter den Rinden haben sich die Borkenkäfer eingenistet.

Das Holz soll möglichst rasch aus dem Wald geschaffen werden. (Bild: Silvan Meile)

Das Holz soll möglichst rasch aus dem Wald geschaffen werden. (Bild: Silvan Meile)

Mit dieser Unterstützung will der Kanton verhindern, dass Waldbesitzer für die nötigen Waldarbeiten auf den konsequenten Schlag verzichten. Doch die ganze Waldwirtschaft steckt in einer Zwickmühle. Die befallenen Bäume müssen einerseits sofort gefällt und aus dem Forst geschafft werden, anderseits deckt der Ertrag aus dem Verkauf kaum die Kosten, die dafür anfallen. «Wir transportieren deshalb sämtliches Fichtenholz auf ein Zwischenlager weit entfernt vom nächsten Fichtenwald und hoffen, dass sich die Holzmarktsituation bis in einigen Wochen beruhigt hat», berichtet SVP-Kantonsrat Paul Koch, der gleichzeitig Revierförster in Neunforn-Uesslingen ist.

Seit dem Sommer steigt die Population

«Im Gebiet Unterthurgau-Seerücken verzeichnen wir die meisten Befälle», sagt Böhi. Und solange die Temperaturen nicht kühler werden, wird der Borkenkäfer weiter wüten. Seit dem milden Sommer 2015 nehmen die Populationen des Buchdruckers im Thurgau von Jahr zu Jahr deutlich zu. 2018 dürfte nochmals viel mehr befallenes Holz anfallen. Das tatsächliche Ausmass wird sich erst noch zeigen. Von den Werten der Borkenkäfer-Katastrophenjahre nach der Jahrtausendwende ist man aber noch etwas entfernt. Es gibt jedoch auch immer weniger Fichten, durch die sich der Borkenkäfer fressen kann.

Einst war fast jeder zweite Baum in den Thurgauer Wäldern eine solche Rottanne. Heute ist es noch knapp jeder dritte. Wo sich das einpendeln wird, bleibt ungewiss. Sicher ist, dass schon lange keine reinen Fichtenwälder mehr gepflanzt werden. Ausserdem prüfen die Förster, wo die Bodenbeschaffenheit und Umgebung für diesen Baum passt. «Heute setzen wir ausserdem auf Mischwälder mit unterschiedlichen Baumarten», sagt Böhi. Das verteilt einerseits das Risiko der Anfälligkeit auf Schädlinge. Anderseits wird damit den Aspekten Ökologie und Naherholung, welche heute im Wald eine genauso grosse Rolle spielen wie die Wirtschaftlichkeit, Rechnung getragen.

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